Hallo galileo,
Die Zuschreibungen vom rechten Rand an der Asylpraxis in Deutschland als „Herrschaft des Unrechts“ (Seehofer, AfD, sonstige Rechtsextreme, sonstige Linksextreme wie Wagenknecht) sind daher völlig unzutreffend.
Als "Herrschaft des Unrechts" würde ich die derzeitige Praxis auch nicht bezeichnen, aber als "Verwaltung rechtswidriger Praxis mit legalem Alibi-Anstrich" schon. Wie ich bezüglich des
Dublin-III-Abkommens nachlesen konnte, sind die Dinge doch etwas komplexer als es für viele den Anschein hat. Zu sagen, es hätte alles seine rechtliche Richtigkeit, greift dann doch zu kurz, weil es sich beim "Selbsteintritt" angesichts der reichlich chaotischen Praxis im Herbst 2015 nur noch um eine fadenscheinige Etikettierung dieser Praxis handelt und nicht um ein rechtsstaatliches Prozedere.
Zur Erinnerung: Der "Selbsteintritt" bezog sich ursprünglich nur auf die bis dahin in Ungarn gestrandeten Flüchtlinge, die sich im Budapester Hauptbahnhof verschanzt hatten und Gefahr liefen, wieder zur Grenze zurückgebracht zu werden. Alles was sich danach abspielte war das Resultat eines Sogeffektes, bei dem die Anrainerstaaten nur noch durchwinkten, um die inzwischen auf eine Million angewachsenen Flüchtlingsströme nach Deutschland zu geleiten. Und da wurde de facto die Rechtsstaatlichkeit außer Kraft gesetzt, auch wenn man immer noch das Mäntelchen des legalen "Selbsteintritts" in den Wind hängt.
Steigt der Migrationsdruck, sind die Anrainerstaaten (derzeit im Mittelmeer) zwangsläufig die, die „im Regen stehen“. Sie müssten und müssen die ganze Last der Verfahren tragen, während die Binnenstaaten fein raus sind.
Auch das ist in der Realität anders gelaufen, als man es sich vielleicht gedacht hatte. Die Problematik der Schwierigkeiten bezüglich der Rückführung von Flüchtlingen in das Ersteinreiseland wurde schon 2011 angesprochen - und wie leider zu oft üblich mal wieder auf die lange Bank geschoben. Als es dann akut wurde, machte der deutsche Innenminister Druck bezüglich einer gerechten Verteilung der Flüchtlinge in der EU. Was daraus geworden ist, sehen wir heute ja immer noch. Aus der Not heraus entschloss man sich dann, vom "Selbsteintritt" Gebrauch zu machen, um den Hick-Hack auf dem Rücken der Flüchtlinge zumindest zeitweilig ein Ende zu bereiten und die in Ungarn Gestrandeten die legale Einreise und ein legales Asylverfahren zu gewähren.
Was sich dann jedoch daraus entwickelte, dürfte nicht den Intentionen des Innenministeriums geschuldet gewesen sein, sondern ist das Resultat nationaler Egoismen, die dadurch Deutschland im Regen stehen ließen. Vielleicht war das Kalkül, dass die anderen EU-Länder sich angesichts der dramatischen Bilder dazu motivieren lassen, der Forderung nach gerechter Verteilung nachzugeben und ihrerseits den Druck auf Deutschland zu entlasten. Da das jedoch nicht geschehen ist, haben wir die Situation, wie wir sie heute vorfinden - ein durch nationale Egoismen vergiftetes Klima in der EU und ein durch nationalistische Ressentiments vergiftetes Klima in der politischen Debatte in Deutschland, die die AfD mit zweistelligen Prozentwerten in die Parlamente spült.
Der Sommer 2015 und die deutsche Entscheidung für eine moralisch ehrenwerte Abfederung der humanitären Katastrophe auf der Balkanroute war ein rarer Lichtblick europäischer Innenpolitik.
Ja, aus humanistischer Sicht war das ein Lichtblick, aber dadurch darf man sich nicht blenden lassen, dass dadurch eine entspanntere Situation eingetreten wäre. Im Gegenteil: Die Mauern der Festung Europa wurden höher gezogen, fragwürdige Deals wurden geschlossen, um die Flüchtlingszahlen zu senken und die innere Struktur der EU ist rissiger denn je. Hinzu kommen Verwerfungen auf nationaler Ebene in Bezug auf Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, die sich auf parlamentarischer Ebene Bahn brechen und für die Zukunft nichts Gutes verheißen.
Wir müssen sorgfältig darauf achten, dass unsere humanistischen Werte und die so gar nicht gesicherten demokratischen Standards gegenüber den Angriffen durch Morgenluft witternde Extremisten, durch die Feinde der offenen Gesellschaft verteidigt werden.
Dem stimme ich vollumfänglich zu. Aber es wird nicht einfach sein, wenn die Wertschätzung für Freiheit und Demokratie durch protektionistische Reflexe verschüttet wird und letztere sich anschicken, Mainstream der politischen Debatte zu werden. Trotzdem müssen wir es tun, wenn es sonst niemand anders tut. Die Alternativen zu Freiheit und Demokratie in rechtsstaatlicher Ordnung sind durchweg schlechter.
Viele Grüße!