Die Milchstraße frisst ihre Begleiter
Redaktion / MPG
astronews.com
27. Januar 2006
Unsere Milchstraße verleibt sich noch heute Sterne und
Materie von umgebenden Zwerggalaxien oder Kugelsternhaufen ein. Ein Team von
Astronomen am Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg hat jetzt
eindeutige Spuren dieser "kannibalischen" Prozesse nachgewiesen. Dabei ist die
Spurensuche alles andere als leicht.
Anziehend wirkt die Milchstraße auch auf
ihre Nachbarn. Der in der Grafik dargestellte
Monoceros-Gezeitenstrom besteht aus Sternen und Materie, die
vermutlich von der Canis-Major-Zwerggalaxie abgesaugt wurden.
Die Bahn von Palomar 5 während der vergangenen 500 Millionen
Jahre und bis zum nächsten Durchgang durch die galaktische
Scheibe. Gegenwärtig befindet sich der Kugelsternhaufen weit
außerhalb der Milchstraßenebene, in etwa 100 Millionen Jahren
wird er das nächste Mal in die galaktische Scheibe eindringen.
Bilder: MPI für Astronomie |
Das Problem besteht darin, unter den vielen Millionen Sternen der Milchstraße
jene zu identifizieren, die einst zu einer Satellitengalaxie gehörten und von
dieser "abgezogen" wurden. Solche Neuzugänge an Sternen können sich durch ein
einheitliches, von der Umgebung abweichendes Bewegungs- und
Geschwindigkeitsmuster verraten, aber auch durch ein abweichendes Alter oder
durch eine ungewöhnliche chemische Zusammensetzung.
So entdeckten die Astronomen vor rund zehn Jahren erstmals einen Strom von
Sternen, der sich vollständig um das Zentrum der Milchstraße windet - und der
nach inzwischen einhelliger Meinung von der Sagittarius-Zwerggalaxie stammt,
einem kleinen Nachbarn unserer Milchstraße.
Darüber hinaus stießen Forscher des Heidelberger Max-Planck-Instituts im
Rahmen einer internationalen Zusammenarbeit auf einen ringförmigen Sternstrom,
der sich über etwa hundert Winkelgrade um das Sternbild Einhorn (Monoceros)
erstreckt: Verraten hatte sich diese Sterngruppe durch einen ungewöhnlich
geringen Anteil an schweren Elementen, kenntlich an der Farbverteilung ihrer
Spektren. Weitere Analysen der Kinematik dieses Sternstroms mit Hilfe von
Computermodellen wiesen auf eine Zwerggalaxie in der Konstellation Großer Hund (Canis
Major) als Ursprung des Monoceros-Stroms hin - ein Befund, der derzeit noch im
Detail überprüft wird.
Eindeutig liegen die Dinge hingegen bei Palomar 5, einem Kugelsternhaufen. Er
weist innerhalb eines Volumens von 156 Lichtjahren Durchmesser Sterne mit
insgesamt 5.000 Sonnenmassen auf - und ist damit einer der masseärmsten seiner
Art. Inzwischen konnten die Heidelberger Forscher nachweisen, dass von Palomar 5
zwei Gezeitenarme von jeweils rund 15.000 Lichtjahren Länge ausgehen, die mehr
Materie enthalten als der Kugelsternhaufen selbst: Diese Schweife bildeten sich,
als Palomar 5 vor etwa 150 Millionen Jahren die Ebene der Milchstraße
durchquerte; durch Gezeitenkräfte der Sterne in der galaktischen Scheibe wurden
vor allem massearme Sterne aus dem Haufen herausgesogen, und sie folgen nun
dessen Bahn, ohne aber noch an ihn gebunden zu sein.
Palomar 5 hat seit rund zehn Milliarden Jahren, in denen er auf seiner Bahn
immer wieder die Milchstraßen-Ebene querte, rund 50.000 Sonnenmassen verloren,
etwa das Zehnfache seiner heutigen Restmasse. Und beim nächsten Durchtritt durch
die Milchstraße, in 110 Millionen Jahren, trifft er in nur 23 000 Lichtjahren
Entfernung vom galaktischen Zentrum in ein Gebiet hoher Sterndichte - und wird
dann vermutlich vollständig aufgerieben und von der Milchstraße aufgesogen: als
das nächste, aber wohl nicht letzte Opfer unserer "gefräßigen" Heimatgalaxie.
Die Forscher berichten über ihre Arbeit in der aktuellen Ausgabe der
Zeitschrift MaxPlanckForschung. Sie erscheint viermal pro Jahr
und kann bei der Pressestelle der Max-Planck-Gesellschaft abonniert werden. Der
Bezug ist kostenfrei.
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