Philosophie und Physik

Bernhard

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Meinem Bruder wurde Zucker in den Popo geblasen, schließlich war das sein Erbfolger.
Das gehört vermutlich nur am Rande zum Thema, aber es wäre interessant zu erfahren, ob ihn das gut auf das Erwachsenendasein vorbereitet hat, oder ob er das später in verstärkter Form wieder ausbaden musste.
 

Solarius

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Sich ohne Rücksicht auf Verlußte die Geilheit aus dem Leib vögeln bringt persönliches Selenheil, Wohlbefinden und Erkenntnisgewinn? Nach mir die Sintflut, Scheiß auf alle Konsequenzen? Hallo? Gehts noch? Was ist denn daran ethisch? Bin ich die einzige, die den Wiederspruch bemerkt? Das ist für mich Chauvenismus in Reinkultur, Größenwahnsinn und Menschenverachtend.
Ich habe noch ein Zitat gefunden. Leider ist wohl nicht ganz klar, ob es von Epikur stammt oder von einem seiner Schüler. Es steht im folgenden PDF auf Seite 8:
http://www.fh-worms.de/pgk/downloads/data/pdf/Vortrag_Epikur.pdf
Das klingt so überhaupt nicht nach hemmungslosem Sex. Auf Seite 9 steht sogar, das Epikur Askese verlangte.

Auch einen Link aus einem vorigen Beitrag von mir möchte ich noch einmal verlinken:
http://www.erich.satter.info/les_lfd_epi.htm
Demnach gehört Begierde nach der Lehre Epikurs eher zu den Glücksbedrohern. Ich zitiere daraus noch einen Absatz:
Lange Zeit wurde der Freigeist Epikur als ein zügelloser Genussmensch fehlgedeutet und dieses Vorurteil auch auf seine Philosophie übertragen, teilweise besteht es heute noch. Eher das Gegenteil war der Fall. Epikurs Ziel war zwar ein ungetrübter Genuss des Daseins, welches er aber nicht nur für sich suchte, sondern auch für seine Freunde und Mitmenschen. So wird von Dankbarkeit gegenüber seiner Eltern berichtet, von der Wohltätigkeit seiner Brüder gegenüber, Milde und Achtung, welche er auch den Sklaven entgegenbrachte, die zusammen mit Frauen - ziemlich ungewöhnlich in jener Zeit - seiner Schule angehörten.
Für mich klingt das sehr menschenliebend. Es klingt auf keinen Fall menschenverachtend.
 

Sissy

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Hi Bernhard,

nö, es hat meinem Bruder nicht gut getan. Das hast Du ganz richtig vermutet. Das hat er bis heute nicht auf die Reihe bekommen. Hat nen recht wirren Lebenslauf. Immer Ärger mit dem Chef, dauernd neuen Arbeitsplatz und mittlerweile langzeitarbeitslos.

3 Frauen sind ihm weggelaufen, heute ist er reichlich verbittert und einsam. Kann das Positive im Leben nicht sehen. Schade.

Grüße
Sissy
 

Sissy

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Hi Solarius,

Deine Links kenne ich. In denen wird in der Tat ein anderes Bild als in den Kommentaren von Cicero gezeichnet. Wer recht hat, kann ich nicht mit Gewissheit sagen, denn etliche Originaldokumente sind nicht überliefert. Es ist also möglich, daß meine Einschätzung falsch ist. Und möglicherweise spielt auch meine generelle Abneigeung von "Heilslehren/Religionen" eine Rolle bei meiner Ablehnung von Epikur.

Da aber jeder Mensch das glauben mag, was er will, haben wir zwei da einfach unterschiedliche Sichtweisen und ich will Dich nicht zu meiner konvertieren. :)

Grüße
Sissy
 

Sissy

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Hi Bernhard,

irgendwie scheint meine Antwort an Dich verschütt gegangen zu sein. Also hier nochmal Danke für Deine Antwort.

Der ehemalige Verteidigungsminister v. Guttenberg liest/las angeblich Platons "Der Staat" in der altgriechischen Originalfassung. Bei der Linkspartei und quer durch den gesamten Bundestag findest Du mit Sicherheit viele Politiker, die noch das alte humanistische Bildungsideal gut kennen.

Die Philosophie, wie sie an den Universitäten gelehrt wird, wird also noch lange nicht aus den Köpfen der Menschen veschwinden.

Wenn ein Politiker etwas positives aus der Philosophie in sein Wirken intergriert, dann begrüße ich das sehr. Ich wünsche mir lediglich, daß sie ihre Doktorarbeit selber schreiben und nicht dauernd Skandale hochkommen, die uns zeigen, daß sie den leichteren Weg gewählt haben und ihre Texte garnicht aus ihrer Feder stammen. Dem Volk Wasser predigen und selber Wein trinken, das gefällt mir garnicht...

Grüße
Sissy
 

Mahananda

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Hallo Sissy,

Freundschaft zu anderen Männern (platonisch oder als "Lustknaben") und privates Lebensglück/Seelenheil weg von der übergeordneten Staats- oder Religionsgemeinschaft, Sturz der Priesterkasten und der Götter hin zum Individuum (geistig im Sinne von persönlichem Erkenntnisgewinn, körperlich im Sinne von Essen/Trinken genießen und auch Sex mit Männlein/Weiblein, sogar Viechern?) ist nach seiner Lehre wichtiger als die Sorge um den Fortbestand der eigenen Familie?

Das kann ich aus den erhalten gebliebenen Fragmenten Epikurs nirgends herauslesen. Ein Beispiel:

Vatikanische Spruchsammlung schrieb:
51. Ich habe vernommen, dass bei dir die Bewegung des Fleisches besonders stark zum Liebesgenuss hinneigt. Wenn du nun die Gesetze nicht verletzest, nicht gegen die Regeln des Anstandes verstößest, keinen von deinen Nächsten kränkst, deinen Leib nicht zerrüttest und das zum Leben Notwendige nicht vergeudest, dann folge deiner Neigung wie du willst. Es ist allerdings schwierig, sich nicht in wenigstens eines von diesen Hindernissen zu verwickeln. Denn der Liebesgenuss hat noch niemals Nutzen gebracht; man muss zufrieden sein, wenn er keinen Schaden angerichtet hat.

Quelle: Griechische Atomisten. Reclam Leipzig 1988, Band 409, S.300f.

Sich ohne Rücksicht auf Verlußte die Geilheit aus dem Leib vögeln bringt persönliches Selenheil, Wohlbefinden und Erkenntnisgewinn?

Mitnichten, wie der letzte Satz des Epikur-Zitats zeigt. Detaillierter drückt sich der Epikureer Lucretius Carus in seinem Gedicht "De rerum natura" aus. Hier ist es die Stelle ab 4,1058, worin die negativen Folgen des Liebesverlangens beschrieben werden - angefangen von den damit verbundenen Leidenschaften, die dem Erreichen der Ataraxie abträglich sind bis hin zum Auseinanderleben der beiden Partner in der Ehe. Es geht also nicht um hemmungslosen Sex (dafür war eher Aristipp ein Protagonist) sondern um das Abwägen der Folgen, bevor man seinen erotischen Gefühlen nachgibt - möglichst mit dem Resultat, dass man doch besser enthaltsam lebt.

Viele Grüße!
 
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Mahananda

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Hallo hajoe,

Wenn du Wissen willst warum wir heute so denken, wie wir denken, gerade auch im naturwissenschaftlichen Bereich, kommst du um die Philosophie nicht herum.

Mag sein, aber das ist dann doch wohl eher Wissenschaftsgeschichte. Eine Relevanz der Philosophie für die heutigen Naturwissenschaften lässt sich daraus jedoch nicht ableiten - eher schon eine zeitweilige Liaison, die sich mittlerweile auseinandergelebt hat.

Diese Philosophie ist ein Fundament der modernen Naturwissenschaft.

Ja, und Popper sei Dank, genügt das Kriterium der prinzipiell möglichen Falsifizierbarkeit als methodisches Prinzip der Naturwissenschaft durchaus, um Hypothesen, Theorien usw. aufzustellen und experimentell auf ihren temporären Wahrheitsgehalt zu testen bzw. denselben sukzessive zu erweitern. Ich denke nicht, dass "Transzendentaler Konditionalismus" eine nennenswerte Bereicherung darstellt, damit Physiker besser verstehen, was sie da eigentlich tun. Es sei denn, Du arbeitest das mal hier in wenigen Sätzen in einer Form aus, die es auch für philosophische Laien verständlich und nachvollziehbar werden lässt. Anderenfalls ist das nur wieder eine matte Stimme mehr aus dem Elfenbeinturm, in den sich manche "tiefen Denker" gern zurückziehen.

Man kommt nicht wirklich um die Philosophie herum wenn man sich um ein tieferes Verständnis der Welt um uns herum bemüht.

Man kann sich aber darum bemühen, um die Philosophie herum zu kommen, indem man sich darum bemüht, die Welt um uns herum mit Hilfe der Wissenschaften zu verstehen. Der Nachweis, ob das gelingen kann bzw. nicht gelingen kann, müsste jedoch noch erbracht werden. Ob die Philosophen dazu einen Beitrag liefern können? ;)

Viele Grüße!
 
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TomS

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Die Auswahl, Anwendung und Interpretation einer naturwissenschaftlichen Methodik ist bereits die Meta-Ebene bzgl. dieser Methodik. Damit ist jede Diskussion über Physik bereits Meta-Physik und damit im weitesten Sinne Philosophie. Man kann also letztlich nicht Physik betreiben, ohne mit der Philosophie in Berührung zu kommen. Man kann es natürlich nicht wissen, ignorieren, abstreiten oder sonst etwas, aber man kann es nicht vermeiden.
 

Mahananda

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Hallo Tom,

Die Auswahl, Anwendung und Interpretation einer naturwissenschaftlichen Methodik ist bereits die Meta-Ebene bzgl. dieser Methodik.

Ich ging bislang davon aus, dass Naturwissenschaften generell eine Methode sind, um zu Erkenntnissen zu gelangen. Inwieweit hier ein Bedarf besteht, in Bezug auf die Methode auszuwählen und zu interpretieren, erschließt sich mir unter dieser Prämisse nicht ganz. Dass die gewonnenen Daten einer Interpretation bedürfen, ist mir klar. Aber dies geschieht doch im Rahmen der zuvor aufgestellten Arbeitshypothese, die wiederum mit dem gegebenen Theorierahmen abgeglichen werden muss. Warum sollte dabei auf eine Meta-Ebene zurückgegriffen werden, wenn ohnehin das Prinzip des Nonsupranaturalismus gilt, also, dass natürliche Phänomene nicht mit Annahmen zu übernatürlichen Prozessen, Dingen etc. erklärt werden dürfen?

Damit ist jede Diskussion über Physik bereits Meta-Physik und damit im weitesten Sinne Philosophie.

Die Frage ist dann, ob die Physik der Diskussion über die Physik bedarf, um als Physik geeignet zu sein, oder ob es vielmehr nicht so ist, dass innerhalb der Physik über physikalische Sachverhalte diskutiert wird, um physikalische Theorien ggf. zu präzisieren. Unstrittig dürfte sein, dass die Physik ein Versuch ist, mit Hilfe der wissenschaftlichen Methode zu einer möglichst präzisen Beschreibung der physischen Wirklichkeit zu gelangen. Aber mit dieser schlichten Feststellung diskutiere ich nicht über die Physik sondern bringe sie lediglich in den Kontext menschlichen Strebens. Was man dann durchaus im Sinne einer Philosophie diskutieren kann, ist die Motivation dieses Strebens im Rahmen einer Anthropologie. Die Physik als solche ist ja lediglich ein Resultat dieses Strebens (neben vielen anderen), das sehr gut ohne philosophisches Beiwerk auskommt.

Man kann also letztlich nicht Physik betreiben, ohne mit der Philosophie in Berührung zu kommen.

Ich denke, umgekehrt ist es zutreffend: Philosophen können nicht Metaphysik betreiben, ohne mit der Physik in Berührung zu kommen, denn alle diesbezüglichen gedanklichen Konstrukte müssen damit passfähig gemacht werden, was als physikalisch gesichert gilt.

Viele Grüße!
 

Ich

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Hi,

ich finde die Diskussion hier spannend und zögere, sie durch eine Antwort auf Hansjörgs Beitrag zu stören. Wie auch immer: Tom sagt, wenn am über Physik redet, betreibt man Philosophie im weitesten Sinne. Mag sein. Ich denke aber, hier geht es darum, ob Philosophie (im speziellen "transzendentaler Konditionalismus") etwas zur Physik beitragen kann.
Meine Meinung:
Vor jeder grundlegend neuen naturwissenschaftlichen Erkenntnis stand ein philosophisches Vorwissen, Annahmen über die Welt, Prämissen der Erkenntnis. Z.B. als Newton – der Legende nach – einen Apfel vom Baum fallen sah, erkannte er, dass dasselbe, was den Apfel auf den Boden fallen ließ als universelles Gesetz auch die Planeten auf ihren Bahnen bestimmt. Das ist ein philosophisches Vorwissen – eine philosophische Propädeutik eines naturwissenschaftlichen Wissens. Das mathematisch ausformulierte Gravitationsgesetz war dann „Physik“.
Ich könnte versuchen, das als Gliederung der Arbeit eines Physikers zu deuten: erst die philosophische Erkenntnis, dann die exakte Formulierung. So wäre das einigermaßen haltbar und man müsste sich nur noch streiten, ob einem die Begriffsdefinitionen gefallen.
Es sieht mir aber schwer danach aus, dass du eher meinst:
- die geniale Erkenntnis, die die Physik voranbringt, wird vom Philosophen beigesteuert. Der Philosoph ist dabei Philosoph nach Ausbildung (Universität würde ich hier erwarten) oder nach Neigung (typischerweise Rentner mit technischer, aber leider nicht physikalischer Ausbildung).
- Der Physiker ist dann der Rechenknecht, der die tolle Propädeutik des genialen Philosophen in eine Formel gießt.

Das ist hoffnungslos weltfremd und naiv. Es verwundert nicht, dass eine solche Sicht der Dinge hauptsächlich von Philosophen geäußert wird - insbesondere von Philosophen nach Neigung, nicht nach Ausbildung.
Die Erfahrung lehrt vielmehr, dass der Philosoph exakt gar nichts zur zeitgenössischen Physik beiträgt. Nun, warum ist das so? Woher diese eklatante Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit?
Hier ist ein Zitat angebracht, das Einstein zugeschrieben wird:
"Der gesunde Menschenverstand ist eigentlich nur eine Anhäufung von Vorurteilen, die man bis zum 18. Lebensjahr erworben hat."
Dem reinen Philosophen steht nicht mehr zur Verfügung als dieser gesunde Menschenverstand. Er glaubt, durch Anwendung seiner messerscharfen Logik, im Ohrensessel bei einem Glas Rotwein sitzend, die Rätsel der Welt lösen zu können. Eine bezaubernde Vorstellung, die nicht wenige sich "Philosoph" hat nennen lassen.
Das Problem dabei: Seit Jahrhunderten gibt es "gesichertes Wissen" über die Welt, das dieser Philosoph mangels physikalischer Ausbildung schlicht und einfach nicht kennt. Mehr noch: vor gut 100 Jahren hat sich gezeigt, dass ein Verständnis der Welt einige Abstraktionsschichten erfordert, die weder durch noch so intensives Nachdenken erkennbar sind noch in der Schule gelehrt werden. Nur als Beispiel: Auf die Ultraviolettkatastrophe kommt man auch nach 100 Jahren im Ohrensessel nicht. Geht nicht. Kein noch so schlaues Nachdenken kann einem das beibringen.
Der Mensch ist ausgesprochen schlecht darin, seine eigenen Fehler zu erkennen -zum Glück! Auch der Philosoph. Er mag nachdenken wie er will, er wird seine Fehler nicht finden, das kann er gar nicht. Stattdessen wird er -ismen produzieren in seiner eigenen Welt.
Es braucht einen von außerhalb, der einem - mit dem richtig dicken Knüppel - seine Fehler austreibt. Das ist die Natur, das Experiment. Sei es real oder als Gedankenexperiment. Und das ist der Vorteil, den der Physiker hat und braucht, um nützlich zu sein: Auch er denkt sich irgendwelche Sachen aus, aber dann fragt er, ob das denn wirklich so ist. Oder ob das so sein könnte, wenn man die heutigen Theorien zugrunde legt. Dabei zeigt sich, dass 99% der Ideen einfach für die Mülltonne sind. Schön vielleicht, aber leider nicht richtig.
Dem Philosophen fehlt die Fähigkeit, das zu unterscheiden, deswegen kommt er nicht weiter. Er hängt fest in seinen "Denknotwendigkeiten", die er als Basis braucht, die aber auch seit Menschengedenken als bloße Vorurteile entlarvt wurden. Ein schönes Beispiel ist, wie Hansjörg hier den "Raum" gebraucht. Noch nie was von Relativität gehört, scheint es. Immer noch Kant, der euklidische Raum sei denknotwendig. Gut, vielleicht nach dem Hörensagen dazugelernt, dass der Raum auch nichteuklidisch sein könnte, aber immer noch ist es der Raum, der existiert.
Was ist mit Raumzeit? Was ist, wen man spekulativer weiterdenkt, mit dem holographischen Universum? Nix ist damit, das kennt der Philosoph leider nicht. Er kennt nur den gesunden Menschenverstand, und da sind solche Dnge nicht vorgesehen.
 

TomS

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Vielleicht lest ihr einfach die falschen Philosophen? Welche denn? Oder ihr habt eine grundsätzlich falsche Vorstellung von Philosophie?

Ein paar Stichworte:

Platons Höhlengleichnis ist heute genauso aktuell wie vor über 2000 Jahren. Welche Realität kommt den physikalischen Modellen zu? Sind sie nur schattenhafte Abbilder einer dahinterliegenden, unerkennbaren Realität? Wenn ja, welchen Anteil haben wir an dieser Realität und warum gelingt es uns, diese auf passenden mathematischen Modelle abzubilden?

Popper's kritischer Rationalismus (auch als Gegenbewegung zum reinen Positivismus). Stichwort Verifizierung und Falsifizierung von Hypothesen. Ist die moderne Physik in diesem Sinne noch eine exakte Wissenschaft? Wie gehen wir mit Theorien um, die das prinzipiell Unbeobachtbare, nicht-Falsifizierbare fordern, um das Beobachtbare (besser ?) zu erklären? Multiversum, String-Landscape, Many-Worlds, ...?

Kuhns Ideen zu Paradigmenwechseln. Vom Mittelalter zur Neuzeit hat sich die Methodik insofern verschoben, als eine Abkehr von der reinen Philosophie (und Theologie) hin zur praktischen, insbs. experimentellen, kritisch hinterfragenden Physik stattfand. Erleben wir nun in Teilen wieder eine Abkehr davon? (Wiederum das Stichwort Singtheorie u.ä.: postulieren prinzipiell unbeobachtbarer Entitäten).

Moderne Ontologien, die durchaus Erkenntnisse insbs. auch der Quantenphysik ernst nehmen. Nicht-lokale Realität, Verschränkung, ... Bellsche Ungleichung, insbs. das kochen-Specker-Theorem, das in gewisser Weise die Nichtanwendbarkeit der klassischen Logik im Kontext der QM beweist.

Interpretation der QM. Statistische Interpretation, agnostisches "shut up and calculate", Realismus der Viele-Welten-Interpretation (letztere nimmt die QM insofern ernst, als sie diese eben gerade nicht zu einem unvollständigen Modell degradiert, von dem wir letztlich gar nicht wissen warum es funktioniert, sondern der vollständigen qm Wellenfunktion und allen ihren Zweigen eine umfassende physikalische Realität zuerkennt). Das sind philosophische Grundhaltungen.

Ein Sammelband mit einigen empfehlenswerten (und einem absolut nicht empfehlenswerten!) Artikel ist Michael Esfelds "Philosophie der Physik", erst vor ca. zwei Jahren erschienen. Ich habe mit einigen Autoren darüber diskutiert. Ein empfehlenswertes jedoch extrem anspruchsvolles Buch ist J. Bubb's "Interpreting the Quantum World". Diese Bücher bleiben auf dem Boden physikalischer Tatsachen, also keine Science Fiction mit Wurmlöchern, Zeitreisen, Hyperraum ... a la Kaku.

Tegmark's Mathematical Universe Hypothesis. Warum sind wir in der Lage, die Natur mittels mathematischer Modelle zu beschreiben? Man muss nun nicht seine Haltung einnehmen, aber die Frage an sich ist spannend. Wenn unsere mathematischen Modelle grundverschieden von der tatsächlichen Realität sind, dann können wir letztlich nicht erklären, warum sie dennoch funktionieren; wir müssen zumindest den Bezug kennen. Oder IST die Natur einfach pure Mathematik?

Sorry wenn ich das so sage, aber wenn man sich ernsthaft mit diesen Themen auseinandersetzt, dann erkennt man sehr schnell die wechselseitige Relevanz der beiden Disziplinen füreinander (dabei meine ich selbstverständlich gewissenhafte Physiker und Philosophen).
 
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Mahananda

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Hallo Tom,

Welche Realität kommt den physikalischen Modellen zu?

Warum sollte diese Frage für die Physik relevant sein? Modelle sind Abbildungen der Realität, die - je nach Stand der Theoriebildung - mehr oder weniger genau zur abgebildeten Realität adäquat sind. Über experimentelle Prüfungen lässt sich ermitteln, ob ein Modell eher genau oder eher ungenau ist. Das weiß aber ohnehin jeder Physiker, so dass da kein Bedarf besteht, den ontologischen Status von Modellen zu hinterfragen.

Wie gehen wir mit Theorien um, die das prinzipiell Unbeobachtbare, nicht-Falsifizierbare fordern, um das Beobachtbare (besser ?) zu erklären?

Rein pragmatisch natürlich. Wenn mit Hilfe solcher Annahmen, wie z. B. Multiversum, das Beobachtbare genauer beschrieben werden kann also ohne, dann lässt man solche Annahmen stillschweigend gelten, auch wenn man weiß, dass man sie nie falsifizieren oder verifizieren kann. Wenn solche Annahmen entbehrlich sind, dann hinweg damit.

Erleben wir nun in Teilen wieder eine Abkehr davon?

Schon möglich, aber das ist ein Thema für die Wissenschaftsgeschichte bzw. für die Wissenschaftsphilosophie. Aber warum sollte das auf die Naturwissenschaft Physik einen Einfluss haben? Diese bemüht sich weiterhin darum, die Realität, die sich beobachten lässt, so genau wie möglich abzubilden und zu beschreiben. Was wir mit dieser "Abkehr" möglicherweise derzeit erleben, ist die Begrenztheit dieses Versuchs, aber auch dies tangiert die Wissenschaft Physik in ihrer Praxis nicht.

Moderne Ontologien, die durchaus Erkenntnisse insbs. auch der Quantenphysik ernst nehmen.

Das meinte ich mit Metaphysik, die die Physik berücksichtigen muss, nicht aber umgekehrt.

Interpretation der QM. ... Das sind philosophische Grundhaltungen.

Sicher. Aber auch hier stellt sich für mich die Frage, welchen Beitrag die Philosophie (in Gestalt von Philosophen) zur Interpretation der QM leistet. Mir kommt es so vor, als leisteten dies die Physiker allein.

Warum sind wir in der Lage, die Natur mittels mathematischer Modelle zu beschreiben?

Keine Ahnung. Ist das ein Thema der Physik? Wichtig und relevant für die Physik ist doch, dass es offenbar gut funktioniert. Die Warum-Fragen überlassen wir doch dann besser den Philosophen. Die fragen dann munter weiter und gelangen doch nicht zu einer abschließenden Antwort. Insofern: Egal.

Viele Grüße!
 

TomS

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@Mahananda: ich glaube nicht, das du dich mit Philosophie und Metaphysik wirklich auseinandergesetzt hast, sonst wüsstest du, dass die moderne Physik nur deswegen zu ihren Fragestellungen, Methoden und letztlich Erkenntnissen gelangen konnte, weil auch diese angeblich unphysikalischen Fragen gestellt wurden. Dabei geht es auch nicht nur um physikalische Theorienbildung der letzten Jahrzehnte, sondern um eine viel länger dauernde Entwicklung (beginnend mit den Vorsokratikern)

Hast du einen der o.g. Autoren gelesen?

Versteh' mich nicht falsch, du kannst das für dich so sehen und bewerten, das ist dein gutes Recht. Aber du kannst das sicher nicht verallgemeinern.
 
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TomS

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... so dass da kein Bedarf besteht, den ontologischen Status von Modellen zu hinterfragen.
Einstein, Heisenberg, Bohr, Schrödinger, ... Wallace, Zeilinger, Zeh, ... sahen bzw. sehen diesen Bedarf.

Wenn mit Hilfe solcher Annahmen, wie z. B. Multiversum, das Beobachtbare genauer beschrieben werden kann also ohne, dann lässt man solche Annahmen stillschweigend gelten, auch wenn man weiß, dass man sie nie falsifizieren oder verifizieren kann. Wenn solche Annahmen entbehrlich sind, dann hinweg damit.
Sowohl diese Aussage als auch die konkrete Bewertung entzieht sich aber der Physik. Der Dissenz bzgl. dieser Theorien kann offensichtlich nicht physikalisch aufgelöst werden, denn es geht um die physikalische Methode selbst, also um die Meta-Ebene der Physik. Auch deine Aussage bzgl. Pragmatismus ist eine philosophische Grundhaltung, und sie ist unter Physikern zwar weit verbreitet, aber nicht umfassend akzeptiert. Und sie ist kein Dogma.

Diese bemüht sich weiterhin darum, die Realität, die sich beobachten lässt, so genau wie möglich abzubilden und zu beschreiben. Was wir mit dieser "Abkehr" möglicherweise derzeit erleben, ist die Begrenztheit dieses Versuchs, aber auch dies tangiert die Wissenschaft Physik in ihrer Praxis nicht.
Was ist Realität?

Und natürlich berührt sie die Physik in ihrer Praxis. Stell dir vor, es gelänge den Stringtheoretikern, das Standardmodell sehr genau abzuleiten (sowie daneben noch weitere Theorien in der Landscape). Hat die Stringtheorie das SM nun erklärt oder nicht? Wird die Stringtheorie dann allgemein akzeptiert sein? Oder werden weiterhin Gegenstimmen existieren, die sowohl bzgl. der physikalischen Methode (mangelnde Falsifizierbarkeit der Multiversen) als auch bzgl. der Ontologie (existieren diese Multiversen nun tatsächlich oder nicht) Kritik äußern werden? Ich denke, letzteres.


Aber auch hier stellt sich für mich die Frage, welchen Beitrag die Philosophie (in Gestalt von Philosophen) zur Interpretation der QM leistet. Mir kommt es so vor, als leisteten dies die Physiker allein.
Vielleicht weil du nur physikalische Fachliteratur liest? Und weil - zugegebenermaßen - die Philosophie da ins Hintertreffen geraten ist?
 

Mahananda

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Hallo Tom,

... dass die moderne Physik nur deswegen zu ihren Fragestellungen, Methoden und letztlich Erkenntnissen gelangen konnte, weil auch diese angeblich unphysikalischen Fragen gestellt wurden.

Sicher. Aber die Mesalliance zwischen Philosophie und Physik, bei der Philosophen Ideengeber für Physiker sein konnten, ist seit über 100 Jahren vorbei. Die moderne Naturwissenschaft begann vor etwa 400 Jahren, indem man sich von einigen philosophischen Prämissen freimachte, die sich seit der Antike etabliert hatten. Die Fragen mögen uralt sein, aber erst mit der wissenschaftlichen Methode hatte man ein Werkzeug zur Hand, diese Fragen - soweit sie dieser Methode zugänglich waren - nachprüfbar zu beantworten und die Antworten ggf. zu berichtigen.

Einstein, ... sahen bzw. sehen diesen Bedarf.

Warum sollte es Physikern verwehrt sein, ihre Resultate in einen umfassenderen Zusammenhang zu verorten, sprich: zu philosophieren? Ich bezweifle nur, dass diese Philosophie-Unternehmungen zu Resultaten führen, die die Physik als Naturwissenschaft weiterbringen.

Der Dissenz bzgl. dieser Theorien kann offensichtlich nicht physikalisch aufgelöst werden, denn es geht um die physikalische Methode selbst, also um die Meta-Ebene der Physik.

Nein. Die Anwendung der physikalischen Methode führt zu einer Vielzahl von Modellen, bei denen (noch?) nicht unter Anwendung derselben Methode entschieden werden kann, welches das Zutreffende ist. Die Meta-Ebene der Physik ist da keineswegs involviert.

Auch deine Aussage bzgl. Pragmatismus ist eine philosophische Grundhaltung, ...

Nein, es ist eine rationelle Arbeitsweise, um genau solche Warum-Fragen aus dem naturwissenschaftlichen Diskurs herauszuhalten.

Und sie ist kein Dogma.

Dogmen sind woanders verortet.

Was ist Realität?

Realität ist das was Physiker untersuchen. Das genügt als Arbeitsdefinition.

Ich denke, letzteres.

Ich auch, aber nicht aus irgendwelchen meta-physikalischen Erwägungen heraus, sondern weil es Bestandteil der wissenschaftlichen Herangehensweise ist, Theorien auf ihre Solidität hin kritisch zu prüfen. Ob darüber hinaus die von Dir angesprochenen Motivationen mit involviert sind oder nicht, ist - bezüglich der kritisierten Physik - irrelevant. Wenn die Kritiker Prüfverfahren ersinnen, die experimentell umsetzbar sind - wunderbar! Dann sind die Kritiker wieder mit im Boot der wissenschaftlichen Methode. Wenn nicht, bekommen sie nur ein Achselzucken.

Und weil - zugegebenermaßen - die Philosophie da ins Hintertreffen geraten ist?

Und woran liegt es, dass die Philosophie dorthin geraten ist?

Viele Grüße!
 

TomS

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Ich habe deinen pragmatischen Standpunkt schon verstanden. Es handelt sich aber auch da um eine philosophische Grundhaltung. Ich vertrete eine andere Position, und komme daher sicher zu anderen Schlussfolgerungen als du.


Ich denke, dass es auch recht konkrete physikalische Fragestellungen gibt, an denen das klar wird.


Ein Beispiel: du kannst die QM interpretieren, oder du kannst es - als Pragmatiker - bleiben lassen. Du wirst natürlich dadurch zu keinen anderen Aussagen bzgl. der normalen Anwendungen kommen als ich, aber du wirst dir bestimmte Fragen nicht stellen, weil sie für dich als Pragmatiker irrelevant sind. Z.B. kannst du den Formalismus einfach anwenden, oder du kannst ihn hinterfragen (die MWI geht z.B. von einem reduzierten Satz an Axiomen aus; stattdessen versucht sie die Bornsche Regel als Theorem abzuleiten). Damit wird das, was du praktischerweise als gegeben hinnimmst, zu einem Gegenstand physikalischer Forschung, und man kann die MWI ggf. tatsächlich falsifizieren (und zwar evtl. eher durch einen mathematischen Widerspruch als durch ein Experiment).


Dabei ist die Beschäftigung mit einer Theorie bzw. einer Variante einer Theorie natürlich normale Physik, aber der Denkansatz, der dazu führt, die Theorie oder die Variante überhaupt zu entwerfen, entspringt keiner direkten physikalischen Notwendigkeit (die QM weist an keiner Stelle einen "Defekt" auf, der die MWI o.ä. erzwingen würde); der Anstoß entspringt einer philosophischen Überlegung, nämlich der Idee, die Mathematik der QM vollständig realistisch zu interpretieren (und nicht rein pragmatisch gar nicht zu interpretieren).


Wenn also Everett diese philosophischen Überlegungen nicht angestellt hätte (ob ihm bewusst war, dass das Philosophie ist, ist dabei zweitrangig), dann gäbe es diese Forschungsrichtung nicht (der Pragmatiker kommt ohne sie aus) und dann würde man sie auch nicht (zukünftig hoffentlich) entweder widerlegen oder bestätigen.


Wie gesagt, du kannst diese Betrachtungen für dich als irrelevant bezeichnen, aber du wirst dadurch bestimmte Fragen einfach nicht stellen. Und ich denke schon, dass die Interpretation der QM sowohl eine philosophische als auch eine physikalische Angelegenheit ist, die diskutiert werden sollte.


Ich bezweifle nur, dass diese Philosophie-Unternehmungen zu Resultaten führen, die die Physik als Naturwissenschaft weiterbringen.

Nochmal die Frage: welche der o.g. Arbeiten bzw. Autoren

Einstein, Heisenberg, Bohr, Schrödinger, ... Wallace, Zeilinger, Zeh, ...


hast du denn mal gelesen?
 
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ralfkannenberg

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Hallo Tom,

Danke, endlich mal einer mit Ahnung.

Hallo Tom,

das ist Folge von Deinem Beitrag hier; dann bitte bügele Du das also wieder aus. Mir fehlt einfach die Lust dazu, hier regelmässig den "Korrektor" spielen zu müssen, vor allem bei Themen, die mich nicht interessieren.

Dass Du das richtig verstanden hast und dass Du auch imstande bist, diese Dinge im richtigen Zusammenhang zu sehen, bestreite ich ja gar nicht, ganz im Gegenteil. - Aber die, die Dich jetzt loben, stimmen einfach nur zu, weil sie glauben, etwas zu lesen, was sie lesen wollen, ohne es wirklich verstanden zu haben.

User mit Hajoe's Knowhow sind besser beraten, sich erst mal an diese Vorgabe zu halten.


Freundliche Grüsse, Ralf
 
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ralfkannenberg

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nö, es hat meinem Bruder nicht gut getan. Das hast Du ganz richtig vermutet. Das hat er bis heute nicht auf die Reihe bekommen. Hat nen recht wirren Lebenslauf. Immer Ärger mit dem Chef, dauernd neuen Arbeitsplatz und mittlerweile langzeitarbeitslos.

3 Frauen sind ihm weggelaufen, heute ist er reichlich verbittert und einsam. Kann das Positive im Leben nicht sehen. Schade.
Hallo Sissy,

und was hast Du konkret getan, Deinem Bruder zu helfen ? Wenn ich Deine Worte richtig verstehe hast Du es ja kommen sehen.


Das ist natürlich eine persönliche Frage, deren Antwort mich nichts angeht. Ich habe sie für Dich selber gestellt, denn ich habe aufgrund mancher Beiträge von Dir den Eindruck, dass Du Deine eigene Position bei nicht-naturwissenschaftlichen Angelegenheiten nicht sehr kritisch hinterfragst.


Freundliche Grüsse, Ralf
 
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