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ralfkannenberg

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Wenn ich Dich richtig verstehe, würdest auch Du nicht alle Flüchtlinge hier aufnehmen und auch nicht alle im Kindesalter. Es würde Dir zwar unendlich schwer fallen, aber das Zeigen von Kinderaugen z. B. im TV würde dennoch nichts an Deiner Entscheidung ändern, wenn ich es richtig verstehe.
Hallo Aries,

also es gibt offenbar (mindestens) 3 Gruppen:

Gruppe 1: diejenigen, die alle betroffenen Kinder in Deutschland aufnehmen wollen
Gruppe 2: diejenigen, die nur einen Teil der betroffenen Kinder in Deutschland aufnehmen wollen und die der Meinung sind, dass ein solches Kind einen durch seinen Blick erpresst
Gruppe 3: diejenigen, die nur einen Teil der betroffenen Kinder in Deutschland aufnehmen wollen, die aber nicht der Meinung sind, dass ein solches Kind einen durch seinen Blick erpresst

Ich persönlich möchte die Gruppen 2 und 3 noch weiter unterteilen (# in {2, 3}):
Gruppe #.a: diejenigen, die der Meinung sind, dass sichergestellt werden muss, dass die nicht in Deutschland aufzunehmenden betroffenen Kinder von einem anderen Rechtsstaat aufgenommen werden
Gruppe #.b: diejenigen, die der Meinung sind, dass das Schicksal der nicht in Deutschland aufzunehmenden betroffenen Kinder nicht weiter von Interesse ist


Welcher Gruppe würdest Du nun Tom zuordnen ? - Falls Du meine Position wissen möchtest, so weiss ich das nicht; ich tendiere zur Position 1 oder zur Position 3a.


Wenn Herr Gauland aber sagt, man dürfe sich nicht von Kinderaugen erpressen lassen, dann erinnert Dich seine Sprache an Heinrich Himmler. Also das erscheint mir so, als ob hier der ganze Ärger auf denjenigen projiziert wird, der die schlechte Nachricht ausspricht.
Diese Schlussfolgerung verstehe ich nicht. Kannst Du sie mir bitte etwas genauer erläutern ?


Freundliche Grüsse, Ralf
 
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ralfkannenberg

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Also das erscheint mir so, als ob hier der ganze Ärger auf denjenigen projiziert wird, der die schlechte Nachricht ausspricht.
Hallo Aries,

ich möchte Deiner Antwort gewiss nicht vorgreifen, aber das kann ich noch etwas präzisieren:

es stört mich nicht, dass Herr Gauland eine Nachricht ausspricht, ganz im Gegenteil, ich finde es gut, wenn man miteinander spricht. Aber es stören mich 2 Dinge:

1. dass diese Nachricht als "schlecht" klassifiziert wird
2. dass diese Nachricht eine "schlechte" Wortwahl hat


Freundliche Grüsse, Ralf
 

Mahananda

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Hallo Aries,

ich glaube nicht, dass Gauland mit seiner Aussage die einzelnen Kinder kritisiert, sondern die Medien, die lieber Kinderaugen zeigen als die eher repräsentativen Augen männlicher Erwachsener.

Ich glaube, dass Gauland weder die Kinder kritisiert noch die Medien, sondern die Praxis der offenen Grenzen, die es ermöglicht, dass Asylbewerber auf dem Landweg nach Deutschland einreisen können, obwohl dies gemäß Dublin-Abkommen sowie Artikel 16a, Absatz (2) des Grundgesetzes ein Verstoß gegen geltendes Recht darstellt. Gauland spielt hier mal wieder gekonnt mit Emotionen - wie es Populisten eben tun - obwohl er damit eigentlich auf Rationalität verweist, die es geboten erscheinen lässt, geltendes Recht endlich wieder durchzusetzen.

Man muss hier differenzieren zwischen kurzfristigen und langfristigen Erwartungen sowie zwischen emotionalen und rationalen Erwägungen. Kurzfristig und emotional erscheint es uns geboten, möglichst viele Flüchtlinge ins Land zu lassen, um ihnen die nötige Hilfe zu geben. Langfristig und rational werden wir mit einem weiteren Zuzug von Menschen nach Deutschland leben müssen, weil es in der Geschichte zu keiner Zeit einen Stillstand in der Migrationsbewegung gegeben hat. Homogene Ethnien gibt es nirgends - auch nicht im abgelegenen Island, wo seit über 1000 Jahren Wikinger leben - und die "Deutschen" gibt es in Deutschland ebenfalls nicht als erblich homogene Population. Also ist es rational geboten, mit einem weiteren Zuzug zu rechnen.

Langfristig emotional gesehen ergeben sich Befürchtungen oder Hoffnungen - je nach persönlicher Grundeinstellung, die von den einen als "Umvolkung" bezeichnet werden (die "Deutschen" verschwinden und werden durch ein anderes Volk bzw. Völkergemisch ersetzt) und von den anderen als "kulturelle Bereicherung", wobei auch hier eine gewisse Spannbreite von "Parallelgesellschaften" bis "Multi-Kulti" vorhanden ist.

Kurzfristig rational ergeben sich zum einen Hoffnungen in Bezug auf die Besetzung prekärer Arbeitsstellen, die sonst vakant wären (z.B. Altenpflege, aber auch Angestellte in Handwerksbetrieben usw.), aber auch Befürchtungen bezüglich des Imports von regionalen Konflikten aus den Herkunftsländern (z.B. Araber gegen Kurden bei syrischstämmigen Flüchtlingen) sowie bezüglich des Imports und der verstärkten Ausbreitung verfassungsfeindlicher islamistischer Strömungen, die sich dann in Parallelgesellschaften etablieren und eine Gefahr für den Rechtsstaat darstellen und die Terrorgefahr im Inland erhöhen. Weiterhin artikulieren sich bestimmte Befürchtungen bezüglich des Anstiegs der Kriminalität in bestimmten Deliktsparten.

Alles in allem haben wir zum einen eine immer noch nicht durchgesetzte Rechtslage, die für Unmut sorgt und die von Gauland und anderen für ihre Zwecke ausgenutzt wird. Zum anderen ergeben sich durch die Zuwanderung sowohl Konflikte wie auch Chancen für die einheimische Bevölkerung. Die langfristig rationale Prognose ergibt eine weitere Zuwanderung, die unausweichlich ist. Der UN-Migrationspakt, der hier einige Prinzipien festschreibt, nach welchen Standards man sich orientieren sollte (nicht aber eine Masseneinwanderung nach Europa begünstigt, wie von Gauland u.a. propagiert wird!), kann als Beitrag verstanden werden, diesen unausweichlichen Fakt zivilisiert ablaufen zu lassen, statt ähnlich chaotisch wie im Herbst 2015, wo de facto rechtlose Zustände eingetreten sind, die immer noch nicht beseitigt worden sind.

Viele Grüße!
 

pauli

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Was sieht denn der UNO-Migrationspakt vor für die vielen Länder, denen langfristig 80% der männlichen Bevölkerung abhanden kommen wird?
 

Mahananda

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Hallo pauli,

der UN-Migrationspakt gibt Standards vor, an denen sich ausgerichtet werden soll, um Migration zivilisiert ablaufen zu lassen. Die Umsetzung der Standards obliegt jedem einzelnen Mitgliedsstaat und ist freiwillig, da der Pakt politisch und rechtlich nicht bindend ist. Weiterhin ist es jedem Staat ausdrücklich freigestellt, die Art und Weise sowie den Umfang der Migration in eigener Verantwortung gesetzlich zu regeln. In Bezug auf Deine Frage: Der Pakt sieht vor - falls er umgesetzt wird - dass die betroffenen Länder selber dafür sorgen, dass a) möglichst viele Menschen im Land bleiben und b) die Migration gemäß rechtsstaatlichen Prinzipien und auf menschenwürdige Weise verläuft und nicht mittels Schlepperbanden.

Viele Grüße!
 

Aries

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Hallo Aries,

also es gibt offenbar (mindestens) 3 Gruppen:

Gruppe 1: diejenigen, die alle betroffenen Kinder in Deutschland aufnehmen wollen
Gruppe 2: diejenigen, die nur einen Teil der betroffenen Kinder in Deutschland aufnehmen wollen und die der Meinung sind, dass ein solches Kind einen durch seinen Blick erpresst
Gruppe 3: diejenigen, die nur einen Teil der betroffenen Kinder in Deutschland aufnehmen wollen, die aber nicht der Meinung sind, dass ein solches Kind einen durch seinen Blick erpresst

Ich persönlich möchte die Gruppen 2 und 3 noch weiter unterteilen (# in {2, 3}):
Gruppe #.a: diejenigen, die der Meinung sind, dass sichergestellt werden muss, dass die nicht in Deutschland aufzunehmenden betroffenen Kinder von einem anderen Rechtsstaat aufgenommen werden
Gruppe #.b: diejenigen, die der Meinung sind, dass das Schicksal der nicht in Deutschland aufzunehmenden betroffenen Kinder nicht weiter von Interesse ist

Welcher Gruppe würdest Du nun Tom zuordnen ?
Am ehesten 3a, wobei ich nicht weiß, ob Toms Meinung nach die Aufnahme aller Flüchtlingskinder in Rechtsstaaten bei 70 Millionen Flüchtlingen weltweit gelingen "kann". In seinem letzten Beitrag hat er ja "kann"-Formulierungen verwendet. Meines Erachtens gibt es jedoch keine klare Grenze zwischen Möglich und Unmöglich sondern einen fließenden Übergang, wobei die Missstände immer mehr zunehmen.

ralfkannenberg schrieb:
Diese Schlussfolgerung verstehe ich nicht. Kannst Du sie mir bitte etwas genauer erläutern ?
Wenn Tom der Meinung ist, dass Flüchtlinge über einer gewissen Anzahl nicht aufgenommen werden "können", und er sich davon schweren Herzens auch nicht abbringen ließe, indem ihm Kinderaugen nicht Aufgenommener gezeigt werden, dann kann man das ja so interpretieren, dass er sich davon eben "nicht erpressen lässt". Dann verdammt er nur diese harte Formulierung, handelt aber im Prinzip danach.


Aber es stören mich 2 Dinge:

1. dass diese Nachricht als "schlecht" klassifiziert wird
Man kann sie auch schrecklich nennen.

ralfkannenberg schrieb:
2. dass diese Nachricht eine "schlechte" Wortwahl hat
Aber wenn ich Tom richtig verstehe, dann ist diese "schlechte Wortwahl" aber das eigentliche Problem, was er damit hat. Das ist interessant. Er sähe ein, dass Deutschland nicht alle Flüchtlingen helfen kann, könnte aber nicht alle Konsequenzen daraus klar benennen. Diese Unfähigkeit harte Konsequenzen auszusprechen ist m. E. weit verbreitet. Ich würde das auch damit ins Zusammenhang bringen, dass Deutschland gegenüber dem einzelnen Flüchtling vor der Grenze nicht "Nein sagen" kann, obwohl es weiß, dass im Sinne aller Flüchtlinge mehr getan wäre, wenn Ressourcen stattdessen in die Flüchtlingslager in den Krisengebieten gesteckt würden. Man kann es auch damit in Verbindung bringen, wenn manche Ärzte den eigenen Patienten, der ein Organ braucht, auf der Warteliste illegalerweise weiter nach oben setzen, damit dessen Überlebenschancen erhöhen, aber damit die Gesamterwartung aller auf der Warteliste zu überleben schwächen. Prinzipien einzuhalten und auch harte Konsequenzen klar auszusprechen, ist notwendig. Vielleicht hat Gauland da einen wunden Punkt getroffen.
 

ralfkannenberg

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Ich würde das auch damit ins Zusammenhang bringen, dass Deutschland gegenüber dem einzelnen Flüchtling vor der Grenze nicht "Nein sagen" kann, obwohl es weiß, dass im Sinne aller Flüchtlinge mehr getan wäre, wenn Ressourcen stattdessen in die Flüchtlingslager in den Krisengebieten gesteckt würden. Man kann es auch damit in Verbindung bringen, wenn manche Ärzte den eigenen Patienten, der ein Organ braucht, auf der Warteliste illegalerweise weiter nach oben setzen, damit dessen Überlebenschancen erhöhen, aber damit die Gesamterwartung aller auf der Warteliste zu überleben schwächen. Prinzipien einzuhalten und auch harte Konsequenzen klar auszusprechen, ist notwendig. Vielleicht hat Gauland da einen wunden Punkt getroffen.
Hallo Aries,

meine Frage hierzu ist, warum Herr Gauland hierfür eine Wortwahl verwendet, die Dich an Heinrich Himmler erinnert hat, und warum solche Wortwahlen aus der Zeit des 3.Reiches regelmässig bei Repräsentanten der AfD zu hören sind.


Freundliche Grüsse, Ralf
 

TomS

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Darf ich aus was zu mir sagen?

;)

Zunächst 1) insofern sie bei uns an der Grenze auftauchen, aber da das nicht realistisch ist, 3a)

Ich glaube nicht, dass Gauland mit seiner Aussage die einzelnen Kinder kritisiert, jedoch auch nicht die Medien. Ich glaube, dass Herr Gauland am äußersten rechten Rand fischt und bewusst provoziert und polarisiert. Er hat nicht die Macht, etwas umzusetzen. Was er wirklich tun wollte und würde, wenn er könnte, vermag ich nicht zu sagen. Ich bin jedoch froh, wenn wir von diesem Experiment verschont bleiben.

Und ja, richtig interpretiert, wenn
Herr Gauland dies sagt und man diese Aussage zusammen mit diversen anderen von ihm und aus seiner Partei geäußerten liest, dann erinnert dies offenbar und gewollt an die Sprache der Nationalsozialisten (es sind ja keine einmaligen Entgleisungen, sondern hat Methode)

Und es ist kein Ärger über das Aussprechen der schlechten Nachricht; für die Sachebene und die rationalen Schussfolgerungen braucht niemand einen Herrn Gauland. Es ist die Feststellung, politische Ziele unter bewusstem Verzicht auf menschlichen Anstand und mittels geschmackloser Instrumentalisierung traumatisierter Kinder erreichen zu wollen - bewusst spielend mit noch rechteren Positionen.

Die Interpretation auf Artikel 16a, Absatz (2) des Grundgesetzes "Auf Absatz 1 - Politisch Verfolgte genießen Asylrecht - kann sich nicht berufen ..." ist natürlich völlig falsch. Offene Grenzen verstoßen in keinster Weise gegen dieses Grundrecht. Fakt ist lediglich, dass Menschen, die bei offenen Grenzen aus sicheren EU- oder Drittstaaten zu uns kommen, dieses Recht nicht offiziell zusteht; es steht nicht da, dass sie sich nicht darauf berufen dürfen. Und es steht auch nicht da, dass wir es ihnen nicht gewähren dürfen. Es ist noch nicht mal so, dass das Einreisen nach Deutschland bereits etwas mit dem Asylrecht zu tun hätte.

 
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TomS

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meine Frage hierzu ist, warum Herr Gauland hierfür eine Wortwahl verwendet, die Dich an Heinrich Himmler erinnert hat, und warum solche Wortwahlen aus der Zeit des 3.Reiches regelmässig bei Repräsentanten der AfD zu hören sind.
Ja, genau, das ist die Frage.

Und ich denke, wenn eine Partei dies zu ihrer Methode macht, dann liegt die Antwort auf der Hand.
 

Mahananda

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Hallo Tom,

Fakt ist lediglich, dass Menschen, die bei offenen Grenzen aus sicheren EU- oder Drittstaaten zu uns kommen, dieses Recht nicht offiziell zusteht; es steht nicht da, dass sie sich nicht darauf berufen dürfen.

Doch, es steht ganz genau so da, dass sich jemand auf Absatz 1 nicht berufen kann, wenn er aus einem sicheren Drittstaat nach Deutschland einreist. Das heißt, dass sein Asylantrag bei konsequenter Anwendung der geltenden Gesetze gegenstandslos ist, wenn er z.B. über Österreich eingereist ist. Das bedeutet zwar nicht, dass der Asylbewerber nicht dennoch versuchen kann, sich auf Artikel 1 zu berufen (in der Hoffnung, damit durch zu kommen), aber wenn man den Rahmen der Gesetze ausschöpft (und darüber das in gleichem Sinne gültige Dublin-Abkommen berücksichtigt), darf er damit nicht durchkommen und muss nach Prüfung seines Antrages in den Drittstaat wieder abgeschoben werden.

Mir ist klar, dass die gängige Praxis derzeit anders aussieht - nicht zuletzt deshalb, weil das Dublin-Abkommen auch von den Anrainer-Staaten Deutschlands weitgehend ignoriert wird - aber aus rechtlicher Sicht dürften hier nur per Schiff oder per Flugzeug asylberechtigte Personen einreisen, um hier ihren Asylantrag zu stellen. Deutschland wird hier von den "Freunden" leider komplett im Regen stehen gelassen und muss nun sehen, wie es mit den Zugewanderten hier zurecht kommt. Und diese de facto widerrechtliche, aber angesichts der Umstände nicht anders zu händelnde Praxis ist ein wesentlicher Grund für den sich aufstauenden Unmut bezüglich der Asylpolitik der Bundesregierung spätestens seit Herbst 2015.

Viele Grüße!
 
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Mahananda

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Hallo Ralf,

ich bin zwar kein Jurist, aber wenn ich den langen Text mal überfliege, hat ein über Bulgarien eingereister Asylbewerber, der in Bulgarien bereits den Flüchtlingsstatus bestätigt bekommen hat, auch in Deutschland einen Asylantrag gestellt, der abschlägig beschieden wurde. Dagegen hat der Asylbewerber geklagt, wogegen die beklagte Behörde Berufung eingelegt hat. Dieser Berufung wurde teilweise stattgegeben. Die Entscheidung, den in Deutschland gestellten Asylantrag abzulehnen, wurde bestätigt. Der Verweis auf eine Abschiebungsdrohung wurde hingegen als rechtswidrig erkannt, so dass in diesem Punkt die Klage des Asylbewerbers gerechtfertigt ist. Die beklagte Behörde hätte vor der Abschiebungsdrohung prüfen lassen müssen, ob dem Asylbewerber in Bulgarien eine Anlaufadresse zur Verfügung gestellt wird. Da dies unterlassen wurde, ist die Androhung rechtswidrig gewesen.

Summa summarum: Der Asylbewerber bleibt so lange hier im Land, bis der Rechtsweg ordentlich beschritten worden ist. Und das kann u.U. sehr lange dauern ...

Viele Grüße!
 

ralfkannenberg

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Die beklagte Behörde hätte vor der Abschiebungsdrohung prüfen lassen müssen, ob dem Asylbewerber in Bulgarien eine Anlaufadresse zur Verfügung gestellt wird. Da dies unterlassen wurde, ist die Androhung rechtswidrig gewesen.
Hallo Mahananda,

das ist aber auch nur ein Teil der "Wahrheit". Ich zitiere noch einmal, möglichst wenig selektiv (wenn ich vollständig zitiere wird das Zitat viel zu lang).

Erst einmal der Einwand des Asylsuchenden:
sprächen wesentliche Gründe für die beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass in Bulgarien systemische Mängel im Aufnahmeverfahren anerkannt Schutzberechtigter selbst wie auch in seiner konkreten Umsetzung lägen. Die anerkannten Schutzberechtigten würden der Obdachlosigkeit preisgegeben und seien praktisch ohne gesundheitliche Versorgung. Daran könnten sie wegen der fehlenden Aussicht auf Arbeit und fehlenden Integrationsleistungen der bulgarischen Regierung auch nichts ändern. Dies ergebe sich letztlich auch aus der Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 23.7.2015 zur Lage anerkannter Schutzberechtigter in Bulgarien, in dem es im Grunde die Ausführungen von Pro Asyl vom April 2015 im Bericht „Erniedrigt, misshandelt, schutzlos: Flüchtlinge in Bulgarien“ teile. Auch die Beklagte habe die Richtigkeit der Ausführungen des Auswärtigen Amtes nicht in Zweifel gezogen und auch keine Garantieerklärung der bulgarischen Behörden vorgelegt, dass eine gesicherte Unterkunft sowie eine gesicherte gesundheitliche Versorgung vorliege und auch ansonsten durch geeignete Maßnahmen sichergestellt sei, dass erhebliche konkrete Gesundheitsgefahren auszuschließen seien. Die vom Auswärtigen Amt geschilderte Lage der anerkannt Schutzberechtigten in Bulgarien habe sich durch die in den letzten Monaten nochmals verstärkten Flüchtlingsströme auch nicht verbessert.

Und die eher lakonisch-juristische Antwort:
ist die Situation für Flüchtlinge nach der Anerkennung einer Schutzberechtigung zwar nach wie vor schwierig. Sie rechtfertigt nach Überzeugung des Senats aber nicht die generelle Annahme, Bulgarien sei trotz inzwischen jahrelanger Mitgliedschaft in der Europäischen Union, Einbindung in deren Institutionen und finanzieller Unterstützung gerade in diesem Bereich kein sicherer Drittstaat.

Man anerkennt zwar die Probleme, d.h. das Abgleiten in die Obdachlosigkeit und die de facto fehlende gesundheitliche Versorgung, man bezeichnet das als "nach wie vor schwierig", aber das sei "kein Grund", dass Bulgarien kein sicherer Drittstaat sei.


Wie gesagt, ich bin kein Jurist; als Urlaubsland gefällt mir Bulgarien sehr gut, aber die Asylsuchenden sind ja nicht dort, um Urlaub zu machen ...


Freundliche Grüsse, Ralf
 

Mahananda

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Hallo Ralf,

die dargestellten Verhältnisse in Bulgarien sind zwar aus menschlicher Sicht prekär, aber für eine juristische Beurteilung, ob Bulgarien ein sicherer Drittstaat sei, ist das nicht relevant, da der Schutzstatus auf politische Verfolgung ausgesprochen wird und nicht auf materielle Sicherheit. Und aus Sicht der politischen Verfolgung (und nur darauf bezieht sich das Asylrecht!) ist Bulgarien ein Staat, in dem der anerkannte Flüchtling vor eben derselben sicher ist, wenn er dort bleibt.

Viele Grüße!
 

galileo2609

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Hallo Mahananda,
Doch, es steht ganz genau so da, dass sich jemand auf Absatz 1 nicht berufen kann, wenn er aus einem sicheren Drittstaat nach Deutschland einreist. Das heißt, dass sein Asylantrag bei konsequenter Anwendung der geltenden Gesetze gegenstandslos ist, wenn er z.B. über Österreich eingereist ist. Das bedeutet zwar nicht, dass der Asylbewerber nicht dennoch versuchen kann, sich auf Artikel 1 zu berufen (in der Hoffnung, damit durch zu kommen), aber wenn man den Rahmen der Gesetze ausschöpft (und darüber das in gleichem Sinne gültige Dublin-Abkommen berücksichtigt), darf er damit nicht durchkommen und muss nach Prüfung seines Antrages in den Drittstaat wieder abgeschoben werden.
alle Dublin-Abkommen sehen das Recht auf Selbsteintritt eines an sich nicht zuständigen anderen Staates im Schengen-Raum vor. Deutschland hat davon seit 2015 zu Recht Gebrauch gemacht. Die Zuschreibungen vom rechten Rand an der Asylpraxis in Deutschland als „Herrschaft des Unrechts“ (Seehofer, AfD, sonstige Rechtsextreme, sonstige Linksextreme wie Wagenknecht) sind daher völlig unzutreffend.
Mir ist klar, dass die gängige Praxis derzeit anders aussieht - nicht zuletzt deshalb, weil das Dublin-Abkommen auch von den Anrainer-Staaten Deutschlands weitgehend ignoriert wird - aber aus rechtlicher Sicht dürften hier nur per Schiff oder per Flugzeug asylberechtigte Personen einreisen, um hier ihren Asylantrag zu stellen. Deutschland wird hier von den "Freunden" leider komplett im Regen stehen gelassen und muss nun sehen, wie es mit den Zugewanderten hier zurecht kommt. Und diese de facto widerrechtliche, aber angesichts der Umstände nicht anders zu händelnde Praxis ist ein wesentlicher Grund für den sich aufstauenden Unmut bezüglich der Asylpolitik der Bundesregierung spätestens seit Herbst 2015.
Zum einen: solange der deutsche Staat und seine Untergliederungen vom Recht des Selbsteintritt Gebrauch machen, ist ein Asylgesuch und -verfahren auch für Geflüchtete völlig in Ordnung, die über einen anderen Schengen-Staat eingereist sind.
Zum anderen: die Dublin-Übereinkommen sind so konzipiert, dass sie in guten Zeiten der weltpolitischen Lage recht unproblematisch funktionieren könnten. Steigt der Migrationsdruck, sind die Anrainerstaaten (derzeit im Mittelmeer) zwangsläufig die, die „im Regen stehen“. Sie müssten und müssen die ganze Last der Verfahren tragen, während die Binnenstaaten fein raus sind.
Weder mit der Solidarität unter den europäischen Staaten noch mit einem humanen Umgang mit Geflüchteten hat diese Rechtskonstruktion konstruktives geleistet. Der Sommer 2015 und die deutsche Entscheidung für eine moralisch ehrenwerte Abfederung der humanitären Katastrophe auf der Balkanroute war ein rarer Lichtblick europäischer Innenpolitik.

Über dieses Signal ist der Furor der Biedermänner und Brandstifter hereingebrochen. Als Normal der jüngeren europäischen Geschichte! Als Normalität in der Weltpolitik. Wir müssen sorgfältig darauf achten, dass unsere humanistischen Werte und die so gar nicht gesicherten demokratischen Standards gegenüber den Angriffen durch Morgenluft witternde Extremisten, durch die Feinde der offenen Gesellschaft verteidigt werden.

Grüsse galileo2609
 

TomS

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Doch, es steht ganz genau so da, dass sich jemand auf Absatz 1 nicht berufen kann, wenn er aus einem sicheren Drittstaat nach Deutschland einreist ...
Das steht da.

... aber wenn man den Rahmen der Gesetze ausschöpft (und darüber das in gleichem Sinne gültige Dublin-Abkommen berücksichtigt), darf er damit nicht durchkommen und muss nach Prüfung seines Antrages in den Drittstaat wieder abgeschoben werden.
Das steht nicht da.

Ich gebe dir völlig recht, dass letzteres natürlich der eigentliche Sinn des von dir genannten Absatzes war. Die Frage ist, ob es z.B. Rechtsbeugung ist, wenn man die Anwendung dieses Absatzes sozusagen aussetzt.
 

TomS

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Über dieses Signal ist der Furor der Biedermänner und Brandstifter hereingebrochen. Als Normal der jüngeren europäischen Geschichte! Als Normalität in der Weltpolitik. Wir müssen sorgfältig darauf achten, dass unsere humanistischen Werte und die so gar nicht gesicherten demokratischen Standards gegenüber den Angriffen durch Morgenluft witternde Extremisten, durch die Feinde der offenen Gesellschaft verteidigt werden.
Das fasst sehr treffend zusammen, worum es im Kern geht.

Es geht nämlich nicht nur darum, dass Parteien und Gruppierungen unterschiedliche Ansichten zum Asylrecht hätten, sondern dass einige deutsche Parteien und Gruppierungen sowie einige europäischen Staaten und einige deren Politiker unterschiedliche Ansichten zu diesen Werten haben, dass sie diese Werteordnung gezielt und bewusst in Frage stellen und aktiv an ihrem Umbau bzw. der Entwertung arbeiten.

D.h. auch, dass ein recht kleiner Teil des deutschen Parteienspektrums versucht, das Wertegefüge in Deutschland in seinem Sinne - jedoch entgegen der Vorstellungen der überwiegenden Mehrheit der Menschen hier im Lande - zu verschieben. Ich glaube nicht, dass die Anhänger dieser Parteien dies ebenfalls alle wollen, oder dass sie es alle so wahrnehmen. Sie nehmen es jedoch teilweise in Kauf.

Deswegen:

Wir müssen sorgfältig darauf achten, dass unsere humanistischen Werte und die so gar nicht gesicherten demokratischen Standards gegenüber den Angriffen durch Morgenluft witternde Extremisten, durch die Feinde der offenen Gesellschaft verteidigt werden.
 
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Mahananda

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Hallo galileo,

Die Zuschreibungen vom rechten Rand an der Asylpraxis in Deutschland als „Herrschaft des Unrechts“ (Seehofer, AfD, sonstige Rechtsextreme, sonstige Linksextreme wie Wagenknecht) sind daher völlig unzutreffend.

Als "Herrschaft des Unrechts" würde ich die derzeitige Praxis auch nicht bezeichnen, aber als "Verwaltung rechtswidriger Praxis mit legalem Alibi-Anstrich" schon. Wie ich bezüglich des Dublin-III-Abkommens nachlesen konnte, sind die Dinge doch etwas komplexer als es für viele den Anschein hat. Zu sagen, es hätte alles seine rechtliche Richtigkeit, greift dann doch zu kurz, weil es sich beim "Selbsteintritt" angesichts der reichlich chaotischen Praxis im Herbst 2015 nur noch um eine fadenscheinige Etikettierung dieser Praxis handelt und nicht um ein rechtsstaatliches Prozedere.

Zur Erinnerung: Der "Selbsteintritt" bezog sich ursprünglich nur auf die bis dahin in Ungarn gestrandeten Flüchtlinge, die sich im Budapester Hauptbahnhof verschanzt hatten und Gefahr liefen, wieder zur Grenze zurückgebracht zu werden. Alles was sich danach abspielte war das Resultat eines Sogeffektes, bei dem die Anrainerstaaten nur noch durchwinkten, um die inzwischen auf eine Million angewachsenen Flüchtlingsströme nach Deutschland zu geleiten. Und da wurde de facto die Rechtsstaatlichkeit außer Kraft gesetzt, auch wenn man immer noch das Mäntelchen des legalen "Selbsteintritts" in den Wind hängt.

Steigt der Migrationsdruck, sind die Anrainerstaaten (derzeit im Mittelmeer) zwangsläufig die, die „im Regen stehen“. Sie müssten und müssen die ganze Last der Verfahren tragen, während die Binnenstaaten fein raus sind.

Auch das ist in der Realität anders gelaufen, als man es sich vielleicht gedacht hatte. Die Problematik der Schwierigkeiten bezüglich der Rückführung von Flüchtlingen in das Ersteinreiseland wurde schon 2011 angesprochen - und wie leider zu oft üblich mal wieder auf die lange Bank geschoben. Als es dann akut wurde, machte der deutsche Innenminister Druck bezüglich einer gerechten Verteilung der Flüchtlinge in der EU. Was daraus geworden ist, sehen wir heute ja immer noch. Aus der Not heraus entschloss man sich dann, vom "Selbsteintritt" Gebrauch zu machen, um den Hick-Hack auf dem Rücken der Flüchtlinge zumindest zeitweilig ein Ende zu bereiten und die in Ungarn Gestrandeten die legale Einreise und ein legales Asylverfahren zu gewähren.

Was sich dann jedoch daraus entwickelte, dürfte nicht den Intentionen des Innenministeriums geschuldet gewesen sein, sondern ist das Resultat nationaler Egoismen, die dadurch Deutschland im Regen stehen ließen. Vielleicht war das Kalkül, dass die anderen EU-Länder sich angesichts der dramatischen Bilder dazu motivieren lassen, der Forderung nach gerechter Verteilung nachzugeben und ihrerseits den Druck auf Deutschland zu entlasten. Da das jedoch nicht geschehen ist, haben wir die Situation, wie wir sie heute vorfinden - ein durch nationale Egoismen vergiftetes Klima in der EU und ein durch nationalistische Ressentiments vergiftetes Klima in der politischen Debatte in Deutschland, die die AfD mit zweistelligen Prozentwerten in die Parlamente spült.

Der Sommer 2015 und die deutsche Entscheidung für eine moralisch ehrenwerte Abfederung der humanitären Katastrophe auf der Balkanroute war ein rarer Lichtblick europäischer Innenpolitik.

Ja, aus humanistischer Sicht war das ein Lichtblick, aber dadurch darf man sich nicht blenden lassen, dass dadurch eine entspanntere Situation eingetreten wäre. Im Gegenteil: Die Mauern der Festung Europa wurden höher gezogen, fragwürdige Deals wurden geschlossen, um die Flüchtlingszahlen zu senken und die innere Struktur der EU ist rissiger denn je. Hinzu kommen Verwerfungen auf nationaler Ebene in Bezug auf Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, die sich auf parlamentarischer Ebene Bahn brechen und für die Zukunft nichts Gutes verheißen.

Wir müssen sorgfältig darauf achten, dass unsere humanistischen Werte und die so gar nicht gesicherten demokratischen Standards gegenüber den Angriffen durch Morgenluft witternde Extremisten, durch die Feinde der offenen Gesellschaft verteidigt werden.

Dem stimme ich vollumfänglich zu. Aber es wird nicht einfach sein, wenn die Wertschätzung für Freiheit und Demokratie durch protektionistische Reflexe verschüttet wird und letztere sich anschicken, Mainstream der politischen Debatte zu werden. Trotzdem müssen wir es tun, wenn es sonst niemand anders tut. Die Alternativen zu Freiheit und Demokratie in rechtsstaatlicher Ordnung sind durchweg schlechter.

Viele Grüße!
 

Mahananda

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Hallo Tom,

Das steht nicht da.

Das Grundgesetz regelt auch nicht das Asylverfahren. Aber im Grundgesetz steht nun mal, dass sich nicht auf Artikel 16a (2) berufen kann (wobei "kann" hier im Sinne von "rechtmäßig" gebraucht wird), wer aus einem sicheren Drittstaat einreist. Und in Bezug auf das Grundgesetz ist die gängige Praxis nun mal rechtswidrig, auch wenn sie im Zuge des "Selbsteintritts" auf EU-Ebene legalisiert daherkommt. Die Frage ist dann eher: Dürfen die das? Denn über die Praxis des "Selbsteintritts" wird ja Artikel 16a (2) über die parlamentarischen Entscheidungsgremien hinweg per Ministerbeschluss de facto außer Kraft gesetzt.

Viele Grüße!
 
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TomS

Registriertes Mitglied
Aber im Grundgesetz steht nun mal, dass sich nicht auf Artikel 16a (2) berufen kann (wobei "kann" hier im Sinne von "rechtmäßig" gebraucht wird *) wer aus einem sicheren Drittstaat einreist.
Dem widerspreche ich auch nicht.

Und in Bezug auf das Grundgesetz ist die gängige Praxis nun mal rechtswidrig, auch wenn sie im Zuge des "Selbsteintritts" auf EU-Ebene legalisiert daherkommt.
Dem widerspreche ich.

Im GG steht offenbar, was der Einreisende im Sinne von (*) kann, nicht jedoch, dass die Politik bestimmte Dinge nicht darf - z.B. Flüchtende vorübergehend aufzunehmen - außer wenn sie dadurch gegen einen anderen Artikel des GG verstieße.

Der Punkt ist deswegen so wichtig, weil man von rechts bis extrem rechts einen Verfassungsbruch seitens der Regierung konstruieren will, der sich so aus dem Text nicht herleiten lässt. Darüberhinaus regelt 16a zunächst mal das Thema Asyl, was im Moment der Einteise jedoch überhaupt nicht zur Diskussion steht, sondern erst mit einem Antrag auf Asyl.

D.h. dass ggf. ein Konflikt mit anderen Gesetzen bestehen mag - das wäre natürlich ebenfalls extrem bedenklich - jedoch kein Konflikt mit dem Grundgesetz.

Andersherum: wenn das GG einen Rahmen festlegt und dessen Ausgestaltung an untergeordnet Gesetze deligiert - der Fall ist hier gegeben - dann kann aus einem Verstoß gegen ein untergeordnetes Gesetz, der jedoch im ursprünglichen Rahmen des GG bleibt, kein Verfassungsbruch konstruiert werden, sondern eben nur ein Verstoß gegen das untergeordnete Gesetz.

Ich bin kein Verfassungsrechtler, aber so habe ich unser Grundgesetz vom Prinzip her immer verstanden.
 
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