Es wird über menschliches Verhalten und die Schwächen der Menschen diskutiert. Letztere werden ausgenutzt, das ist zutreffend. Aber das ist nicht die Ursache der politischen Entwicklung, die die heutige Gefahr für die Demokratie mit sich bringt. Es gilt genauer zu analysieren, was ist wirklich Ursache und was ist nur Erscheinung.
Natürlich muss letztlich Ursachenforschung betrieben werden.
Im vorliegenden Thread
Diskussionskultur gilt es aber nunmal eher um die Sprache
Diese ist durchgehend ein wesentliches Merkmal des Rechtsextremismus.
Zu den Ursachen: habe gerade einige Interviews mit
https://de.m.wikipedia.org/wiki/Wilhelm_Heitmeyer gelesen; sehr intelligente Analysen, aber irgendwie fehlt mir noch die Konkretisierung. Wahrscheinlich ist aber meine naturwissenschaftliche Sichtweise des Begriffs der
Ursache für die Sozialforschung viel zu simpel gestrickt, und wahrscheinlich erwarte ich zu simple Lösungsansätze.
Ganz platt gesprochen bin ich zu ähnlichen Ansichten gelangt: die Ursache der Anfälligkeit für rechtsextreme oder nationalsozialistische Haltungen und das, was Heitmeyer als
https://de.m.wikipedia.org/wiki/Gruppenbezogene_Menschenfeindlichkeit bezeichnet ist eine gewisse Entwurzelung, d.h. soziale
https://de.m.wikipedia.org/wiki/Desintegration.
Ich erinnere mich an diverse Schriften, die Ähnliches - wenn auch viel extremer - für die Weimarer Republik und der Entwertung vieler etablierter Werte bis hin zur Zerstörung von Persönlichkeiten im und in der Folge des ersten Weltkrieges konstatieren. Sehr lesenswert ist der biographische Roman
https://de.m.wikipedia.org/wiki/Der_Tod_ist_mein_Beruf von
https://de.m.wikipedia.org/wiki/Robert_Merle über Rudolf Höß.
Auch der Hinweis auf die Frankfurter Schule ist interessant. Diese kam ja schon vor Jahrzehnten zu der - nie unumstrittenen - Auffassung, dass struktureller Antisemitismus bzw. nationalsozialistisches Gedankengut in Ansätzen in der Mitte der Gesellschaft verfestigt ist (finde gerade keine Quelle). Siehe dazu auch die neueren Untersuchungen zur
https://de.m.wikipedia.org/wiki/Gruppenbezogene_Menschenfeindlichkeit.
Platt gesprochen teilen z.B. deutlich über 10% aller Befragten die Ansicht, dass Juden durch eigenes Verhalten an ihrer Verfolgung mit Schuld trügen (es gibt diverse weitere Statements auch zu anderen Gruppen mit ähnlicher Zustimmung). Die interessante Erkenntnis ist nun, dass diese Zustimmungsrate ziemlich unabhängig von der
befragten Gruppe ist, d.h. ziemlich unabhängig von der eigtl. politischen Einstellung (links ... mitte.. rechts), der Zugehörigkeit zu Parteien (... Linke - SPD - ... - AFD ...) dem sozialen Status, dem Bildungsniveau usw.
Zusammenfassen kann man dies wohl in etwa wie Heitmeyer:
Dies ist besonders brisant hinsichtlich zweier basaler Normen dieser Gesellschaft, die nicht verhandelbar sind – und doch immer wieder bedroht werden durch Normalitätsverschiebungen. Es ist erstens die Gleichwertigkeit und zweitens die psychische und physische Unversehrtheit von allen Menschen, die in einer Gesellschaft leben.
Dieses Muster ist zumeist verdeckt, jedoch allgegenwärtig (nicht in jedem Menschen, jedoch im beliebigen Gruppen). Insofern teile ich Aussagen bzgl. Ursache und Symptom, und dass z.B. die AFD oder Pegida dieses existierende Potential lediglich offenlegen, in dem sie einen sozialen Rahmen schaffen, innerhalb dessen derartige Meinungen dann offen und aggressiv geäußert werden können.
Wenn man diese Erkenntnisse der Sozialforschung ernst nimmt, dann folgen daraus m.E. zwei sehr unbequeme Wahrheiten:
1) Wurzeln bzw. Ursachen für Extremismus existieren in der sogenannten normalen oder bürgerlichen Mitte
2) Rechtsextremismus ist fundamental verschieden von Linksextremismus (das ist keine Wertung!)
Zu (2) hatte ich an anderer Stelle schon geschrieben, was m.E. im Kern den Unterschied ausmacht: der Feind des Linksextremisten ist das Individuum, der Feind des Rechtsextremisten ist eine
Gruppe, deren Mitglieder alleine dadurch abgewertet sind, dass sie sind, was sie sind - ohne jede Indiviualität. Zu (1) ist zu sagen, dass es gerade dieses Denkmuster ist, das - nach Erkenntnissen der Sozialforschung - eben nicht auf Extremisten beschränkt ist, sondern im Sinne von (2) virulent in der Mitte der Gesellschaft existiert. EDIT: Und darin sehe ich auch eine Ursache der reflexartigen Vergleiche und der Behauptung der gleichartigen Gefahr von links und rechts.
In diesem Umfeld würde ich nach weiterten Erklärungsmustern suchen.