Viele Tausend
Galaxien auf einen Streich
von Stefan Deiters astronews.com
30. Mai 2007
Das Infrarot-Weltraumteleskop Spitzer hat
innerhalb kürzester Zeit viele Tausend bislang unbekannte Zwerggalaxien
aufgespürt. Der Fund gelang im Coma-Galaxienhaufen, einer gewaltigen Ansammlung
von Galaxien in 320 Millionen Lichtjahren Entfernung. Obwohl Zwerggalaxien ihrem Namen entsprechend relativ klein sind,
spielen sie eine wichtige Rolle bei der Entstehung der heute im Universum
sichtbaren Strukturen.
Falschfarbenbild des Coma-Galaxienhaufens. Der Haufen wird
dominiert von den beiden elliptischen
Riesengalaxien NGC 4889 und NGC 4874.
Bild: NASA / JPL-Caltech / L. Jenkins (GSFC)
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Nach Ansicht der Astronomen waren Zwerggalaxien die ersten
Galaxien überhaupt, die im Universum entstanden sind. Sie waren damit die
Bausteine, aus denen im Laufe von Milliarden Jahren und durch wiederholtes
Verschmelzen die größeren Galaxien wurden. Von ihrer Anzahl her sind
Zwerggalaxien im Weltall in der Überzahl und stellen somit auch einen wichtigen
Indikator für großräumige Strukturen im Kosmos dar. Computersimulationen, mit
denen die Entwicklung der Strukturen im Weltall modelliert wird, haben
allerdings ergeben,
dass es in Regionen mit einer hohen Dichte an Materie, wie beispielsweise in
Galaxienhaufen, eine deutlich höhere Zahl von Zwerggalaxien geben müsste, als
bislang in den Haufen beobachtet wurde.
Leigh Jenkins und Ann Hornschemeier vom NASA Goddard Space Flight Center
haben nun mit Hilfe des Infrarot-Weltraumteleskops Spitzer den Coma-Galaxienhaufen
untersucht, eine gewaltige Ansammlung von Galaxien in rund 320 Millionen
Lichtjahren Entfernung. Der Haufen liegt im Sternbild Haar der Berenike
(lateinisch Coma Berenices). In einem Umkreis von rund 20 Millionen Lichtjahren
finden sich Hunderte von Galaxien - so zumindest der bisherige Stand.
Die Astronomen studierten nun die Galaxien im Zentrum des Haufens und
verglichen die Daten dort mit Messungen aus einem Randbereich, um so
Rückschlüsse auf den Einfluss der Umweltbedingungen auf die Galaxienentwicklung
ziehen zu können. Dazu kombinierten sie 288 individuelle Spitzer-Aufnahmen,
die in einer Beobachtungszeit von insgesamt nur 6,5 Stunden gewonnen wurden.
Insgesamt registrierte das Team in den Aufnahmen fast 30.000 Objekte - einige
davon waren zweifelsfrei Galaxien des Coma-Haufens, bei vielen musste es sich
aber um Galaxien im Hintergrund handeln. Deswegen nutzte Bahram Mobasher vom
Space Telescope Science Institute, der auch zum Beobachterteam gehörte, das
4-Meter William Herschel-Teleskop auf der Kanareninsel La Palma für
Nachbeobachtungen. Ziel war es, die Entfernungen von vielen Hundert der
entdeckten Galaxien zu bestimmen, um so den Anteil von Mitgliedern des Coma-Haufens
unter den gefundenen Objekten abschätzen zu können.
Überraschenderweise stellte sich heraus, dass eine beträchtliche Anzahl der
vermeintlichen Hintergrundgalaxien tatsächlich zum Coma-Haufen gehörte. Diese
Galaxien mussten damit sehr massearm sein - masseärmer noch als beispielsweise die
Kleine Magellansche Wolke, die zweitgrößte Satellitengalaxie der Milchstraße.
Jenkins schätzt nun, dass es sich bei rund 1.600 der 30.000 lichtschwachen
Objekten um Zwerggalaxien des Coma-Haufens handelt. Da aber das Team nur einen
Teil des Galaxienhaufens untersucht hat, sollte die Gesamtzahl der Zwerggalaxien
im Haufen mindestens 5.000 betragen.
"Dank der überragenden Eigenschaften Spitzers waren wir plötzlich in der Lage,
Tausende lichtschwacher Galaxien zu entdecken, die man vorher nicht gesehen
hat", so Jenkins, die die Ergebnisse am Montag auf einer Tagung der
Amerikanischen Astronomischen Gesellschaft in Honolulu präsentierte. "Wir
übertreffen hiermit jede frühere Infrarot-Durchmusterung naher Galaxienhaufen",
ergänzt Hornschemeier. "Dank Spitzer können wir nahe Galaxienhaufen wie den Coma-Haufen
sehr detailliert beobachten und das in nur sehr kurzer Zeit. Die
Gesamtbeobachtungszeit ist vergleichbar mit einigen wenigen Nächten mit einem
bodengestützten Teleskop."
Es kann sogar sein, dass die Astronomen die wirkliche Zahl der Zwerggalaxien
im Coma-Galaxienhaufen noch unterschätzen: Hornschemeier und andere Astronomen
sind zurzeit dabei, weitere gründliche spektroskopische Untersuchungen mit dem
6,5-Meter MMT-Teleskop in Arizona und dem 10-Meter Keck-Teleskop auf Hawaii zu
machen. Nach Auswertung der Beobachtungsdaten dürfte sich herausstellen, wie
viele der lichtschwachen Objekte noch zum Coma-Haufen gehören.
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