Man kann also zwei Dinge mit einem Koordinatensystem anstellen. Diese möglichen Aktionen kann man wiederum in 2 Gruppen unterteilen.
1. Man versetzt es an einem anderen Ort
2. Man erteilt ihm eine gleichmäßige Geschwindigkeit.
In beiden Fällen ändert es seine Form nicht.
Nochmal ausführlicher, das ist es wert. Zuerst: was bei solchen Transformationen die Form nicht ändert sind die Gleichungen der Newtonschen Mechanik, nicht die Koordinatensysteme. Wir reden hier von speziellen Koordinatensystemen, den Inerttialsystemen. Deswegen heit die daraus entwickelte Theorie heute
spezielle Relativitätstheorie.
Alle Gleichungen der Newtonschen Mechanik gelten also gleichermaßen weiter, wenn man das Koordinatensystem auf folgende Arten ändert:
1. Man verschiebt den Nullpunkt oder dreht das Koordinatensystem
2. Man veschiebt den Zeitnullpunkt oder versetzt das Koordinatensystem in gleichmäßige Bewegung.
Diese erlaubten Transformationen bilden mathenmatische Gruppen (darauf will Ralf aufmerksam machen). Eine Gruppe ist dadurch ausgezeichnet, dass das Hintereinanderausführen beliebig vieler Transformationen immer einer einzigen Transformation desselben Typ gleichwertig ist. Sprechen wir z.B. von Verschiebungen im Raum, dann kann ich den Nullpunkt zwanzigtausendmal irgendwohin verschieben, aber ich kann ihn immer mit einer einzigen Verschiebung wieder in die Ausgangslage bringen. Diese Verschiebungen bilden also eine Gruppe, die in dem Sinne abgeschlossen ist, dass ihre Elemente nie etwas erzeugen können, was nicht wieder selbst zur Gruppe gehört.
Genauso ist es mit den Drehungen, egal wieviel man das KS dreht, man hätte dasselbe auch mit einer einzigen Drehung erreichen können.
Die beiden Gruppen sind aber nicht gleich. Ich kann noch so viel verschieben, es wird nie eine Drehung herauskommen. Man kann die Gruppen aber kombinieren: zusammengesetzte Drehungen und Verschiebungen bilden wieder eine Gruppe.
Nimmt man die Zeit dazu, dann hat man vieder die Möglichkeit, den Zeitnullpunkt zu verschieben. Das ist eine recht triviale Gruppe. Und man hat die Möglichkeit, den Koordinatensystemen eine Geschwindigkeit mitzugeben. Diese Freiheit in der Koordinatenwahl nennt man "Relativitätsprinzip", und die entsprechenden Transformationen der Newtonschen Mechanik bilden auch eine Gruppe, die nach dem Entdecker des Relativitätsprinzips benannten Galileo-Transformationen.
Was Minkowski nun herausstreicht ist, dass diese erste Gruppe, Verschiebungen und Drehungen des räumlichen Koordinatensystems mehr oder minder vollkommen intuitives Grundwissen darstellen, das noch nicht einmal mit Mechanik oder Physik was zu tun hat, sondern einfache Geometrie ist.
Die zweite Gruppe hingegen, die Galilei-Transformationen, sind keineswegs intuitiv, und sie ist auch irgendwie vom Himmel gefallen. Das muss man mühsam lernen, von Natur aus würde man meinen, dass zwischen Ruhe und Bewegung ein Riesenunterschied besteht.
Dementsprechend kommt man auch nicht drauf, dass zwischen diesen beiden Gruppen ein Zusammenhang bestehen könnte.
Wenn man aber zu den Raumkoordinaten auch noch die Zeit dazunimmt, wie es Minkowski hier bewirbt, dann sieht das etwas anders aus.
Direkt offensichtlich ist, dass die Verschiebungen dann einfach Raum und Zeit beinhalten und nun eine einzige Gruppe bilden. Das ist noch fast trivial, und dementsprechend lässt Minkowski diese Transformationen auch im weiteren Verlauf weg und kümmert sich nur um Drehungen und die Geschwindigkeit.
Überhaupt nicht trivial, aber vom mathematischen Standpunkt aus stimmig, ist, dass man die Rotationen und die Erteilung einer Geschwindigkeit zu einer einzigen Gruppe Gc zusammenfassen kann. Lässt man c unendlich groß werden, fällt diese Gruppe wieder auseinander und man hat wie eben beschrieben die Raumdrehungen und die Galileotransformationen. Ist c aber endlich, soi hat man es vom Prinzip her mit Drehungen sowohl im Raum als auch in der Zeit zu tun. "Vom Prinzip her", weil Drehungen alle Längen unverändert lassen. Die Länge im Raum ist einfach nach Pythagoras sqrt(x²+y²+z²), das bleibt bei beliebiger Drehung gleich. Die Länge in der Raumzeit, die gleich bleibt, ist aber sqrt(x²+y²+z²
-t²). Diese Minuszeichen ist der ganze Unterschied. "Drehungen", die diese Länge unverändert lassen, nennt man Lorentztransormationen. Die normalen Drehungen sind eine Untergruppe davon. Nimmt man noch Verschiebungen dazu, heißt die Gruppe Poincaré-Transformaitonen.
Also: Betrachtet man Raum und Zeit gemeinsam, wäre der "einfachste" Fall (in dem Sinne, dass alle erlaubten Transformationen zu einer einzigen zusammengefasst werden können und müssen) der, in dem eine Geschwindigkeit c ausgezeichnet ist, die gleichzeitig (wie Minkowski später darlegt) eine Grenzgeschwindigkeit darstellt. Natürlich kann man auch den Fall als besonders toll ansehen, wo c unendlich ist und die beiden Gruppen unabhängig voneinander sind, das ist letztlich wohl Geschmackssache. Wichtig ist aber, dass es eins von beiden sein muss und nichts anderes sein kann. Hätte man das gewusst, als erste Hinweise auf eine ausgezeichnete Geschwindigkeit auftauchten, dann hätte man vielleicht gleich die SRT hervorgezaubert, alstatt das Relativitätsprinzip zugunsten eines "Äther" zu verwerfen. So hat's halt noch gut 40 Jahre gedauert.