Geschichte des Universums in 52 Tagen
Redaktion / idw / AIP
astronews.com
28. November 2006
Wollte man die Simulation, mit der sich Potsdamer Astronomen
derzeit beschäftigen, auf einem heimischen Computer durchführen, müsste man über
100 Jahre auf ein Ergebnis warten. Glücklicherweise steht den Brandenburger
Forschern der leistungsfähigste Supercomputer Europas zur Verfügung. So
benötigen sie nur wenige Wochen, um neue Einblicke in die Entstehung und
Entwicklung des Universums und unserer lokalen Umgebung zu gewinnen.
Hochauflösende Galaxiensimulation, die eine großräumige
Gasverteilung eine Milliarde Jahre nach dem Urknall zeigt. In
den Knotenpunkten der Filamente entstehen Protogalaxien. Bild:
Arman Khalatyan, AIP |
MareNostrum, der leistungsfähigste Supercomputer Europas steht in
einer ehemaligen Kirche in Barcelona. Gerade wurde seine Rechenkapazität
verdoppelt. Mit 10.240 Prozessoren und einer Rechnerkapazität von 94,21
Teraflops kann er 94,21 Billionen Operationen in einer Sekunde ausführen. Damit
ist er nicht nur der leistungsfähigste Supercomputer Europas, sondern auch der
fünftgrößte der Welt. Im Rahmen europäischer Projekte haben Wissenschaftler vom
Astrophysikalischen Institut Potsdam (AIP) Rechenzeit auf MareNostrum
eingeworben, um sehr komplexe Probleme der Galaxienentstehung zu studieren,
deren Berechnung auf normalen Computern Jahrhunderte dauern würden.
Wissenschaftlicher Fortschritt ist in der Forschung auf einigen Gebieten nur
durch eine enge Zusammenarbeit zwischen einer wissenschaftlich-theoretischen
Basis, Experimenten und Computer-Simulationen möglich. Wissenschaftler aus
vielen Ländern und vielen Bereichen sind daher an Rechenzeit auf dem spanischen
Supercomputer MareNostrum interessiert. Die Anfragen zur Benutzung von
Rechenzeit überschreiten MareNostrums Kapazität um ein dreifaches. Darum
müssen sich Wissenschaftler bei einem Zugangskomitee aus unabhängigen spanischen
Wissenschaftlern bewerben. Der Computer wird von Forschungsprojekten aus
Bereichen wie Erdwissenschaften, Biomedizin, Chemie, Materialwissenschaften,
Physik, Ingenieurwesen und Astrophysik genutzt.
In Zusammenarbeit mit der Autonomen Universität Madrid (UAM) führt das
Astrophysikalische Institut Potsdam (AIP) zwei Simulationen auf MareNostrum aus,
um die Entwicklung von Galaxien im frühen Universum nachvollziehen zu können.
Die Simulationen sind riesig und sehr komplex und sind daher nur auf solchen
Supercomputern möglich. So wird derzeit die Entwicklung von tausenden Galaxien
in einem Würfel von 233,2 Millionen Lichtjahren Kantenlänge simuliert.
Bisher standen diesem Projekt schon über eine Million Rechenstunden auf
MareNostrum zur Verfügung. Zum Vergleich: ein normaler Computer mit einem
Prozessor müsste dafür über 114 Jahre ununterbrochen rechnen. Auf MareNostrum
hat das nur 52 Tage gedauert, weil für die Simulation 800 Prozessoren
gleichzeitig benutzt wurden. Nach der Verdopplung der Rechenkapazität wurden dem
Projekt weitere 600.000 Stunden zugesprochen. Projektleiter Prof. Gustavo Yepes
hofft damit bis zu einer Rotverschiebung von 5 vorzudringen und so die
Entwicklung von Galaxien in der ersten Milliarde Jahre nach dem Urknall zu
sehen.
Für das zweite Simulationsprojekt des AIP im Rahmen der europäischen DEISA
Extreme Computing Initiative werden gerade noch die Vorbereitungen
getroffen. In Zusammenarbeit mit Prof. Yehuda Hoffman (Jerusalem), der im Sommer
auf einer Mercator-Professur der Universität Potsdam am AIP geforscht hat, und
Prof. Anatoly Klypin, der im Sommer das Helmholtz-Institut am AIP leitete, plant
Dr. Stefan Gottlöber vom AIP, die Entwicklung des lokalen Universums zu
simulieren. Er hofft also, dass im Computer ähnliche Objekte entstehen, wie wir
sie in unserer Umgebung beobachten. Umgebung, das sind einige Millionen
Lichtjahre. Für dieses Projekt stehen zunächst einmal 700.000
Computerrechenstunden (umgerechnet wären das 80 Jahre) zur Verfügung.
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