Wie viel Materie gibt es im Weltall? Mit einer (richtigen)
Antwort auf diese Frage, könnte man sich mit Sicherheit einen ehrenvollen
Platz in der Reihe bedeutender Astronomen sichern. Eine Gruppe von
Wissenschaftlern versuchte nun mit Hilfe des Very Large Telescope (VLT)
der Europäischen Südsternwarte (ESO) dem Rätsel auf die Spur zu kommen.
Dabei bauten sie auf Einsteins Hilfe.
VLT-Aufnahme
eines Galaxienhaufens (oben) und die errechnete Massenverteilung
in dieser Blickrichtung (unten). Der Galaxienhaufen (Kreis) ist auch auf
dem Bild der Massenverteilung gut auszumachen. Foto/Darstellung:
ESO
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Der Materiegehalt des
Universums ist eine unter Kosmologen heiß begehrte Zahl, hängt von ihm doch
quasi das Schicksal unseres Weltall ab: Alle kosmologischen Modelle enthalten
diesen bislang nur grob bekannten Parameter und können daher nur ungenau über
die Zukunft des Alls Auskunft geben: Ist im All genug Materie enthalten, wird diese
irgendwann durch ihre Gravitationskraft die Expansion des Universums stoppen
und es vielleicht wieder zum Zusammenfallen bringen. Ist nicht genug vorhanden,
könnte unser Weltall sich unendlich lange weiter ausdehnen. Hauptproblem
bei der Suche nach dem Materiegehalt des Alls: Die Astronomen gehen davon
aus, dass der größte Teil der Materie im Universum nicht sichtbar ist, sich also
nicht direkt als Sterne oder Galaxien beobachten lässt.
Um nun hinter den
Anteil der sogenannten dunklen Materie an der Gesamtmasse des Universum zu
kommen, nutzte ein internationales Astronomenteam erstmals das Very Large
Telescope auf dem Gipfel des Paranal in Chile. Die Wissenschaftler machten
sich dabei einen Effekt zu Nutze, der in Einsteins Relativitätstheorie
beschrieben wird: Lichtstrahlen können durch eine Massenkonzentration
abgelenkt werden. Ein Lichtstrahl einer entfernten Galaxie würde also auf dem
Weg zur Erde durch ein Massenansammlung gestört. Sehr massereiche
Objekte wirken als starke sogenannte Gravitationslinsen, die dafür sorgen, dass man das
Bild einer Galaxie gleich mehrfach sieht.
Doch es gibt auch
einen schwachen Gravitationslinsen-Effekt, der eigentlich überall präsent ist
und für eine Dehnung des Bildes in eine bestimmte Richtung bei allen Objekten
sorgt, die sich hinter dieser Gravitationslinse befinden. Leider ist dieser
Effekt nur recht schwer aufzuspüren, man muss in einer bestimmten Himmelsregion
nach Galaxien suchen, die irgendwie in die gleiche Richtung ausgerichtet zu sein
scheinen. Daraus lässt sich dann die Gesamtmasse und die Ausdehnung der
verborgenen Gravitationslinse berechnen.
Dank der guten
Abbildungsleistung des Very Large Telescopes konnten die Astronomen die
Gestalt und Orientierung von über 70.000 Galaxien mit großer Präzision messen
und nachweisen, dass entfernte Galaxien nicht etwa zufällig orientiert sind,
sondern sich in bestimmter Weise anordnen. Und dies, so die Astronomen, ließe
sich eben nur durch "Klumpen" von dunkler Materie erklären, die sich
in großen Filamenten im All verteilen. Die beiden Abbildungen zeigen wie aus
einem VLT-Foto (oben) die dazugehörige dunkle Massenverteilung berechnet wurden
(unten).
Durch diese Analyse
konnten die Astronomen auch einen Grenze für die gesamte Massendichte im
Universum auf Grundlage des Gravitationslinsen-Effekt angeben. Es zeigte sich,
dass ihre Abschätzung sehr gut mit anderen aktuellen Methoden übereinstimmte.
Dabei ist wichtig, dass nicht nur das Ergebnis einer Himmelsregion betrachtet
wird, sondern dass alle insgesamt 50 untersuchten Himmelsregionen quasi aufaddiert werden. Am Ende
erhielten die Wissenschaftler einen Wert, der weniger als halb so groß ist, wie
der, der nötig wäre, um die Expansion des Universums zu stoppen. Dieses Ergebnis, so
die Forscher, würde auch die Existenz einer kosmologischen Konstante
unterstützen, die oft als Energiedichte des Vakuums interpretiert wird.