Hallo Runzelrübe,
ich finde es ausgesprochen interessant, wie man auf der Grundlage einer technischen Machbarkeit eine wirklich kulturelle Grundsatzfrage wegoperationalisieren kann.
Wenn man sich partout nicht von dem Gedanken trennen kann, dass Bewertung durch andere Personen etwas Schlechtes ist, dann passiert das aus Unverständnis und Angst; der Angst, auf einmal davon zu erfahren, was die anderen denken und der Angst, auf einmal vergleichbar zu werden.
Dass wir im Alltag erprobt und geneigt sind, unsere Mitmenschen zu beurteilen, steht ausser Frage. Auch, dass wir dabei funktionierende subjektive Schemata heranziehen. Das Schubladendenken entlastet uns im täglichen Leben vor Überforderung und wird im allgemeinen auch erfolgreich sein (Stichwort: 'Menschenkenntnis'). Das funktioniert umso unproblematischer, je oberflächlicher die Interaktion angelegt oder je hierachisierter oder vermachteter sie ist. Beide Parteien entwickeln dabei Anpassungsstrategien, die bis zur Verschleierung, (Selbst)Täuschung oder (Selbst)Verleumdung reichen können. Problematischer wird es dann, wenn existienzielle Grundlagen betroffen sind (Leistungsbeurteilungen im ökonomischen Umfeld z. B., was hier aber nicht das Thema ist) oder in subjektiv höherwertigen Kontexten, in denen Menschen mehr selbst von sich investieren und auf soziale Werte wie Vertrauen, Solidarität oder Verständnis im Umgang miteinander zählen. Auch wenn Foren keine Kuschelecken sind, sind sie auch keine Leistungsschau für 'Rasseposter'. Gerade auf überschaubaren Plätzen wie astronews.com entwickelt sich doch über Jahre hinweg so etwas wie eine Gemeinschaft. Diese muss man nicht romantisch überzeichnen, aber ich bin mir sicher, viele von uns setzen hier zuweilen auch gerade deshalb ihr Herzblut ein, weil sie sich hier mit ihren Interessen und subjektiven Vorlieben aufgehoben fühlen. Das bedeutet in der Konsequenz aber auch, dass wir nicht vergleichbar sein wollen, sondern mit unseren Eigenarten und Schrullen wahrgenommen werden wollen, sofern diese nicht gerade zu einer unnötigen Belastung der Gemeinschaft werden.
In einer solchen Gemeinschaft übernimmt man, insbesondere wenn man lange genug die unterschiedlichen Talente und Eigenarten erfahren und damit umzugehen gelernt hat, auch ein Mehr an persönlicher Verantwortung. Das bedeutet, wie im richtigen Leben auch, dass man andere Mitglieder konkret auf Fehler anspricht, sie kritisiert, aber auch gerne einmal ein Lob ausspricht. Das ist verbunden mit einer persönlichen Eingabe und Begründung. Und der Bereitschaft, eine Fehleinschätzung zu revozieren oder sich gar dafür zu entschuldigen.
Je länger diese Gruppe eine stabile Beziehung unter sich etabliert, und das astronews.com existiert bereits einige Jahre, ist auch klar, dass diese kommunikativen Fundamente, die unserer Kultur als eine der besten Eigenschaften eingebrannt sind, auch auf Neumitglieder erstreckt werden. Sie werden durch einen unausgesprochenen Abstimmungsprozess schliesslich kooptiert. Kaum jemand wird sich hoffentlich scheuen, die allgemeinen Geschäftsbedingungen dieses Forum, die einerseits in den Regeln kodifiziert sind und andererseits im unübersehbaren Konsens nach argumentativer Kommunikation, unabhängig vom thematischen Inhalt einer konkreten Diskussion, abgelegt sind, selbst einzubringen und von anderen einzufordern.
Insofern braucht es kein aufgeproftes Bewertungssystem, das unabhängig von diesem in langen Jahren erarbeiteten gemeinsamen Besitzstand funktioniert und die zwischenmenschliche Kompetenz durch eine anonyme, die persönliche Verantwortung herabsetzende, technokratische Denunzierungsmaschine ablöst. Wie ich schon deutlich gesagt habe: ich halte ein solches Verfahren für den Umgang unter erwachsenen Menschen für unwürdig!
[...] möchte ich Dir noch die Frage stellen. Wäre es Dir lieber, falls Du andere mit Schreibstil oder Deinen Aussagen verärgerst, sie Dir dies aber nicht offen sondern nur durch die Blume sagen oder hinter Deinem Rücken tuscheln
Wenn eine Gemeinschaft an diesem Punkt angekommen ist, hat sie ein grundsätzliches Problem. Es wäre weltfremd, würde man nicht anerkennen, dass ein solches Phänomen auch im real life existiert. Allerdings spricht das nicht gerade für die zwischenmenschliche Kompetenz derjenigen, die du damit als durchaus spontan wechselnde Subgruppe unter den Mitgliedern dieses Forum möglicherweise festgestellt haben willst. Mir würde, auch ganz spontan, gerade niemand unter unseren Mitgliedern einfallen, der nicht willens wäre, nicht sofort die direkte Ansprache, sei es im Thread oder per PN zu wählen. Und mir würde vor der Vorstellung grauen, wenn insbesondere unerfahrene neue Mitglieder und, wie ich bereits ausführen durfte, auch unsere speziellen 'Kandidaten' statt durch begründete Argumentation
wenn Du durch einen Mechanismus eher rechtzeitig oder ohne Mechanismus erst sehr spät davon erfährst?
durch
'leichte Stromschläge' diszipliniert würden. Und eben deshalb bin ich der Meinung,
Mir selbst wäre das Ansprechen auch das Angenehmste.
dass wir es genau dabei belassen sollten!
Grüsse galileo2609