Geisterhafter Ring aus Dunkelmaterie
von Stefan Deiters astronews.com
15. Mai 2007
Mithilfe des Weltraumteleskops Hubble gelang einem
internationalen Astronomenteam jetzt der bislang direkteste Nachweis der
Existenz von Dunkler Materie. Die Forscher entdeckten einen geisterhaften Ring
aus Dunkler Materie, der vermutlich bei einer gewaltigen Kollision zweier
Galaxienhaufen entstand. Zum ersten Mal wurde damit eine
Dunkelmaterie-Verteilung entdeckt, die sich signifikant von der Verteilung der
sichtbaren Materie unterscheidet.
Der Galaxienhaufen ZwCl0024+1652. Für das
Bild wurde eine Hubble-Aufnahme des Haufens
(unten) mit
der gefundenen Verteilung von Dunkler Materie
(blau) kombiniert. Der entdeckte Ring ist gut zu
erkennen. Bild: NASA, ESA, M.J. Jee und H. Ford (Johns Hopkins University)
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Hubble-Aufnahme des Galaxienhaufens
ZwCl0024+1652. Aus den leicht verzerrten Bildern
der Hintergrundgalaxien folgerten die Astronomen
auf die Dunkelmaterie-Verteilung des Haufens.
Foto: NASA, ESA, M.J. Jee und H. Ford (Johns Hopkins University)
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Dunkle Materie gehört schon lange zum Standardrepertoire der
Astronomen, um beispielsweise zu erklären, warum Galaxienhaufen eigentlich
zusammenbleiben. Die als Sterne und Gas sichtbare Masse der Haufen würde nämlich nicht
ausreichen, um die Ansammlungen von Galaxien zusammenzuhalten und ein
Auseinanderdriften zu verhindern. Was Dunkle Materie genau ist,
wissen Astronomen bis heute nicht. Manche glauben, dass es sich um eine Art von
Elementarteilchen handelt, das das gesamte Weltall durchdringt.
Obwohl also niemand weiß, um was es sich bei Dunkler Materie handelt, finden
Wissenschaftler immer wieder Hinweise auf ihre Existenz. Auf einer
Pressekonferenz am Dienstagabend präsentierte ein Forscherteam nun das bis heute
direkteste Indiz für das Vorhandensein der geisterhaften Materie: Im
Galaxienhaufen ZwCI0024+1652 spürten die Astronomen einen Ring aus Dunkler
Materie auf. "Das ist das erste Mal, dass wir Dunkle Materie entdeckt haben, die eine
eigene Struktur hat und sich deutlich von der Struktur der sichtbaren Materie,
also vom Gas und den Galaxien im Haufen, unterscheidet", erläutert M. James Jee
von der Johns Hopkins University im amerikanischen Baltimore, der zum
Beobachterteam gehörte.
Der entdeckte Ring aus Dunkelmaterie hat einen Durchmesser von 2,6 Millionen
Lichtjahren und wurde in einem Galaxienhaufen entdeckt, der etwa fünf Milliarden
Jahre von der Erde entfernt liegt. Die Astronomen haben den Ring eher zufällig
entdeckt, als sie damit beschäftigt waren, die Dunkelmaterie-Verteilung in dem
Galaxienhaufen zu kartieren. Obwohl man Dunkelmaterie nicht sehen kann, können
Wissenschaftler durch Beobachtungen auf ihre Existenz schließen: Sie beobachten
dazu, wie die Gravitationswirkung der unsichtbaren Dunkelmaterie das Licht von
Hintergrundgalaxien ablenkt.
Dieser Effekt ist als Gravitationslinsen-Effekt bekannt und wurde von
Einstein in seiner Relativitätstheorie vorhergesagt. Er führt dazu, dass
Galaxien, die sich von uns aus gesehen weit hinter dem Galaxienhaufen befinden,
nicht wie normale Galaxien erscheinen, sondern zu Bögen verschmiert werden. Aus
der Form der Bild können die Astronomen dann errechnen, welche
Massenkonzentration nötig ist, um diesen Effekt zu bewirken und somit die
Dunkelmaterie in einem Galaxienhaufen kartieren.
"Dunkelmaterie wurde zwar schon zuvor in anderen Galaxienhaufen gefunden",
erläutert Jee die Bedeutung der jetzt gemachten Entdeckung, "aber noch nie war
die Dunkelmaterie so weit von dem heißen Gas und den Galaxien entfernt, aus
denen der Galaxienhaufen besteht. Durch das Beobachten einer
Dunkelmaterie-Struktur, die sich nicht durch Galaxien und heißes Gas
nachzeichnen lässt, können wir Studieren, wie unterschiedlich sich Dunkelmaterie
von normaler Materie verhält."
Beim Kartieren der Dunkelmaterie stießen die Forscher auf kleine
wellenförmige Unebenheiten in dem mysteriösen Material, das entfernt an die
Strukturen erinnert, die entstehen, wenn man einen Stein in einen Teich wirft.
"Ich war zunächst recht verärgert, als ich diesen Ring sah, weil ich ihn
zunächst für ein Artefakt hielt, was auf einen Fehler bei unserer
Datenauswertung hingedeutet hätte", erinnert sich Jee. "Ich konnte das Ergebnis
einfach nicht glauben. Aber je mehr ich versuchte, den Ring wieder loszuwerden,
desto deutlicher wurde er sichtbar. Ich habe mehr als ein Jahr gebraucht, um mir
wirklich sicher zu sein, dass der Ring echt ist. Ich habe schon eine ganze Reihe
von Galaxienhaufen beobachtet, aber so etwas habe ich noch nicht gesehen."
Auf der Suche nach der Entstehungsgeschichte des Rings stieß Jee auf eine
Forschungsarbeit, die sich mit der Geschichte des untersuchten Galaxienhaufens
beschäftigte: Oliver Czoske vom Argelander-Institut für Astronomie der
Universität Bonn hatte 2002 aus spektroskopische Beobachtungen des
Galaxienhaufens gefolgert, dass dieser vor vielleicht ein bis zwei Milliarden
Jahren mit einem anderen Galaxienhaufen kollidiert ist.
Jee und seine Kollegen machten nun Computersimulationen, um so
herauszufinden, was bei einer Kollision zweier Haufen mit der Dunklen Materie
passiert. Das Ergebnis: Bei der Kollision fällt die Dunkle Materie zunächst ins Zentrum des
neu entstandenen kombinierten Haufens und dehnt sich dann wieder aus. Während
sie sich aber ausdehnt, wird sie unter dem Einfluss der Gravitationskraft
langsamer und türmt sich auf. Auf diese Weise, so die Schlussfolgerung der
Astronomen, entstand der jetzt beobachtete
Dunkelmaterie-Ring. Er ist somit Zeuge einer Kollision zweier Galaxienhaufen vor
über einer Milliarde Jahren.
Schon im vergangenen Jahr hatten Astronomen durch Beobachtungen mit dem
Infrarot-Teleskops Chandra und anderer Großteleskope deutliche Indizien
dafür gefunden, dass bei einer Kollision zweier Galaxienhaufen normale Materie
und Dunkle Materie getrennte Wege gehen. Die Astronomen beobachteten damals -
wie berichtet - den Galaxienhaufen 1E0657-56.
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