... ich wäre sparsamer mit solchen Vor-Festlegungen. Wenn man sich z. B. die Querfrontaktivitäten von Frau Wagenknecht ansieht, besteht zumindest Anlass zum Nachdenken.
Bei den Politiker*innen der AfD ist die Sachlage noch eindeutiger, von den Köpfen bis zu den Gliedern.
Anlass zum Nachdenken besteht, keine Frage.
An sich ist der Extremismusbegriff umstritten - siehe z.B. hier:
https://de.m.wikipedia.org/wiki/Extremismus
Natürlich ist das, was man als extremistisch charakterisiert immer auch eine Frage der subjektiven politischen und weltanschaulichen Prägung.
Ja, das macht es nicht leichter.
Kumulieren jedoch Angriffe auf den humanitären Konsens aufgeklärter Menschen, muss auch die Einordnung auf der Extremismus-Skala mithalten.
Das ist richtig, und das ist zugleich das Problem.
Es wird evtl. klarer durch einen Vergleich.
1) Im Falle der RAF war Gedankengut, Kommunikation, verbrecherisches Handeln und dessen Ziel - die Zerstörung der verfassungsmäßigen Ordnung - bei jeder einzelnen Person sowie bei der Gruppe = dem harten Kern der RAF alles Eins. D.h. Extremismus mit dem Ziel der Zerstörung der Strukturen Deutschlands insbs. auch in Form der Ermordung der Repäsentanten des Systems war jeweils vollumfänglich ausgeprägt. Daher ist die Charakterisierung sowohl des Einzelnen als Extremist als der der Gruppe als extremistische Vereinigung sicher einfach zu rechtfertigen.
2) Im Falle der NPD ist dies offenbar nicht mehr gegeben. Die Charakterisierung diverser Mitglieder als klar extremistisch und nationalsozialistisch mit entsprechenden juristisch geahndeten Straftaten war offenbar nicht ausreichend für eine entsprechende Charakterisierung der Organisation.
3) Im Falle der AFD fallen m.W.n kaum (keine?) echte extremistisch motivierte Straftaten aus ihren Reihen auf. D.h. man kann die AFD und möglicherweise einige ihrer Mitglieder höchstens über ihr Gedankengut, nicht jedoch über ihre Taten als extremistisch einstufen. Es ist sozusagen eine organisatorische Ferne zwischen der Partei und vielen Mitgliedern einerseits sowie rechtsextremistisch agierenden Organisationen andererseits gegeben.
Das macht es nicht unbedingt besser, wie wir gleich sehen werden, aber es macht es komplizierter. Ich wollte hier lediglich eine eher vorsichtige Haltung bzgl. des Extremismus zum Ausdruck bringen. Man muss hier differenzieren zwischen „ist ein Extremist“ und „zeigt eine gewisse Nähe zu extremistischen Positionen“. Letzteres würde ich tatsächlich vielen öffentlich auftretenden AFD-Mitgliedern unterstellen.
Analysieren wir doch noch mal die Aussage von Frauke Petry:
Er muss den illegalen Grenzübertritt verhindern, notfalls auch von der Schusswaffe Gebrauch machen. So steht es im Gesetz ... Ich habe das Wort Schießbefehl nicht benutzt ... Kein Polizist will auf einen Flüchtling schießen. Ich will das auch nicht. Aber zur Ultima Ratio gehört der Einsatz von Waffengewalt.
und Frau von Storch:
Menschen, die aus Österreich einreisen, haben kein Asylrecht (Art 16 a Abs. 2 GG). Ihnen ist die Einreise zu verweigern (18 Abs. 2 AsylG). Und wenn Sie das HALT an der Grenze nicht akzeptieren, 'können die Vollzugsbeamten im Grenzdienst Schusswaffen auch gegen Personen einsetzen.' (§ 11 UZwG).
Wer das HALT an unserer Grenze nicht akzeptiert, der ist ein Angreifer. Und gegen Angriffe müssen wir uns verteidigen. Die Menschen sind in Österreich in Sicherheit. Es gibt keinen Grund, mit Gewalt unsere Grenze zu überqueren.
(so findet man das in Auszügen aus Facebook)
Im Gesetz steht
http://www.gesetze-im-internet.de/uzwg/__11.html
Die GDP sagt dazu
Das ist gesetzlich nicht gedeckt. Waffen dürfen nur zur Abwehr einer unmittelbaren Gefahr eingesetzt werden. Die illegale Einreise von Flüchtlingen zählt dazu nicht.
Irgendetwas muss also außer dem unmittelbaren Grenzübertritt des Einzelnen noch vorliegen, um den Schusswaffengebrauch zu rechtfertigen. Denn außer dass es einigen Polizisten Mühe bereitet, den illegal Einreisenden festzusetzen, passiert zunächst - nichts - zumindest nichts bedrohliches.
Legt man die gängigen Extremismus-Definitionen zugrunde, so liegen m.E. zunächst keine extremistischen Positionen vor. Spannend ist jedoch die Verwendung der Begriffe „Angreifer“ und „Angriff“. Wer wird denn angegriffen? Der Grenzbeamte zunächst mal nicht.
Zu wem sagen die beiden AFD-Politikerinnen dies? Wer ist der Adressat dieser Botschaften?
Nimmt man dazu die Perspektive eines Menschen ein, der zwar eine gewisse Nähe zu völkischem Gedankengut hat, den man jedoch nicht als Extremist bezeichnen würde. Was kommt möglicherweise bei diesem Menschen an? Was könnte er assozieren?
Angegriffen wird Deutschland. Angegriffen wird das Volk. Es findet Überfremdung und Überschwemmung mit Asylanten statt ... Deutschland muss sich gegen diese Angriffe wehren ...
Man beachte, dass aus einem illegalen Grenzübertritt einiger Menschen ein Angriffsszenario gegen Vaterland, Volk usw. konstruiert wird. Damit wird explizit extremistischem und nationalsozialistischem Gedankengut der Boden bereitet, die Saat wird ausgebracht. Und es wird natürlich in Kauf genommen, dass Extremisten den Schutz des Vaterlandes anstelle der angeblich versagenden Exekutive selbst durchführen, d.h. die Saat geht auf.
3b) Im Falle der AFD findet Assoziation, Denken und Interpretieren, extremistisches Hetzen sowie letztlich extremistisches Handeln anderswo statt. Die AFD als Organisation hat dies sozusagen outgesourced. Sie selbst bleibt im Rahmen des Rechtsstaates und kann ja nichts dafür, wenn andere dessen Grenzen übertreten. Aber sie befördert dies massiv und auf eine hochintelligente Art und Weise.
Damit ist die AFD als Organisation anders als die RAF (1) oder die NPD (2). Auch die meisten AFD-Mitglieder und -Wähler als Individuen unterscheiden sich erheblich - die meisten werden die o.g. Assoziationen und praktischen Konsequenzen nicht mittragen. Dennoch entsteht insgs. ein recht kohärentes extremistisches Bild als wesentlicher Teil des gesamten rechten Spektrums, ohne dass man dies der AFD oder vielen Mitgliedern isoliert zuschreiben könnte.
Da es sich bei den hochrangigen Vertretern dieser Partei keineswegs um unintelligente Menschen handelt, und da dieses Spiel der Kommunikation, der Relativierung und der Dementies sowie des „freien Spiels der Assoziationen“ konsequent durchgehalten wird, ist eines offenbar nicht gegeben: Versehen.