Alle Sterne des Nachthimmels gehören zu einem großen System: zu unser
Milchstraße. In einer flachen Scheibe wandert die Sonne mit rund 100 Milliarden
Geschwister um einen dickeren, kugelförmigen Zentralbereich. Der Durchmesser
dieser Scheibe beträgt etwa 70.000 Lichtjahre. Die Milchstraße selbst ist wieder
Teil eines größeren Systems, dem lokalen Galaxienhaufen, zu dem auch der
bekannte Andromedanebel gehört, der zweieinhalb bis drei Millionen Lichtjahre
entfernt ist. Lang belichte Aufnahmen zeigen majestätische Spiralarme, die sich
um das Zentrum winden. Astronomen sehen in ihm ein Abbild unserer eigenen
Milchstraße.
Egal wohin Astronomen im Weltall blicken, überall finden sie ähnliche
Objekte, die schon wenige hundert Millionen Jahre nach dem Urknall vorhanden
waren. Die aktuellen Forschungsprojekte beschäftigen sich daher heute weniger
mit den einzelnen Strukturen der Galaxien als vielmehr mit ihrer Entstehung.
Doch inzwischen ermöglicht der technische Fortschritt den Astronomen, genauer
hinzuschauen. Dabei kamen in letzter Zeit überraschende Ergebnisse zum
Vorschein, die die Sterneninseln in einem neuen Licht erscheinen lassen.
Offensichtlich wurde nämlich manches bisher übersehen. So befinden sich
zumindest in einigen Galaxien mehr Sterne als bisher angenommen, die sich
außerhalb ihrer bekannten Scheiben tummeln und im sichtbaren Licht allenfalls
äußerst schwach zu sehen sind.
So befindet sich beispielsweise in 31 Millionen Lichtjahre Entfernung die
kleine unscheinbare Galaxie NGC 4625, deren Sterne schon recht alt sind. In
ihrer Nachbarschaft findet sich eine weitere Galaxie, NGC 4618, die deutlich
größer erscheint. Doch der Eindruck täuscht. Im unsichtbaren ultravioletten
Licht drehen sich die Verhältnisse nämlich um. Das fand kürzlich ein
internationales Forschungsteam aus den USA und Deutschland mit dem
Weltraumteleskop GALEX (Galaxy Evolution Explorer) der NASA heraus, das
die Entwicklung von Galaxien in diesem Wellenlängenbereich untersucht. GALEX
entdeckte leuchtende, lange Spiralarme um NGC 4625. Damit ist das Sternsystem
viermal größer als bislang gemessen und übertrifft seinen Nachbarn deutlich.
Bislang hatte es nur schwache Hinweise gegeben, dass sich außerhalb der bisher
bekannten Galaxie noch etwas befinden könnte.
"Es war richtig schockierend," beschrieb Astronom Armando Gil de Paz von den
Carnegie Observatorien in Pasadena, Kalifornien, seine ersten Eindrücke. "Der
größte Teil der Galaxie war völlig unbekannt, weil er im sichtbaren Licht nicht
zu sehen war." Die Forscher waren deshalb so überrascht, weil nur massereiche
Sterne vorwiegend im ultravioletten Licht leuchten. Aber diese Sternriesen leben
nur kurze Zeit, während ihre kleineren, leichteren Geschwister wie unsere Sonne
Milliarden Jahre existieren. Die Sterne in diesen Armen dürften nicht älter als
eine Milliarde Jahre sein, während die der bisherigen bekannten Scheibe bis zu
zehnmal älter sind.
Dr. Richard Tuffs vom Max-Planck-Institut in Heidelberg schätzt die
Gesamtmasse der Sterne in den neuen Armen auf etwa ein Hundertstel der Masse der
gesamten Galaxie. Allerdings könnte zusätzlich noch etwas Materie in Form von
Gas und Staub verborgen sein. Bisher gingen Forscher davon aus, dass solche
jungen Spiralarme schon vor langer Zeit verschwanden, nachdem die ersten
Galaxien entstanden waren. Damals war das Universum höchstens zwei Milliarden
Jahre alt.
"Wir sehen praktische eine Galaxie in einer Entwicklungsphase, von der wir
annahmen, dass es sie nur in jungen und weit entfernten Galaxien während der
frühesten Jugend des Universums gab," kommentierte Gil de Paz die Entdeckung.
Offensichtlich muss es in der jüngeren Geschichte von NGC 4625 etwas gegeben
haben, das zur rasanten Bildung der Sterne in den Spiralarmen führte. Gil de Paz
vermutet, dass die Nachbargalaxie NGC 4618 dafür verantwortlich ist.
Wahrscheinlich kamen sich beide Objekte einmal sehr nahe. Dann führte der
Einfluss der Schwerkraft von NGC 4618 dazu, dass sich das Gas in ihrer
Nachbargalaxie zu dichten Wolken formte, aus der zahlreiche massereiche neue
Sterne entstanden.
Interessanterweise besitzt NGC 4618 keine Spiralarme. Trotz ihrer
Nachbarschaft haben sich die beiden Milchstraßen unterschiedlich entwickelt.
Hier sind die Theoretiker gefragt, sich neue, verbesserte Modelle zur
Entwicklung der Galaxien auszudenken.
Lesen Sie weiter im 2. Teil: Auch in unserer
Nachbarschaft gibt es Überraschungen