Know-how aus
dem All rettet Rehkitze
Redaktion
astronews.com
30. Juni 2004
Der oft
diskutierte Nutzen der Luft- und Raumfahrt zeigt sich für über 6.000 Rehe an
einer einfachen Tatsache: Sie leben noch. Ein von Fernerkundungsfachleuten des
DLR entwickelter "Wildretter" schützt junge Kitze vor tödlichen Gefahren.
Inzwischen wurde die Technologie weiter verbessert, so dass bald die zweite
Generation des "Wildretters" zum Einsatz kommen kann.
Die zweite Generation des DLR-Wildretters: Die Trägerstange ist
mit einem Mikrowellen- und einem Infrarotsensor ausgestattet.
Foto: DLR |
Der Nutzen von Investitionen in Luft- und Raumfahrttechnologie manifestiert
sich manchmal an ungewöhnlicher Stelle: Das zeigen beispielsweise die Zahlen von
Landwirten und Jägern, die in Österreich den im Deutschen Zentrum für Luft- und
Raumfahrt (DLR) in Oberpfaffenhofen entwickelten Wildretter nutzen. Seit 1999
führen sie Statistiken, die Aufschluss darüber geben, wie viele Rehkitze dank
der Geräte bei der Frühjahrsmahd gerettet werden. Die Zahl der in Sicherheit
gebrachten Tiere hat von Jahr zu Jahr deutlich zugenommen. Allein in diesem Jahr
lag sie bei rund 2.500. Insgesamt wurden bis zum heutigen Tag allein in
Österreich mehr als 6.000 Kitze vor dem Mähtod bewahrt.
Rehe lassen ihre Kitze in der ersten Lebenswoche gut getarnt im hohen Gras
allein. Gerade in dieser Zeit fahren die Landwirte ihre Frühjahrsmahd ein. Wenn
sich ein Traktor einem Kitz nähert, rennt dieses nicht etwa weg - es drückt sich
völlig reglos zu Boden. Die Folgen sind fatal: Allein in den alten deutschen
Bundesländern kommen Schätzungen zufolge bei der Frühjahrsmahd pro Jahr rund
60.000 Kitze ums Leben. Insgesamt werden 420.000 Wildtiere getötet oder
verstümmelt.
Gegen diese Zahlen kämpft der Wissenschaftler Dr. Volker Tank vom
DLR-Institut für Methodik der Fernerkundung bereits seit Ende der 80er Jahre an.
Als er den für die Falknerei benötigten Jagdschein machte, erfuhr er auch von
den tausenden Rehkitzen, die kurz nach ihrer Geburt auf den Wiesen ums Leben
kommen. 1987 ließ Tank den Wildretter patentieren. Über den Technologietransfer
des DLR nahm die Firma ISA-Industrieelektronik GmbH in Weiden die Idee auf -
1998 ging der erste Prototyp in Betrieb. Das Gerät funktioniert nach einem
relativ einfachen Prinzip: An einer ausziehbaren Trägerstange sind maximal 16
Infrarotsensoren angebracht. Sie empfangen die Körperwärme, die das Kitz im
hohen kühlen Gras abstrahlt. Sobald ein Tier geortet wird, schlägt der
Wildretter Alarm.
In der Praxis ist das System jedoch noch mit Problemen behaftet. Sobald
Sonnenstrahlen auf die Wiese fallen, erwärmt sich der Boden ungleichmäßig, warme
Stellen werden erkannt und führen zu störenden Fehlalarmen. Mit der Kitzsuche,
die oft mehrere Stunden in Anspruch nimmt, muss daher bereits in den frühen
Morgenstunden begonnen werden. Zwar wird mit dem Wildretter in einem Durchgang
ein Streifen von sechs Metern Breite abgesucht, trotzdem ist der zeitliche
Aufwand hoch.
In Zusammenarbeit mit der Firma ISA und der Technischen Universität München
entwickelt das DLR daher zurzeit die zweite Generation des Wildretters, der von
Sonnenschein nicht gestört wird und auch an landwirtschaftlichen Maschinen
angebracht werden kann. Das Gerät wird die Suche nach den Wildtieren wesentlich
erleichtern, da bereits während der Suche gemäht werden kann. Neben den
Infrarotsensoren werden zusätzlich Mikrowellensensoren im Einsatz sein, die
Wasser erkennen - ein Kitz besteht ebenso wie der Mensch zu 80 bis 90 Prozent
aus Wasser. Infrarot und Mikrowelle orten so gemeinsam "warmes Wasser", das im
hohen Gras ein eindeutiges Indiz für ein Tier ist.
Neben dem Tierschutz bietet der Wildretter den Landwirten auch Schutz vor
einer großen Gefahr: Werden Teile getöteter Tiere mit dem Mähgut siliert, können
sich in der Silage Bakterien entwickeln, die ein sehr starkes Gift erzeugen.
Wird die Silage an Kühe verfüttert, verenden die Rinder daran.
Ein weiteres Einsatzgebiet für den Wildretter der zweiten Generation könnte die
ökologische Landwirtschaft sein. Auf den Feldern der "Bio-Bauern" werden keine
Pflanzenschutzmittel eingesetzt. Das Unkraut muss mit einem landwirtschaftlichen
Gerät aus dem Boden gehackt werden. Damit dabei die Fruchtpflanzen nicht
zerstört werden, werden sie von vornherein in größeren Abständen voneinander
eingesät. Weil sich diese Abstandsflächen bei Sonneneinstrahlung schnell
erwärmen, sind sie bei Bodenbrütern sehr beliebt, die dort ihre Nester bauen.
Beim Unkrautjäten werden so in der ökologischen Landwirtschaft Jahr für Jahr
viele Gelege zerstört und Jungvögel getötet.
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