Lange Aufenthalte in der Schwerelosigkeit haben beträchtliche Auswirkungen
auf den Organismus von Astronauten, in erster Linie Veränderungen in Knochen und
Muskeln. Um den Anforderungen langer Einsätze auf der Internationalen
Raumstation (ISS) gerecht zu werden, arbeiten die Europäische
Weltraumorganisation (ESA) und die Raumfahrtagenturen Frankreichs (CNES) und
Japans (NASDA) auf der Erde an der Entwicklung so genannter "Gegenmaßnahmen".
Diese werden in Versuchsreihen an gesunden Testpersonen erprobt, in denen die
Schwerelosigkeit durch eine dreimonatige strenge Bettruhe mit dem Kopf in 6 Grad
Tieflage simuliert wird. Eine solche Studie wird derzeit in der
"Raumfahrtklinik" im französischen Toulouse durchgeführt.
Ihr erster Abschnitt fand von August bis Dezember vergangenen Jahres mit 14
Freiwilligen statt, die allesamt bis zum Ende durchgehalten haben. Ihre
medizinischen Nachuntersuchungen im Januar und im März haben gezeigt, dass sie
wohlauf sind. Der zweite Abschnitt, für den 11 Bewerber ausgewählt wurden,
begann am 22. März und wird bis zum 27. Juli dauern. Auch hier sind eine
zweiwöchige Vorbereitungsphase, die dreimonatige Bettruhe und anschließend eine
zweiwöchige Erholungsphase vorgesehen.
Diese Untersuchung unter Verwendung des Bettruhemodells ist die erste dieser
Komplexität und Dauer, die in Europa durchgeführt wird. Während ihres Verlaufs
werden auch das Herz-Kreislauf-System, die neuro-endokrine Regulierung der
Urinerzeugung, das psychologische Verhalten und Veränderungen des
Schlaf-Wach-Zyklus untersucht. Sie soll der Medizin zu einem besseren
Verständnis der schädlichen Auswirkungen von unfall- oder krankheitsbedingter
längerer Bettruhe auf Knochen und Muskeln und zu Erkenntnissen über mögliche
Gegenmaßnahmen verhelfen. Auch ist die Erprobung neuer Techniken wie
beispielsweise die Messung der Bewegungen des Patienten durch Spezialmatratzen
vorgesehen, die für die Verhütung von Wundliegen und die Überwachung von
Schlafstörungen äußerst vielversprechend sind.
Die Experimente wurden von europäischen Wissenschaftlern auf eine Bekanntmachung
der ESA hin sowie von NASDA-Wissenschaftlern für knochenphysiologische Forschung
vorgeschlagen. Zehn wissenschaftliche Gruppen mit insgesamt rund 80 Forschern
sind an ihnen beteiligt.
Wie während des ersten Abschnitts müssen sich die Testpersonen zahlreichen
Untersuchungen wie Belastungstests, Messungen der Knochendichte,
Magnetresonanzaufnahmen und Muskelbiopsien unterziehen. Ferner sollen eingehende
histologische, biochemische und biologische Analysen Klarheit über die Reaktion
der Körperzellen und Moleküle auf die neuen Lebensbedingungen bringen. Im
Anschluss an die Studie werden die Testpersonen nach 45 Tagen, drei Monaten,
sechs Monaten und einem Jahr gezielten ärztlichen Kontrolluntersuchungen
unterzogen. Nachuntersuchungen finden über einen Zeitraum von insgesamt drei
Jahren statt.
In ihrer Freizeit können die Testpersonen lesen, fernsehen und Computer
benutzen. Auch während der im Bett servierten Mahlzeiten dürfen sie den
Oberkörper nicht aufrichten. Sie können regelmäßig mit ihren Familienangehörigen
und Freunden telefonieren, haben aber sonst während der drei Monate keinen
direkten Kontakt zur Außenwelt.
Um zu schlüssigen wissenschaftlichen Ergebnissen zu gelangen, wurde auch diesmal
beschlossen, eine möglichst homogene Gruppe zu bilden. Aus diesem Grund wurden
nur männliche Kandidaten im Alter von 25 bis 45 Jahren in Betracht gezogen. Die
aus insgesamt 450 Bewerbern letztlich ausgewählten 11 Versuchspersonen - 10
Franzosen und ein Belgier - sind zwischen 26 und 35 Jahre alt. Unter ihnen
befinden sich sowohl Manager als auch IT- und Mobilfunktechniker, ein
Biochemiestudent, ein Musiker und der Geschäftsführer eines Restaurants.
Für die Auswahl der Kandidaten und die Durchführung der Studie ist ein Team aus
medizinischen und psychologischen Sachverständigen des französischen Instituts
für Raumfahrtmedizin und -psychologie (MEDES) verantwortlich. Das in Toulouse
ansässige Institut hat über zehn Jahre Erfahrung in der Abwicklung von
Bettruheexperimenten. Seit 1996 haben Mitarbeiter der "Raumfahrtklinik" an sechs
verschiedenen Bettruhestudien teilgenommen.