TEILCHENPHYSIK
Überraschung
beim Mini-Urknall
von Stefan
Deiters
astronews.com
13. November 2002
Wissenschaftlern ist es gelungen, im Relativistic Heavy Ion Collider
(RHIC) des Brookhaven National Laboratory Temperaturen zu erzeugen,
die es zuletzt Mikrosekunden nach dem Urknall im Universum gab. Eigentlich
dachten die Forscher, dass sie die dort auftretenden Wechselwirkungen
zwischen Energie, Materie und der starken Kernkraft gut verstanden hätten,
doch lieferte eine gründliche Analyse mehr Fragen als Antworten.
Fehlt am Ende ein wichtiger Baustein, um zu verstehen, wie das Universum
funktioniert?

Luftaufnahme des Brookhaven National Laboratory.
Foto:
Brookhaven National Laboratory |
"Es sind immer die Dinge, die man nicht erwartet, die für Fortschritte in der
Wissenschaft sorgen", meinte Steven Manly, Professor für Physik und Astronomie
an der Universität von Rochester und einer der Autoren eines Beitrags in der
Fachzeitschrift Physical Review Letters, in dem die überraschenden
Ergebnisse vorgestellt werden. "Die grundlegende Natur der Wechselwirkung in dem
heißen und sehr dichten Medium - oder zumindest das, was wir davon sehen können
- scheint sich mit dem Blickwinkel zu ändern unter dem wir sie betrachten. Und
das verstehen wir absolut nicht. Wir haben hier ein paar neue Puzzle-Teile
bekommen und sind jetzt gerade dabei herauszufinden, wie diese ins Gesamtbild
passen."
Im Relativistic Heavy Ion Collider (RHIC) haben Manly und seine
Kollegen versucht hinter die Geheimnisse der elementaren Kraft zu kommen, die
Atome im Inneren zusammenhält. Dazu haben sie zwei Goldatome mit nahezu
Lichtgeschwindigkeit aufeinander geschossen und dadurch ein so genanntes Quark-Gluonen-Plasma erzeugt, einen Materiezustand, bei dem die Temperatur viele Tausend Mal höher ist als im Inneren der heißesten Sterne. Teilchen
entweichen aus diesem Plasma, kollidieren dabei aber mit anderen Teilchen. Wie
dies geschieht wird durch die starke Kernkraft bestimmt. Beobachtet man also den
Teilchenstrom aus dem Plasma heraus, kann man etwas über die starke Kernkraft
bei diesen Temperaturen erfahren.
Um ihre Beobachtungen zu erleichtern, ließen die Physiker die Atomkerne nicht
frontal aufeinanderprallen, sondern leicht versetzt. Das führte zu einer
Plasmawolke, die nicht kugelförmig ist, sondern eher wie ein amerikanischer
Fußball aussieht. Teilchen, die zu den längeren Enden hinauswandern, müssen also
mehr Plasma durchlaufen als Teilchen, die den kürzeren Weg nutzen. Aus den
Unterschieden in der Teilchenzahl, die aus den beiden Regionen austraten,
erhofften sich die Forscher mehr über die Eigenschaften der heißen Materie und
schließlich auch über die starke Kernkraft selbst zu erfahren.
Doch die Forscher erlebten eine Überraschung: Direkt an dem Ort, wo die
Kollision stattfand, traten tatsächlich die erwarteten Unterschiede auf, doch
etwas von dem exakten Punkt der Kollision entfernt, gab es keinerlei Differenz
mehr. Dies rüttelte an einigen Grundüberzeugungen der Physiker: "Als wir die
Ergebnisse erstmals auf einer Tagung präsentierten, wollte uns das Publikum
nicht glauben", so Manly. "Aber wir haben über ein Jahr lang alles noch einmal
gründlich überarbeitet und es bleibt bei dem Befund."
Außer der Tatsache, dass den Wissenschaftlern offenbar ein entscheidendes
Puzzle-Teilchen in der Theorie fehlt, hat das Ergebnis ganz konkrete Bedeutung
für solche Kollisions-Experimente: Es reicht offenbar nicht mehr, nur an dem
Punkt zu messen, an dem die Partikel aufeinander getroffen sind: Man muss das
gesamte Plasma vermessen, was den Rechenbedarf bei den Auswertungen dramatisch
vergrößern dürfte.
Das Verständnis solcher Kollisions-Experimente ist für die grundlegende
Forschung von erheblicher Bedeutung: Genau wie aus Wasserdampf Wasser
wird, sollte aus dem Plasma einmal normale Materie werden. Ein Verständnis der
Vorgänge in dem Quark-Gluonen-Plasma könnte also helfen zu verstehen, wie das
Universum überhaupt entstanden und beschaffen ist. "Das Verständnis der Dynamik
dieser Kollisionen ist wirklich extrem wichtig, um die Informationen zu bekommen
die wir haben wollen", so Manly. "Und vielleicht haben wir hier gerade einen
Hinweis gefunden, dass etwas ganz Fundamentales anders ist - etwas, dass wir
nicht verstehen. Zumindest noch nicht."
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