Das Rückgrat unseres Universums
Redaktion
astronews.com
25. Mai 2004
Ein
internationales Astronomenteam hat mit einem Survey der 447 hellsten
Galaxienhaufen am Südhimmel im Röntgenlicht eine bislang einmalige
Kartierung der räumlichen Verteilung der sichtbaren Materie im Universum
vorgelegt. Die Daten der Forscher unterstützen die These, dass sich
unser Universum beschleunigt ausdehnt. Ein Effekt, den man auf die
mysteriöse dunkle Energie zurückführt.
Dreidimensionale Verteilung der Galaxienhaufen, die mit Hilfe
des ROSAT Himmelsatlas identifiziert wurden. Zu sehen sind
Galaxienhaufen nördlich und südlich des abschattenden Bandes der
Milchstrasse. Foto:
Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik [Großansicht] |
Galaxienhaufen sind die größten, klar definierbaren Gebilde im Universum. Sie
enthalten zwischen mehreren Hundert bis vielen Tausend von Galaxien und eine
große Menge an Dunkler Materie. Ingesamt erreicht ihre Masse die Größenordnung
von einer Million mal einer Milliarde Sonnenmassen. Galaxienhaufen bilden die
dichtesten Gebiete in der großräumigen Struktur des Universums und finden sich
oft an Kreuzungen von Galaxienfilamenten oder flächigen Strukturen wie der
"Großen Mauer". Galaxienhaufen bilden auf diese Weise das "Rückgrat" in der
Struktur des Kosmos. Ein Team von deutschen, italienischen und britischen
Astrophysikern unter Leitung von Hans Böhringer vom Max-Planck-Institut für
extraterrestrische Physik in Garching hat in jahrelangen Studien diese
kosmischen "Marksteine" identifiziert, um die großräumige Verteilung der Materie
im Universum zu vermessen. Jetzt haben die Astronomen das Kernstück des
Galaxienhaufen-Katalogs veröffentlicht, die REFLEX-Stichprobe (Rosat-ESO-Flux-Limited
X-ray Cluster Survey) der 447 hellsten Galaxienhaufen am Südhimmel im
Röntgenlicht. Die Arbeit wird in einer der nächsten Ausgaben der Fachzeitschrift
Astronomy & Astrophysics erscheinen.
Da Galaxienhaufen sehr prominente Quellen von Röntgenstrahlung sind, nutzen die
Wissenschaftler den mit Hilfe des deutschen Röntgensatelliten ROSAT erstellten
Himmelsatlas im Röntgenbereich als Ausgangspunkt. Kombiniert mit optischen
Himmelsdurchmusterungen lieferte dieser Atlas eine erste Liste möglicher
Galaxienhaufen. Ihre endgültige Identifikation sowie die Bestimmung ihrer
Entfernung über die Rotverschiebung erfolgte in den vergangenen zwölf Jahren in
einem aufwändigen Beobachtungsprogramm der Europäischen Südsternwarte (ESO). Für
die ergänzende Inventur am Nordhimmel nutzten die Wissenschaftler sowohl das
deutsch-spanische Observatorium auf dem Calar Alto in Spanien als auch
Beobachtungen in den USA in Zusammenarbeit mit dem Harvard-Smithsonian Center
for Astrophysics. Mehr als 1.400 Galaxienhaufen konnten auf diese Weise
bisher kartiert werden.
Das jetzt veröffentlichte Kernstück des Galaxienhaufen-Katalogs, die
REFLEX-Stichprobe (Rosat-ESO-Flux-Limited X-ray Cluster Survey) zeigt die 447
röntgenhellsten Galaxienhaufen am Südhimmel. Sie bilden heute die kompletteste
Stichprobe von Galaxienhaufen und eignen sich besonders gut für weitere
kosmologische Studien. Die Abbildung oben zeigt die Verteilung der
Galaxienhaufen der gesamten Stichprobe. Deutlich sieht man, dass die
Galaxienhaufen nicht gleichmäßig im Weltraum verteilt sind, sondern sich in
deutlichen, sehr weitgespannten Strukturen konzentrieren. Die dichtesten Gebiete
werden als "Superhaufen" klassifiziert. Diese sind ein fossiles Zeugnis der
frühesten Strukturen des Universums, die in der so genannten inflationären
Periode entstanden sind. Die "Verklumpung" in der räumlichen Verteilung der
Galaxienhaufen kann man mathematisch charakterisieren und mit analogen Maßen aus
kosmologischen Modellrechnungen vergleichen, um zu testen, ob solche Modelle mit
den Beobachtungen vereinbar sind. Derartige Tests führten die Wissenschaftler
auch mit der REFLEX-Haufenstichprobe durch. Sie zeigen als eines der wichtigsten
Ergebnisse eine niedrige Massendichte des Universums, charakterisiert durch
einen Dichteparameter Omega zwischen 0.27 und 0.43.
Diese Ergebnisse stützen das Modell der "neuen Kosmologie", das von einer
beschleunigten Expansion des Universums ausgeht und das hauptsächlich in den
vergangenen fünf Jahren aufgestellt wurde. Die Kartierung der Galaxienhaufen
liefert komplementäre Information zu anderen kosmologischen Beobachtungen.
Während die Beobachtung des kosmischen Mikrowellenhindergrundes einen
Schnappschuss des Universums etwa 300.000 Jahre nach dem Urknall vermittelt,
zeigt die Verteilung der Galaxienhaufen die Struktur der Materieverteilung im
heutigen Universum. Die Stärke der Tests kosmologischer Modelle liegt daher im
gleichzeitigen Vergleich dieser Beobachtungen mit der Theorie. Nimmt man
beispielsweise die Beobachtungsergebnisse an Galaxienhaufen zusammen mit jenen
an entfernten Supernovae, so erhärtet sich der Befund eines beschleunigt
expandierenden Universums. Dies wird auf die Wirkung der Dunklen Energie
zurückgeführt.
Mit diesen ersten Ergebnissen konnte das Potential von Galaxienhaufenstudien für
kosmologische Tests demonstriert werden. Die REFLEX-Studie dient nun als
Wegweiser für weitergehende Projekte, wie die von der NASA bereits in Stufe A
bewilligte Röntgensatellitenmission "DUO" (Dark Universe Observatory),
die ganz darauf ausgerichtet ist, kosmologische Parameter zu messen und die
Rolle der Dunklen Energie mit Hilfe einer Galaxienhaufendurchmusterung zu
klären. Darüber hinaus bietet der REFLEX-Katalog eine statistisch präzise
ausgewählte Stichprobe von Galaxienhaufen für die astronomische Gemeinschaft,
die für die verschiedensten Studien genutzt werden kann. Galaxienhaufen dienen
z.B. als Laboratorien, um die Wechselwirkung sich bildender Galaxien mit ihrer
Umgebung durch die Freisetzung von Energie während der Sternbildung zu
untersuchen. Diese Energie wird als zusätzliche Wärme, über die gravitative
Heizung hinaus, im Innerhaufengas gemessen. Weiter ist von großen Interesse zu
untersuchen, wie die verschiedenen Galaxientypen entstehen und warum gerade die
Galaxien in Haufen eine andere Morphologieverteilung besitzen als Feldgalaxien.
Schließlich sind Galaxienhaufen interessante Gravitationslinsen, in der die
große Masse der Galaxienhaufen das Licht entfernter Galaxien wie eine Linse
bündeln und verstärken kann und in verzerrten bogenförmigen Bildern wiedergibt.
Während man diese Prozesse in einigen Galaxienhaufen bereits im Detail studiert
hat, bietet der neue Galaxienhaufenkatalog die Grundlage, solche Eigenschaften
systematisch für eine ganze Haufenpopulation zu untersuchen. Hans Böhringer,
Leiter der Studie, sagt dazu: "Das Ziel von Himmelsdurchmusterungen ist es eben,
die Einzelteile eines wissenschaftlichen Puzzles zu einem größeren Gesamtbild
zusammenzufügen, das uns in diesem Fall die tiefere Bedeutung der
Materiestrukturen im Universum erhellen soll."
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