Einschlagkrater
entdeckt?
von Hans Zekl für astronews.com
2. Juli 2007
Vor fast genau 99 Jahren explodierte in Sibirien vermutlich
ein Komet oder Asteroid über dem Gebiet der Steinigen Tunguska und verwüstete
große Teile der Taiga. Bis heute wurden allerdings keine Spuren des damaligen
Himmelskörpers oder gar ein Einschlagkrater entdeckt, was immer wieder zu
wildesten Spekulationen führte. Jetzt haben italienische Wissenschaftler einen
See aufgespürt, den sie als Einschlagkrater deuten. Andere Forscher sind
allerdings skeptisch.
Visualisierung der Messungen am Tscheko-See: Der Wasserspiegel ist im
Bild 30 Meter niedriger dargestellt als in der
Realität.
Bild:
Universität Bologna /
Tunguska-Homepage |
In den Morgenstunden des 30. Juni 1908 explodierte in fünf bis zehn Kilometern Höhe ein Komet oder Asteroid über dem Gebiet des Flusses Steinige Tunguska im östlichen Sibirien und zerstörte 2.000 Quadratkilometer der Taiga.
Das damalige Ereignis fasziniert Forscher und Öffentlichkeit bis heute, denn
bislang wurden keine Überreste oder der Einschlagkrater des Himmelskörpers gefunden.
Jetzt aber haben italienische Forscher einen See identifiziert, der als Folge des Einschlags entstanden sein könnte.
Augenzeugen berichteten damals von einem gewaltigen Feuerball, als das Objekt mit der Energie von
zehn bis 15 Megatonnen des Sprengstoffs TNT explodierte, tausendmal stärker als die Hiroshima-Bombe. Im Umkreis von fast 50 Kilometern wurden Bäume entwurzelt. Viele Erdbebenstationen registrierten die damit verbundenen seismischen Erschütterungen.
Offensichtlich war ein Meteorit eingeschlagen.
Aber die Abgeschiedenheit der Region und die in Russland herrschenden politischen Wirren verhinderten die sofortige Entsendung einer Expedition. Erst 1927 erreichte eine sowjetische Forschergruppe das betreffende Gebiet.
Luftbildaufnahmen wurden sogar erst 1938 gemacht.
Doch trotz intensiver Suche in den folgenden Jahrzehnten wurden weder Krater noch irgendwelche Überreste des Himmelskörpers gefunden.
Jetzt veröffentlichte eine Gruppe italienischer Wissenschaftler um den Meeresgeologen Luca Gasperini
jedoch im Wissenschaftsmagazin Terra Nova ihre Vermutung, dass ein kleiner See in der Nähe des
damaligen Epizentrums der Einschlagkrater sein könnte: der Tscheko-See etwa 8 Kilometer nordnordwestlich.
Frühere Informationen über den See sind äußerst spärlich. Ungeklärt ist die Frage, ob er vor 1908 schon existierte. Zum ersten Mal taucht er
1928 auf Karten auf. Auch gibt es keine Berichte über den See aus früheren Zeiten, was aber eher daran liegt, dass die abgelegene, sumpfige Region praktisch unbewohnt ist.
In den 1960er Jahren wurden dort einige Echolot- und Sedimentuntersuchungen
durchgeführt. Erst während einer Forschungskampagne im Juli 1999 kam der
Verdacht auf, dass der See einen Einschlagkrater ausfüllen könnte. Die
tieferen Bereiche des Sees unterhalb von zwei Metern sind fast kreisrund mit einer leichten Verlängerung von Südosten nach Nordwesten
- in Richtung der beobachteten Flugbahn des Himmelskörpers. Eine trichterförmige Vertiefung bis zu 50 Metern, die in benachbarten Seen nicht vorkommt, liegt fast in seinem geometrischen Zentrum.
Eine Entstehung des Schlots durch Vulkanismus oder Prozesse im Permafrostboden halten die Wissenschaftler für sehr unwahrscheinlich.
Augenzeugen des Tunguska-Ereignisses berichteten von mehreren Explosionen. Ihre Aussage wird durch Untersuchungen der Fallmuster der Bäume gestützt. Danach gab es wohl zwei bis vier Explosionen, und ein oder mehrere Fragmente könnten daher im sumpfigen Boden nordwestlich des Epizentrums eingeschlagen sein.
Allerdings fehlen dem Tscheko-See einige typische Eigenschaften eines Meteoritenkraters. So passt zwar die Form des Seebodens zu einem Einschlag eines etwa zehn Meter durchmessenden steinigen Himmelskörpers, der relativ langsam in einem flachen Winkel herunterfiel. Doch fehlen in der Umgebung des Sees Anzeichen für die Ablagerung des Auswurfmaterials. Dafür machen die Forscher die besondere Bodenbeschaffenheit am Einschlagsort verantwortlich. Als das Objekt aufschlug, schmolz vermutlich die 25 Meter dicke Schicht des Permafrostbodens und setzte große Mengen Wasser, Dampf und im Boden gespeichertes Methan frei, wodurch das Material verdichtet wurde. Somit könnten Ansammlungen des Auswurfmaterials wieder eingeebnet worden sein.
Andere Wissenschaftler halten allerdings die Argumentation für nicht stichhaltig. So zeige die Form des angeblichen Kraters, dass das Projektil unter einem Winkel von weniger als 10 Grad eingeschlagen sein müsse. Aber Modellrechnungen des Tunguska-Ereignisses deuten auf einen steileren Winkel der Flugbahn hin. Auch wäre kein Baum um den See bei dem Einschlag stehen geblieben. Doch finden sich hier immer noch über hundert Jahre alte Bäume. Bei Untersuchungen einiger dieser Bäume fand die italienische Gruppe allerdings ein stark gestörtes Wachstum der Baumringe nach 1908.
Seismische Messungen der italienischen Wissenschaftler zeigen zehn Meter unter des Seegrunds eine abrupte Verdichtung. Möglicherweise liegt hier der eingeschlagene Himmelskörper. Das können aber erst tiefere Bohrungen klären, die für den Sommer 2008 geplant sind.
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