also ich habe bisher an drei Tagungen teilgenommen. Ich habe dabei die Erfahrung gemacht, dass meine Poster so gut wie gar nicht betrachtet wurden obwohl ich mir viel Mühe bei der Erstellung gegeben habe. Auch die Poster der anderen Leute wurden kaum intensiv und ausgiebig betrachtet, allenfalls nur flüchtig im Vorübergehen.
Hallo Landogarner,
herzlichen Dank für Deine ausführliche Antwort und Dein Vertrauen.
Bei der Konferenz, an der meine Frau teilnahm, habe ich das auch bemerkt. Ich war mal bei einer Postersession und war überrascht, dass mir die Posterersteller obgleich ich sie vorgewarnt habe, dass ich kein Chemiker, sondern nur Mathematiker bin, bereitwillig und gerne über ihre Arbeit Auskunft erteilt haben, weil sie eben kaum Besucher hatten.
Aus dieser Beobachtung habe ich den Schluss gezogen, dass die sogenannten Poster-Sessions eigentlich einfach nur Kaffeepausen sind. Die Konferenzteilnehmer flanieren umher, trinken Kaffee und essen Kekse und kommen ins Gespräch. Die Darstellung wissenschaftlicher Inhalte durch Poster ist nur Alibi.
Das kann ich nicht beurteilen, da ich ja nur eine Begleitperson war. Dennoch scheint mir das ins Gespäch kommen gerade in der heutigen Zeit
sehr wichtig zu sein.
Die Qualität der Vorträge fand ich zu 90% eher schlecht.
Ich habe gerade meine Frau gefragt, zumindest im Jahre 2006 war die Qualität mehrheitlich gut und die Vortragenden waren auch sehr gut vorbereitet. - Aber das ist schon 14 Jahre her.
Auch in Fachkonferenzen ist es wichtig einen Vortrag didaktisch sinnvoll aufzuziehen, was leider allzu oft ignoriert wird. Es werden stattdessen Daumenkino-ähnlich zu viele Folien durchgaloppiert. Das Wesentliche bleibt auf der Strecke.
Ok, Didaktik ist oft nicht einfach; wenn ich in der Firma etwas präsentiere halte ich meine Präsentation immer zuvor in leerem Auditorium, um zu sehen, ob die Zeit überhaupt ausreichend ist oder zu viele Folien durchgaloppiert werden müssen, was ja niemandem etwas bringt.
Bei meiner letzten Präsentation habe ich (einfache) mathematische Inhalte präsentiert, so dass ich das auf Deutsch, also in der Muttersprache der Teilnehmer, gehalten habe; dafür habe ich die vorgängige Präsentation nicht vor leerem Auditorium, sondern mit den nicht-deutschsprachigen Teilnehmern zusammen auf Englisch gehalten.
Ich habe mir dann oft gedacht, wenn ich die Woche, die ich auf der Konferenz verbracht habe, verwendet hätte um ein Lehrbuch durchzuarbeiten, hätte ich meine Zeit sinnvoller genutzt.
Das networking entfällt dann aber und das ist in der heutigen Zeit immer wichtiger. Die richtigen Leute zu kennen ist mittlerweile wieder wichtiger geworden als der perfekte Lebenslauf mit grossartigen Qualifikationen, deren Wert HR ohnehin nicht versteht.
Dennoch habe ich auf den Konferenzen immer versucht den Vorträgen zu folgen. Das gilt nicht für alle in der Zuhörerschaft. Mehr als 50% der "Zuhörer" schauen in ihr Laptop und programmieren, bearbeiten E-Mails, bereiten ihren eigenen Talk vor, facebooken, oder buchen ihren nächsten Flug. Das ist unhöflich gegenüber dem Vortragenden. Da frage ich mich schon warum die sich dann überhaupt in den Vortrag reinsetzen bzw warum die überhaupt zur Konferenz gehen, wenn sie nicht wirklich Zeit und oder Interesse für die Inhalte haben.
Vielleicht weil sie vom Prof geschickt werden. Ausserdem gefallen sich diese Leute oft darin, grossprahlerisch zu erzählen, dass sie diesen und jenen Vortrag gehört haben, dabei geht es ihnen primär um das Networking und da ist Mail-Bearbeitung und Talk-Vorbereitung wichtiger als dem Vortragenden zu folgen. Natürlich ist das dem Vortragenden gegenüber unhöflich, aber am Arbeitsplatz ist so etwas längst gang und gäbe und tatsächlich stehe ich dann immer schlecht da, wenn ich nach einem Tag Workshop nicht noch nebenher andere Arbeiten erledigt habe, zumal die Kollegen das doch können.
Kurz: Ich habe den Eindruck dass es bei Konferenz kaum auf Inhalte ankommt sondern vielmehr auf Netzwerken. Ob aber das Netzwerken den ganzen Treibhausgas-Ausstoß wert ist, muss man sich schon fragen.
Das hängt von der Karriere ab, die Du anstrebst. Inzwischen wird aber auch von Nicht-Kaderpersonen erwartet, dass sie so arbeiten. Auch kostenlose Sonntagsarbeit, d.h. Zeit, die man nicht erfassen und entsprechend auch nicht kompensieren kann, wird bei uns seit einem dreiviertel Jahr für Nicht-Kaderpersonen erwartet. Dieser neue Arbeitsstil hat dazu geführt, dass von fünf Projektmitarbeitenden zwei wegen Erschöpfung im Krankenhaus gelandet sind; eine Person hat sofort die Konsequenzen gezogen, da sie ohnehin schon längst einen Vertrag für einen anderen Job hatte, die andere bangt nun um die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisse. Willkommen im Jahr 2020 !
Freundliche Grüsse, Ralf