ARTEMIS
Logbuch
einer Rettungsaktion
Redaktion
astronews.com
15. Juli 2002
Vor einem Jahr
sah es nach einer großen Pleite für die Europäische Weltraumagentur ESA aus: Der
Satellit Artemis wurde von einer Ariane 5 Rakete in eine zu
niedrige Umlaufbahn gebracht, die Mission schien verloren. Zwölf Monate später
hat sich das Blatt gewendet: Artemis ist inzwischen
zum Synonym für die Fähigkeit europäischer Ingenieure geworden, Lösungen für
unerwartete Situationen zu finden.

Artemis. Bild: ESA |
Artemis lebt, und langsam aber sicher nähert sich der Satellit dank
seiner hierfür eigentlich nicht ausgelegten Ionentriebwerke seiner geplanten
geostationären Einsatzposition. Durch die erfolgreiche erstmalige Verwendung
einer Laserverbindung im Weltraum wurde außerdem eine neue Möglichkeit der
Datenübertragung zwischen Satelliten nachgewiesen. Damit bestehen beste Chancen,
dass der anfangs verloren geglaubte Satellit seine bahnbrechende
Telekommunikationsaufgabe doch noch erfüllen kann.
Rückblende: Vor einem Jahr hat eine Ariane 5 Rakete wegen eines
Funktionsfehlers in ihrer Oberstufe den ESA-Nachrichtensatelliten Artemis
in einer zu niedrigen elliptischen Umlaufbahn ausgesetzt: Das Apogäum (also die
größte Entfernung von der Erde) lag lediglich bei 17.487 Kilometer und damit
weit entfernt von dem der anvisierten geostationären Übergangsbahn in einer Höhe
von 35.853 Kilometer. Ein Team von Spezialisten der ESA und der Industrie
reagierte unverzüglich mit einer Reihe innovativer Steuermanöver, um den
Satelliten zu retten. Unter Verwendung fast seines gesamten chemischen
Treibstoffs konnte Artemis bereits wenige Tage nach dem Start der Umlaufbahn,
die ihn durch die tödlichen Van Allen-Gürtel führte, entfliehen und unversehrt
eine kreisförmige Umlaufbahn in 31.000 Kilometer Höhe erreichen.
Seither gingen die Rettungsbemühungen unter Verwendung der in redundanten
Paaren an dem Satelliten angebrachten vier Ionentriebwerke unvermindert weiter.
Diese neuartigen Triebwerke funktionieren nicht mit herkömmlichem chemischem
Treibstoff, sondern mit ionisiertem Xenongas. Ursprünglich sollten sie lediglich
dazu dienen, mit Impulsen senkrecht zur Bahnebene die Neigung des Satelliten zu
regeln. Das Rettungsverfahren erfordert jedoch Impulse parallel zur Bahnebene,
um den Satelliten auf seine Endbahn zu hieven. Ermöglicht wurde dies dadurch,
dass der Satellit in der Bahnebene um 90° gegenüber seiner normalen Lage gedreht
wurde.
Unter optimaler Nutzung der Flugkonfiguration des Satelliten wurden neue
Strategien entwickelt, um nicht nur die Bahnhöhe anzuheben, sondern auch der
natürlichen Erhöhung der Bahnneigung entgegenzuwirken. Um diese neuen Strategien
umzusetzen, waren neue Bahn- und Lageregelungsverfahren, ein neues
Stationsnetzwerk und neue Flugkontrollverfahren notwendig. Für das neue
Verfahren zur Steuerung der Ionentriebwerke mussten rund 20 Prozent der
ursprünglichen Satellitenkontrollsoftware umgeschrieben werden. Dank des
umprogrammierbaren Bordkontrollkonzepts konnten diese Änderungen in Form von
Software-Paketen per Datenaufwärtsverbindung zum Satelliten gefunkt werden -
insgesamt 15 000 Wörter und damit die umfangreichste Neuprogrammierung von
Flugsoftware, die je bei einem Nachrichtensatelliten vorgenommen wurde.
Ende Dezember 2001 war die Arbeit an der neuen Software abgeschlossen; für ihre
Validierung wurde der Simulator des Satelliten als Prüfstand genutzt. Mit der
Charakterisierung der vier Ionentriebwerke waren sämtliche Vorbereitungsarbeiten
abgeschlossen, worauf am 19. Februar dieses Jahres die Bahnanhebungsmanöver mit
dem Ionenantriebssystem eingeleitet wurden. Seit Beginn der Manöver mussten die
Satellitenkontrolleure auf zahlreiche unvorhergesehene Situationen reagieren, da
ein realistischer Test der neuen Strategie nur am Satelliten selbst möglich war.
Anders als bei herkömmlichen Abnahmeprüfungen steht für die detailgetreue
Erprobung dieses Szenarios kein Prüfstand zur Verfügung.
Dank der hohen Flexibilität und Redundanz des Systementwurfs konnte die
Bahnanhebung bisher stetig fortgesetzt werden, wenn auch langsamer als
theoretisch möglich. Am ersten Jahrestag seines Starts hatte Artemis mit dem
bescheidenen Schub von nur 15 Millinewton seiner Ionentriebwerke bereits über
1500 Kilometer an Höhe gewonnen, durchschnittlich 15 Kilometer pro Tag.
Aus mehreren Gründen können zwei der vier Triebwerke (die auf dem Südpaneel)
derzeit nicht benutzt werden. Das Manöver wird daher gegenwärtig mit einem
einzigen Triebwerk auf dem Nordpaneel fortgesetzt. Unter zusätzlicher Drehung
des Satelliten um seine Rollachse können jedoch weiterhin pro Tag rund 15 km an
Höhe gewonnen werden. Bei einer Reststrecke von 3000 Kilometer wird es demnach
noch etwa 200 Tage dauern, bis die geostationäre Umlaufbahn erreicht ist, was
bedeutet, dass die Nutzlasten von Artemis Anfang 2003 ihren Betrieb aufnehmen
können.
Zwischen der Ankunft in der Parkbahn und dem Beginn der Bahnanhebungsmanöver
vergingen mehrere Monate, die für Versuche mit den Nutzlasten zur Überprüfung
ihrer Leistungen genutzt wurden. Am spektakulärsten war die Demonstration des
SILEX-Betriebs. Nach einer erfolgreichen anfänglichen Erprobung der Nutzlast
unter Verwendung der optischen Bodenstation der ESA auf Teneriffa wurde die
optische Verbindung zwischen Artemis und SPOT-4 hergestellt. Am 30. November
2001 gelang die Weltpremiere: Die Bilddaten eines niedrig fliegenden Satelliten
wurden über einen Laserstrahl zu einem (fast) geostationären Satelliten
übertragen und von diesem zum Datenverarbeitungszentrum in Toulouse
weitergeleitet.
Insgesamt wurden 26 Versuche zum Aufbau der optischen Verbindung unternommen,
die alle erfolgreich verliefen. In keinem Fall brach die Verbindung vor dem
geplanten Zeitpunkt ab. Die Qualität der Verbindung war mit einer gemessenen
Bitfehlerrate von 10-9 nahezu vollkommen: Diese Zahl bedeutet, dass
von 1.000.000.000 übertragenen Bits höchstens ein Bit fehlerhaft empfangen wird.
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