Besuch aus
dem Halo unserer Galaxie
Redaktion
astronews.com
2. Dezember 2004
Wissenschaftler am Astrophysikalischen Institut in Potsdam haben einen
leuchtschwachen Zwergstern aus dem Halo aufgespürt, der offenbar gerade unserer
galaktischen Nachbarschaft einen Besuch abstattet. Der Stern ist 50 bis 80
Lichtjahre von der Erde entfernt und verfügt über eine der größten
Eigenbewegungen am Himmel, die in den letzten Jahrzehnten gemessen wurden.

Der kühle Unterzwergstern auf drei Archivaufnahmen (von oben):
1976 im blauen, 1985 im roten und 1994 im extrem roten optischen
Spektralbereich. Jedes Bild zeigt den gleichen 2,5 mal 2,5
Bogenminuten großen Himmelsauschnitt. Die Veränderung der
Sternposition ist deutlich zu erkennen, ebenso wie seine hohe
Leuchtkraft an der Grenze des optisch sichtbaren Lichtes zum
Infraroten. Bild: Astrophysikalisches Institut Potsdam /
Ralf-Dieter Scholz |
Wissenschaftler des Astrophysikalischen Instituts Potsdam (AIP) haben im
Sternbild Waage am Südsternhimmel einen leuchtschwachen Zwergstern mit einer
extrem hohen Eigenbewegung, d.h. einer sehr großen scheinbaren Bewegung am
Himmel, entdeckt. "Die Änderung seiner Position um etwa 3,5 Bogensekunden im
Laufe eines Jahres entspricht zwar nur etwa einem 500stel Durchmesser des
Mondes, ist aber eine der größten Eigenbewegungen von Sternen, die in den
letzten Jahrzehnten gemessen wurden", erläutert Dr. Ralf-Dieter Scholz,
Wissenschaftler am AIP.
In jüngster Zeit konnte die "Top 25"-Liste der so
genannten Schnellläufer mit derartig extrem großen Eigenbewegungen bereits
zweimal ergänzt werden. Eines dieser neu hinzugefügten Objekte wurde ebenfalls
vom Team um Scholz am AIP entdeckt: der nächste Braune Zwerg, epsilon Indi B,
der kurz darauf mit dem Very Large Telescope (VLT) der ESO in Chile als
ein enges Doppelsternsystem von Braunen Zwergen aufgelöst werden konnte (astronews.com
berichtete).
Das neu entdeckte Objekt mit dem kryptischen Namen SSSPM J1444-2019 scheint
ein besonders seltenes Exemplar der Klasse der kühlen Unterzwergsterne zu sein.
Dabei handelt es sich um sehr alte Sterne, deren chemische Zusammensetzung noch
stärker von Wasserstoff und Helium dominiert wird, als es bereits bei der Sonne
der Fall ist; Elemente schwerer als Helium sind in ihm nur etwa 1/3 so häufig
vorhanden wie in unserem Zentralgestirn.
Im Gegensatz zu der übergroßen Mehrheit der Sterne unserer Galaxie besiedeln
die Unterzwergsterne nicht die Scheibe der Milchstraße mit ihren Spiralarmen,
sondern sie bewegen sich im Halo der Galaxis, der ausgedehnten sphärischen
Komponente um die Milchstraßenscheibe. Während die Sonne und der Spiralarm, in
dem sie sich befindet, sich mit etwa 220 Kilometern pro Sekunde um das Zentrum
der Galaxis bewegen, nehmen die Objekte im Halo nicht an dieser Rotation teil,
sondern folgen individuellen Bahnen.
Wenn ein Halo-Objekt auf seiner Bahn die
Milchstraßenscheibe kreuzt, besitzt es eine hohe Geschwindigkeit von mehreren
hundert Kilometern pro Sekunde, relativ zu den Sternen der Scheibe. Halo-Objekte
in unserer Sonnenumgebung fallen deshalb durch ihre hohe Eigenbewegung auf.
Je kühler diese Objekte sind, desto leuchtschwächer und röter erscheinen sie.
Auch der am AIP neu entdeckte Unterzwergstern strahlt im roten Spektralbereich
wesentlich stärker als in den anderen Wellenlängen. Ebenso lässt sich seine
veränderte Position gut über die Jahre verfolgen.
Entdeckt wurde er durch die
systematische Suche in Archivdaten aus den SuperCOSMOS Sky Surveys (SSS),
in mehreren Himmelsdurchmusterungen im optischen Licht, sowie mit Hilfe der
Kombination mit Infrarotdaten des Two-Micron All Sky Surveys (2MASS). Die
genaue Klassifizierung des Objektes als Unterzwergstern mit einer Temperatur von
etwa 2.600 Kelvin und einer Masse von nur 8,5 Prozent der Sonnenmasse erfolgte
durch die Aufnahme von Spektren mit Hilfe verschiedener ESO-Teleskope sowie
durch den Vergleich mit Sternentwicklungsmodellen.
Die hohe Eigenbewegung sowie die große Radialgeschwindigkeit von –160
Kilometern pro Sekunde und die geschätzte Entfernung von 50 bis 80 Lichtjahren –
das entspricht in etwa 500.000 Milliarden Kilometer bis 800.000 Milliarden
Kilometer - lassen darauf schließen, dass es sich um das der Erde nächste kühle
Halo-Objekt handelt, dass zurzeit unsere direkte Nachbarschaft durchquert.
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