"Kosmische
Vision" auf Sparflamme
Redaktion
astronews.com
10. November 2003
Das
ambitionierte ESA-Programm Cosmic Vision ist in der harten Realität der
Budgetplanung angekommen. Letzte Woche stutzte das wissenschaftliche
Programmkomitee das Zukunftsprogramm der europäischen Weltraumorganisation aus
Geldmangel zusammen. Unter den Tisch fiel dabei der Merkur-Lander und ein
wissenschaftlich bislang einmaliges Projekt zur Suche nach erdähnlichen
Planeten.
Muss ohne Lander auskommen: Die ESA-Mission BepiColombo zum
Merkur.
Bleiben erst einmal unentdeckt: Ferne erdähnliche Welten, die
eventuell Leben beherbergen können. Bilder: ESA |
Der Ausschuss der ESA für das Wissenschaftliche Programm (SPC) hat in seiner
105. Sitzung am 5./6. November weitreichende Beschlüsse zum Programm Cosmic
Vision gefasst. Aufgrund der gegenwärtigen finanziellen Lage und der Tatsache,
dass in absehbarer Zeit weder mit einer Aufstockung der Haushaltsmittel noch mit
einer andersgearteten Entlastung zu rechnen ist, sah sich der SPC gezwungen, die
Mission Eddington zu streichen und die Mission BepiColombo
einzuschränken.
Eddington hatte zwei ebenso bemerkenswerte wie für die Astronomie
unmittelbar relevante Ziele. Zum einen sollte die Sonde etwaige erdähnliche
Planeten außerhalb unseres Sonnensystems aufspüren, eine wesentliche Etappe auf
dem Weg zur Lösung des Rätsels, wie Leben entstanden ist, warum wir gerade an
dieser Stelle des Universums leben und ob es "dort draußen" andere Himmelskörper
gibt, auf denen Leben existieren könnte. Zum anderen sollte Eddington in die
Fußstapfen der Sonnenforschungsmission SOHO der ESA und der NASA treten und mit
Hilfe der Astroseismologie Sterne "von innen" erkunden. Noch vor einem
Monat hatte die ESA auf ihrer Webseite Werbung für die Mission gemacht.
Auch der unfreiwillige Verzicht auf das Landegerät von BepiColombo ist
wissenschaftlich ein schwerer Schlag. Zwar hält die ESA - in Zusammenarbeit mit
der japanischen Raumfahrtagentur JAXA - an der Entsendung zweier Orbiter zum
Merkur fest, aber die nun ausbleibenden Daten von dessen Oberfläche sind ein
großer Verlust. Andererseits ist eine Landung auf einem so sonnennahen Planeten
keine Routineangelegenheit und war unter den jetzigen Umständen, so die ESA,
"eine Nummer zu groß" - womit Europa die Chance verpasst haben dürfte, hier
Pionierarbeit zu leisten.
Die Ursachen der Probleme wurden bereits auf der Juni-Tagung des Rates
festgestellt. Im Frühjahr gab es durch verschiedene Ereignisse einen erhöhten
und unerwarteten Geldbedarf: der eindeutigste und bekannteste Fall war natürlich
das unvorhergesehene Startverbot für die Ariane-5 im Januar, wodurch sich
die Missionen Rosetta und SMART-1 verzögert haben. Ein kurzfristig
gewährtes Darlehen von 100 Millionen Euro muss aus den gegenwärtig verfügbaren
Mitteln bis Ende 2006 zurückgezahlt werden.
Der SPC stand unter Zugzwang: Die unmittelbar bevorstehenden Missionen mussten
stark eingeschränkt werden, um den Gesamtfinanzrahmen des Programms nicht zu
sprengen. Mit den Entscheidungen, die er in der vergangenen Woche gefällt hat,
hat der SPC das Programm "Kosmische Vision" notgedrungen auf ein Maß
zurückgestutzt, das eher den finanziellen Bedingungen als den Ambitionen der
Wissenschaft gerecht wird.
Eine lange und schwierige Diskussion in der Sitzung des Ausschusses hat zu dem
Ergebnis geführt, dass zum jetzigen Zeitpunkt nur eine einzige neue Mission
gestartet werden kann, nämlich "LISA Pathfinder", der technische Vorläufer zum
weltweit ersten Astronomieteleskop für den Nachweis von Gravitationswellen,
LISA. Der Beginn der Mission LISA selbst, ein Gemeinschaftsvorhaben mit den USA,
ist für das Jahr 2012 geplant.
Das ESA-Programm "Kosmische Vision", das bis 2012 dauern soll (astronews.com
berichtete), ist ein dynamisches Programm, das sich ständig den verfügbaren
Finanzmitteln einerseits und den Erwartungen der Wissenschaft und den
technologischen Entwicklungen andererseits anpassen muss. Die unter diesen
Voraussetzungen vom SPC gefassten Beschlüsse sind darauf ausgerichtet, den
Ertrag des Programms fachübergreifend zu maximieren und dafür zu sorgen, dass es
sowohl anspruchsvoll als auch finanzierbar bleibt.
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