Oh doch, jeder grosse Körper dort draussen (mal abgesehen von Makemake und Haumea, die nach Eris entdeckt wurden) wurde in den Medien bei seiner Entdeckung jeweils als "möglicher 10. Planet (!?!)" gehandelt, inklusive Varuna und Quaoar (und Sedna, natürlich). Ich erinnere mich sehr gut an diese Berichte. Ich dachte schon damals: falls wir wirklich mal einen weiteren Planeten dort draussen finden, wird es niemanden mehr interessieren, weil alle die gleiche Story schon 100x gehört haben...
Hallo Bynaus,
ich denke, Du reduzierst das Ganze zu sehr auf den Pluto und auf dessen Fans.
Meines Wissens bist Du deutlich jünger als ich und hast vermutlich die Zeit, in denen so ein 10.Planet durchaus ein grosses Thema war, nicht aktiv mitbekommen - ich spreche hier von den späten 1960'iger und frühen 1970'iger Jahren.
Historisch ist die Sache sehr einfach: die Umlaufbahn des Planeten Uranus zeigte unerklärliche Abweichungen, aufgrund derer man einen weiteren Planeten vermutete und dessen Bahn berechnete. Ob diese Berechnungen korrekt waren ist umstritten, doch fand man nur 1° vom berechneten Ort entfernt tatsächlich einen weiteren Planeten, nämlich den Planeten Neptun.
Aufgrund der Mitte des 19.Jahrhunderts verfügbaren Bahndaten der Planeten Uranus und Neptun konnte der Planet Neptun nicht alle Abweichungen der Uranusbahn erklären, so dass man einen weiteren unbekannten Planeten vermutet hat, der die Bezeichnung "Planet X" erhielt; X nicht für 10 - man kannte ja erst derer acht, sondern für "unbekannt". Percival Lowell hat dann ja riesige Anstrengungen unternommen und diese Forschung auch finanziell stark gefördert, diesen neuen Planeten zu entdecken; er hatte den Pluto sogar auf einer seiner Fotoplatten, ihn aber übersehen weil er nach einem helleren Objekt Ausschau hielt. Erst 14 Jahre nach seinem Tod wurde der Pluto dann im Jahre 1930 entdeckt. Bei dieser gewaltigen Himmelsdurchmusterung hätte eigentlich auch die Makemake entdeckt werden können, doch befand sie sich in einem sternreichen Gebiet und konnte deswegen leider nicht gefunden werden.
Sehr bald mal wurde klar, dass selbst unter optimistischen Annahmen der Pluto nicht für die verbliebenen Bahnabweichungen des Uranus verantwortlich sein konnte, so dass der Pluto als Sonderling eingestuft wurde und weiter nach einem solchen Planeten X zur Erklärung der verbliebenen Bahnabweichungen des Uranus gesucht wurde. Dieser Planet X wäre nun auch der 10.Planet gewesen. Meist wurde dieser hypothetische Planet als Transpluto bezeichnet. Ein ganz aussichtsreicher Kandidat wurde aufgrund der Perihelverschiebungen zweier oft beobachteter Kometen errechnet: der hatte ungefähr Saturngrösse und hätte allerdings eine polare Umlaufbahn, was nicht gerade den Vorstellungen betreffend eines Planeten entsprach. Dieser errechnete Planet wurde in der 12.Grösse vermutet, so dass es sehr überraschend war, dass er noch nicht entdeckt worden war. - Somit verblieben die beiden Möglichkeiten, dass er in einer sternreichen Region steht oder - sehr viel wahrscheinlicher - dass es ihn gar nicht gibt.
Erst mit dem Vorbeiflügen der Voyager 2-Sonde an den Planeten Uranus und Neptun konnte deren Masse genauer bestimmt werden, so dass sich die verbliebene Bahnabweichung des Uranus als nicht vorhanden erwies. Im Jahr 1989 hat sich somit das Thema Transpluto aufgrund der genaueren Massenbestimmungen aufgeklärt und für die Annahme eines Planeten X gab es keinen Grund mehr.
Doch nur kurze Zeit später ging es in eine andere Richtung: statt eines
transplutonischen Planeten, der nicht mehr benötigt wurde, entdeckte man nach Chiron und kurz nach Pholus
transneptunische Planetoiden wie die Albion, die im Hauptgürtel zu den grössten Planetoiden gehört hätten. In den nächsten Jahren gab es dann zwei Entdeckungs-Trends: zum einen wurden die Aphelia immer höher - Pluto war schon bald nicht mehr das Objekt, das am weitesten von der Sonne entfernt stehen kann, und grösser als die Aphel-hohen Kometen waren diese Neuentdeckungen ebenfalls. Zum anderen entdeckte man immer grössere Exemplare, der zweit- und drittgrösste Planetoid Vesta und Pallas waren schon übertroffen und es schien nur eine Frage der Zeit, bis auch der bis anhin grösste Planetoid Ceres übertroffen würde. Ixion und Varuna sind hier die beiden Stichwörter, und tatsächlich war es dann der Quaoar, der mit 1250 km Durchmesser (vom HST nachgemessen !) die Ceres als grössten bekannten Planetoiden unseres Sonnensystems abgelöst hat. Mike Brown ging einem weit kühneren Gedanken nach, er suchte nicht nur nach einem grösseren Planetoiden als die Ceres, sondern nach einem weiteren transneptunischen Planeten, den er schon im Voraus den vorübergehenden Namen "Xena" gegeben hatte. In diesem Kontext passt es denn auch ganz gut, dass der Quaoar den vorübergehenden Namen "Mini-Xena" erhalten hatte.
Gar nicht viel später erfolgten die Entdeckungen der Sedna und von Orcus und schraubten den Durchmesser des grössten Planetoiden unseres Sonnensystems schon auf 1400 km hoch - ok, Mike Brown tendiert dazu, die Durchmesser höher zu schätzen als sie tatsächlich sind. Aber ja - man kannte nun schon 3 Planetoiden, die mindestens halb so gross wie der Planet Pluto waren und es schien tatsächlich nur eine Frage der Zeit zu sein, dass man einen planetengrossen Planetoiden da draussen finden würde. Statt eines transplutonischen Planeten also mehrere über-planetoidengrosse transneptunische Körper. Und nachdem dann ein spanischer Astronom einen weiteren Planetoiden aus Mike Browns Datenarchiv als Entdeckung veröffentlicht hat, veröffentlichte Mike Brown umgehend drei weitere noch grössere Planetoiden, von denen einer sogar grösser als der Pluto zu sein schien, das waren Haumea, Makemake und eben der 10.Planet Eris. Nach dem Ärger mit Brian Marsden, weil Mike Brown dem Quaoar und dann als Wiederholungstäter auch der Sedna eigenmächtig einen Namen gegeben hat, hat Mike Brown den Neuen vorerst noch keine Namen gegeben, zudem war auch nicht klar, wer nun wirklich die Haumea entdeckt hat. Auch der Plutino Orcus schien zu wenig interessant, um ihm umgehend einen Namen zu geben.
Wir sind nun im Jahre 2005, d.h. ein Jahr vor der Reform der Planetendefinition. Inzwischen - auch von Schätzungen von Mike Brown verunsichert, der lauthals verkündete, dass da mit hunderten weiteren solcher über 1000 km grossen Körper zu rechnen sei und dutzenden (?) weiteren in Pluto- und Erisgrösse, hatte man (wer auch immer "man" ist) Angst davor, dass die Anzahl der Planeten unseres Sonnensystems inflationär anwachsen würde, wurde dann also die Planetendefinition reformiert. Das bescherte unserem Sonnensystem zunächst 3 neue Planeten, nämlich die Ceres, den Doppelplanet-Pluto-Partner Charon sowie den 10.Planeten Eris - die grösseren Quaoar, Sedna, Orcus, Haumea und Makemake, die also grösser als Ceres waren, blieben dabei aussen vor, und Gonggong war noch nicht entdeckt worden.
Nach massivem Widerstand auch von der Basis folgte schliesslich eine Reform der Reform, die den Zwergplaneten-Begriff einführte und dem Pluto den Planetenstatus aberkannte. Als "Ersatz" dafür, dass der Pluto degradiert wurde, die Ceres nun doch nicht promoviert wurde und die Eris trotz ihrer Grösse ebenfalls nicht promoviert wurde, wurde die Kategorie des Zwergplaneten geschaffen und die drei dann zum Zwergplaneten erhoben. Der Plutomond Charon erhielt dann wieder stillschweigend seinen vormaligen Mondstatus.
Ich erinnere mich, dass meine damalige Freundin und seit über 12 Jahren Ehefrau an einem Chemie-Kongress in Budapest teilnahm und da witzelte dann einer der Eröffnungsredner zu Beginn, wie gut es doch sei, dass man in der Chemie wisse, was ein "Element" sei, während sein Freund Mike Brown, ein Astronom, immer noch nicht wisse, was ein "Planet" sei.
Wir stehen heute im Jahre 2019 und die befürchtete inflationäre Zunahme von Planeten unseres Sonnensystems ist bis heute nicht eingetroffen. Es gab ein Jahr später noch eine Neuentdeckung in der 1000 km-Klasse, das ist "Gonggong", falls dieser Name einer chinesischen Wassergottheit von der IAU anerkannt wird, und in der damaligen Planetengrösse ist seit der Eris gar keine weitere Entdeckung erfolgt. Zudem gab es vor drei Jahren interessante Indizien auf einen "Planeten Nine", wobei diese konkret
einen Planeten und keine inflationäre Zunahme betreffen.
Hätte man die Eris einfach als 10.Planeten belassen und die anderen als grosse Planetoiden, so hätte man sich den ganzen Planeten- und Zwergpplaneten-Zank ersparen können; immerhin hat dieser Zank der Eris den Namen gegeben, denn mythologisch war es ja der Zankapfel der Eris, der zum Streit unter drei Göttinnen geführt hat.
Ich fasse zusammen:
- bis 1989, dem Vorbeiflug der Voyager-Sonden am Uranus und am Neptun, bei dem eine genauere Masse der beiden bestimmt werden konnte, wurde ein grosser transplutonischer Planet ("Planet X") vermutet
- ab 1991 wurden zahlreiche transneptunische Planetoiden entdeckt
- im Jahre 2002 wurde mit dem transneptunischen Planetoiden Quaoar ein neuer grösster Planetoid unseres Sonnensystems entdeckt ("Mini-Xena")
- im Jahre 2005 wurde die Entdeckung eines transneptunischen Planeten, des 10.Planeten Eris bekanntgegeben ("Xena")
- im Jahre 2006 wurde mit der zweiten Reform der Planetendefinition den beiden transneptunischen Planeten Pluto und Eris der Planetenstatus aberkannt; weitere Körper der >2000 km-Klasse wurden bis heute nicht entdeckt
- im Jahre 2007 wurde noch ein weiterer Planetoid mit über 1000 km Durchmesser entdeckt; weitere Körper der >1000 km-Klasse wurden bis heute nicht entdeckt
- im Jahre 2016 wurde die Berechnung eines "Planeten Nine" bekanntgegeben, dessen Entdeckung bislang noch nicht erfolgt ist
Freundliche Grüsse, Ralf