Die Zeit vor dem Urknall
von Stefan
Deiters
astronews.com
16. Mai 2006
Unser Universum entstand nach der allgemein anerkannter
Theorie im so genannten Urknall. Die Existenz von Raum und Zeit begann mit
diesem Ereignis, so dass sich eine Frage nach dem "Davor" eigentlich von selbst
verbietet. Für viele ist dies allerdings alles andere als befriedigend. Einem
Team von Physikern der PennState University ging das ähnlich. Sie
schauten in die Zeit vor dem Urknall und machten eine überraschende Entdeckung.

Entstand unser Universum aus einem Big Bounce? Foto:
STScI / NASA |
Nach Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie ist der Urknall der
Anfang schlechthin. Nicht nur Materie entstand in diesem Ereignis vor mehr als
13 Milliarden Jahren, sondern auch die so genannte Raumzeit. Klassische Theorien
liefern keinerlei Hinweise darauf, was vor dem Urknall passiert sein könnte und
manche Frage nach dem "Davor" wird gerne damit beantwortet, dass eben die Zeit
auch erst durch den Urknall entstanden ist und es somit logischerweise kein
"Davor" gibt.
Für viele hört sich das allerdings wie eine Entschuldigung an und die Frage
wie es eigentlich zu dem Zustand kam, mit dem unser Universum seinen Anfang
nahm, beschäftigt normale Menschen genauso wie Astronomen und Physiker. Eine
Forschergruppe der amerikanischen PennState University glaubt jetzt, eine
Antwort auf die Frage nach dem "Davor" gefunden zu haben: "Die allgemeine Relativitätstheorie
kann unser Universum sehr gut beschrieben, allerdings nur bis zu einem
Zeitpunkt, zu dem es so dicht wird, dass die Gleichungen einfach nicht mehr
gelten", erläutert Abhay Ashtekar, Direktor des Institutes für
Gravitationsphysik und Geometrie. "Ab diesem Zeitpunkt müssen wir Werkzeuge der
Quantenphysik benutzen, die Einstein noch nicht zur Verfügung standen."
Durch die Kombination von Quantenphysik mit der allgemeinen
Relativitätstheorie konnten Ashtekar und zwei Mitarbeiter ein Modell entwickeln,
das die Entwicklung unseres Universums durch den Urknall zurückverfolgt. Auf
der "anderen Seite" entdeckten sie ein in sich zusammenfallendes Universum,
das dem unsrigen ansonsten recht ähnlich ist. Die Forscher veröffentlichten ihre
Untersuchung in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift Physical Review Letters.
Die Modellrechnungen der Forscher zeigten, dass vor dem Urknall ein Universum
existierte, das unserem Universum verdammt ähnlich gesehen haben muss, das
allerdings nicht wie das unsrige expandierte, sondern sich zusammenzog. Irgendwann
im Laufe des durch die Gravitationskräfte bewirkten Kollapses wurde ein Punkt
erreicht, zu dem die Quanteneigenschaften der Raumzeit die Gravitationskräfte
plötzlich abstoßend machten. "Wir benutzten Einsteins kosmologische Gleichungen
mit einigen quantenphysikalischen Änderungen", erklärt Ashtekar. "Und statt
eines Urknalls sahen wir so etwas wie eine Quantenabstoßung, also einen Big
Bounce statt eines Big Bang."
Da die Wissenschaftler so überrascht waren, dass sie aus ihren Modellen ein
zweites nahezu klassisches Universum vor dem Urknall erhielten, wiederholten sie
über mehrere Monate ihre Modellrechnungen mit verschiedenen Parametern. "Immer
wieder fanden wir das Big Bounce-Szenario", so Ashtekar. Ganz neu ist die
Idee, dass es schon einmal ein Universum vor dem unsrigen gab nicht. Allerdings
gelang es Ashtekar und seinen Kollegen erstmals die Existenz dieses
Vorgängeruniversum mit einem mathematischen Modell herzuleiten und auch
Aussagen über die Beschaffenheit des Raums zu machen.
Die Forscher nutzten für ihre Modellrechnung die so genannte
Schleifen-Quantengravitations-Theorie, die derzeit zu den führenden Modellen
gezählt wird, mit denen man die allgemeine Relativitätstheorie und die Quantenphysik
zu einer neuen allumfassenden Theorie verbinden kann. Kernpunkt dieses
Schleifen-Modells ist, dass die Raumzeit selbst eine atomähnliche Struktur
besitzt.
Das uns vertraute Kontinuum ist danach nur einen Näherung. Die Raumzeit besteht
aus winzigen eindimensionalen Fäden.
Normalerweise spielt diese Struktur des Universums keine größere Rolle. Nur
in zeitlicher Nähe des Urknalls wird der Unterschied wichtig: Das Gefüge der
Fäden wird auseinander gerissen, wodurch sich die Quantennatur des Raumes
offenbart. Gravitation wirkt plötzlich abstoßend und es kommt zum Big Bounce.
"Mit unseren ersten Modellen haben wir versucht ein homogenes Universums zu
modellieren", so Ashtekar. "Durch diese Rechnungen sind wir recht zuversichtlich
geworden, dass die Idee der Schleifen-Quantengravitation zuverlässig funktioniert.
In der nächsten Zeit wollen wir unsere Modelle besser an die wirklichen
Gegebenheiten in unserem Universum anpassen und natürlich auch versuchen, noch
mehr über die Quantengravitation zu erfahren."
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