Loopquantengravitation in Erklärungsnot?

Bernhard

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Hallo zusammen,

interessante Neuigkeiten gibt es von ESAs Gammastrahlenobservatorium Integral: http://www.esa.int/esaSC/SEM5B34TBPG_index_0.html.

Die Messungen dort zeigen, dass die Quantenstrukturierung, bzw. Quantenkörnigkeit der Raumzeit, wie sie z.B. von der Loopquantengravitation postuliert wird, deutlich unterhalb der Planck-Länge von 1.6e-35 m liegen muss.
Gruß
 
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TomS

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Loopquantengravitation in Erklärungsnot? Nein!

Hallo Bernhard, hallo zusammen,

leider ist der Beitrag der ESA extrem missverständlich formuliert.

Die genannten Experimente untersuchen, ob es Abweichungen von der (aus der Lorentzinvarianz folgenden) Gleichung m² = E²-p² gibt und ob man eine damit im Zusammenhang stehende frequenzabhängige Lichtgeschwindigkeit c=c(f), Polarisationsänderung o.ä. nachweisen kann. Die genannten Experimente bedeuten nun, dass für derartige Effekte eine neue, exaktere Schranke gefunden wurde, d.h. dass diese Effekte wesentlich kleiner sein müssen als bisher aus anderen Experimenten bekannt war.

Aber (!) die LQG heutiger Prägung sagt überhaupt keine derartigen Verletzungen oder Deformationen der Lorentzinvarianz voraus, d.h. im Rahmen der LQG gelten die aus der SRT folgenden Gleichungen für den Zusammenhang zwischen Ruhemasse, Energie und Impuls sowie die entsprechenden Gleichungen für Lichtgeschwindigkeit c=const. exakt (!) Die LQG sagt zwar in gewisser Weise eine Körnigkeit der Raumzeit voraus, jedoch folgen daraus gerade nicht die oben diskutierten Effekte.

Wie kann es nun zu diesem Missverständnis kommen?

Vor einigen Jahren wurde tatsächlich spekuliert, derartige Effekte könnten aus der LQG abgeleitet werden, aber man hatte damals nur eine weniger weit entwickelte Formulierung und ungenauere (offensichtlich unzulässige) Näherungsverfahren zu Hand; trotzdem wurde diese Idee Smolins recht breit getreten (u.a. ein Artikel von Bojowald im Spektrum der Wissenschaft). Soweit ich das verfolgt habe, war das aber eher Wunschdenken, eine experimentell überprüfbare Vorhersage zu produzieren. Heute ist die LQG Community davon überzeugt, dass die LQG die Lorentzinvarianz respektiert, insbs. gibt es papers zur sogenannten „covariant loop quantum gravity“ sowie Ergebnisse zu einem (kovarianten) Gravitonpropagator.

Die ESA sagt ja nun auch nichts speziellzur LQG (das ist nicht ihr Job); schlimmer ist, dass die LQG Community ihre eigenen Aussagen von vor einigen Jahren eben nicht an den entsprechendne Stellen revidiert (in den Fachpublikationen schon, aber eben nicht z.B. im Spektrum der Wissenschaft).

Im Übrigen kenne ich auch keinen anderen Ansatz zur Quantengravitation (u.a. Stringtheorie, „Asymptotic Safety“) aus dem derartige Effekte folgen würden. Die „Körnigkeit der Raumzeit“ ist eben nicht einfach eine fixe Gitterstruktur o.ä., sie entsteht – in den unterschiedliche Ansätzen durchaus unterschiedlich – wesentlich subtiler.

Gruß
Tom
 

Bernhard

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Die ESA sagt ja nun auch nichts speziellzur LQG (das ist nicht ihr Job); schlimmer ist, dass die LQG Community ihre eigenen Aussagen von vor einigen Jahren eben nicht an den entsprechendne Stellen revidiert (in den Fachpublikationen schon, aber eben nicht z.B. im Spektrum der Wissenschaft).
Hi Tom,

auch Dir zuerst ein Willkommen im Forum und vielen Dank für deinen Beitrag. Ein erster Schritt neuere Ergebnisse der LQG der breiteren Öffentlichkeit zu präsentieren ist damit getan. Nach Studium der entsprechenden Preprints und papers könnte/sollte man vermutlich noch diesen Wikipedia-Abschnitt zur LQG ändern. Dort wird genau der von dir bemängelte Punkt noch falsch (?) dargestellt.
Beste Grüße

B.
 

TomS

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Danke für das Willkommen.

Ja, du hast recht, der Eintrag in der Wikipedia-Seite ist inkorrekt.

Insgs. finde ich den Artikel nicht gut, da er teilweise veraltet und unvollständig ist; auch dem englischen würde eine Überarbeitung gut tun; u.a. wird auch da die Lorentzinvarianz als "open problem" dargestellt, wenn auch nicht direkt falsch wie im deutschen.

Für eine erste Idee zur LQG könntest du mal den Abschnitt
http://en.wikipedia.org/wiki/Loop_quantum_gravity#Broad_Overview_of_LQG
lesen und mir Feedback geben, der ist nämlich im wesentlichen von mir :)
 

Bynaus

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@TomS: Herzlich willkommen im Forum! Aus reiner Neugierde: Hast du beruflich mit LQG zu tun?
 

FrankSpecht

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Moin, TomS,
auch von mir ein herzliches Willkommen im Forum!

Hm, TomS? Da klingelt bei mir was. Hab mal vor 2 Jahren oder so in einem internationalen Physikforum zum Thema LQG von einem Tom.Stoer (aka Thomas) gelesen... google ...
Hier: physics forum

Da ich mich auch leidenschaftlich für die LQG interessiere, freue ich mich natürlich über deine Beiträge. Ich kenne im Wesentlichen nur die Äußerungen von Bojowald und, in der aktuellen "Sterne und Weltraum" (7/2011), den Artikel von Kristina Giesel. Letztere geht in ihrem Artikel schon nicht mehr auf frequenzabhängiges c ein. Allerdings wird auch bei ihr ein universelles Raster mit Knotenabständen der Größe der Plancklänge (10^-35 m) propagiert (was ja an sich nicht falsch ist, denkt man an die Energiepakete=Quanten als solches).
 
Zuletzt bearbeitet:

TomS

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@TomS: Herzlich willkommen im Forum! Aus reiner Neugierde: Hast du beruflich mit LQG zu tun?
Nein. Ich habe vor vielen Jahren Physik studiert und dabei zeitweise über die kanonische Quantisierung der QCD gearbeitet. Ca. zu der Zeit gab es bei uns am Institut ein Seminar zur Gravitationsphysik mit einem Ausblick auf die Wheeler-deWitt Gleichung zur kanonischen Quantisierung der Gravitation im Metrik-Formalismus. Ich hatte dann die Idee, einige im Zuge der QCD untersuchten Mechanismen auf die Gravitation zu übertragen und habe dazu nach aktueller Literatur gesucht; leider habe ich recht viel gefunden, denn Ashtekar hatte die Idee bereits einige Jahre vor mir gehabt :-(

Hm, TomS? Da klingelt bei mir was. Hab mal vor 2 Jahren oder so in einem internationalen Physikforum zum Thema LQG von einem Tom.Stoer (aka Thomas) gelesen
Ja, das bin ich :)

... und, in der aktuellen "Sterne und Weltraum" (7/2011), den Artikel von Kristina Giesel. Letztere geht in ihrem Artikel schon nicht mehr auf frequenzabhängiges c ein.
Diesen (wie ich finde sehr guten) Einführungsartikel habe ich auch gelesen (die Dame wird wohl den Job von meinem Diplomvater in Erlangen übernehmen :)

Allerdings wird auch bei ihr ein universelles Raster mit Knotenabständen der Größe der Plancklänge (10^-35 m) propagiert (was ja an sich nicht falsch ist, denkt man an die Energiepakete=Quanten als solches).
Nun, man darf diese sogenannten Spinnetzwerke nicht mit einem "fixierten Raster" verwechseln; sie sind selbst dynamisch, nicht fest vorgegeben; das ist der wesentliche Punkt.
 

FrankSpecht

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Moin,
Cool :cool:
Diplomvater in Erlangen
[OT]
Erlangen! Auch cool, da wohnt und studiert zur Zeit mein Sohn.
Die haben da auch'n renommiertes Institut für Paläontologie. Kam vor kurzem auf Arte+7 (Der Saurier-Code) :)
[/OT]

Nun, man darf diese sogenannten Spinnetzwerke nicht mit einem "fixierten Raster" verwechseln; sie sind selbst dynamisch, nicht fest vorgegeben; das ist der wesentliche Punkt.
Damit habe ich natürlich erstmal ein Problem. Ich sehe das Raster zwar verankert mit der dynamischen Raumzeit (das Raster "wabert" quasi mit der Änderung der Raumzeit), aber ich betrachte es vielmehr gerade deswegen im Sinne der Lichtgeschwindigkeit als fix"iert" (zwischen den Rasterknoten kann Licht nur mit c wechseln).
 

TomS

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Ich sehe das Raster zwar verankert mit der dynamischen Raumzeit (das Raster "wabert" quasi mit der Änderung der Raumzeit), aber ich betrachte es vielmehr gerade deswegen im Sinne der Lichtgeschwindigkeit als fix"iert" (zwischen den Rasterknoten kann Licht nur mit c wechseln).
Der wesentliche Punkt ist, dass es keine Raumzeit gibt, sondern nur noch das Spinnetzwerk. Es ist zwar so, dass die mathematische Konstruktion zunächst eine sogenannte Triangulation der Zaumzeit durchführt, also im wesentlichen den Raum zu einer "festen Zeit" in kleine Tetraeder zerlegt, doch dies ist nur ein Zwischenschritt. Als nächstes wird jeder Tetraeder durch seinen Mittelpnkt sowie die Verbindung der Mittelpunkte benachbarter Tetraeder ersetzt (letztere entsprechen den Kanten). Dies sind nun die sogenannten Spin-Netzwerke, d.h. Graphen, deren Vertizes und Kanten Spin-Variablen tragen. Eine bestimmte mathematische Eigenschaft der Theorie (die sogenannte Diffeomorphismeninvarianz) erlaubt es nun, dass man die Raumzeit selbst eliminiert und nur noch diese Spinnetzwerke zu betrachten.

D.h. die Spinnetzwerke sind nicht eingebettet in die Raumzeit, sie sind die Raumzeit (bzw. das, was von ihr übrig ist).

Betrachte einmal eine Wasseroberfläche. Sobald du einmal in der Lage bist, sie mittels Atmen und Molekülen sowie den Kräfetn zwischen diesen zu beschreiben, wirst du keine Notwendigkeit mehr sehen, eine glatte Wasseroberfläche und darauf entstehende Wellen als elementar zu betrachten; es gibt dann nur noch Atome und Moleküle, alles andere sind abgeleitete Eigenschaften.

Insbs. gibt es zwischen den Atomen kein Wasser, die Atome sind nicht "ins Wasser eingebettet" - und genausowenig gibt es zwischen den Kanten und Vertizes eine Raumzeit.
 

Bernhard

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Für eine erste Idee zur LQG könntest du mal den Abschnitt
http://en.wikipedia.org/wiki/Loop_quantum_gravity#Broad_Overview_of_LQG
lesen und mir Feedback geben, der ist nämlich im wesentlichen von mir :)
Hi Tom,

der Abschnitt macht einen sehr guten ersten Eindruck. Bei Sätzen wie "Indeed in a certain sense gravity looks rather similar to QCD" käme in der deutschen Wikipedia vermutlich sehr schnell eine Aufforderung die zugehörigen Quellen anzugeben. Trotzdem ist das ein erster Ansatz einfach Teile aus dem englischen Text zu übersetzen. So was kann man an einem ruhigen Abend ja mal machen.

BTW: Sicher kennst Du auch http://www.desy.de/uni-th/lqp/psfiles/dipl-reszewski.ps.gz. Was hältst Du von dieser Arbeit. Gibt es dort offensichtliche Fehler oder ist die Arbeit zum Einarbeiten in die Thematik geeignet, um bei dem Thema LQG zumindest ein wenig mitreden zu können.
Gruß
 

TomS

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Hi Tom,

der Abschnitt macht einen sehr guten ersten Eindruck. Bei Sätzen wie "Indeed in a certain sense gravity looks rather similar to QCD" käme in der deutschen Wikipedia vermutlich sehr schnell eine Aufforderung die zugehörigen Quellen anzugeben.
Zunächst mal danke.
Ja, die Aufforderung käme sicher; sinnvoller wäre es aber, weniger zu mäkeln und mehr zu schreiben :)

BTW: Sicher kennst Du auch http://www.desy.de/uni-th/lqp/psfiles/dipl-reszewski.ps.gz. Was hältst Du von dieser Arbeit. Gibt es dort offensichtliche Fehler oder ist die Arbeit zum Einarbeiten in die Thematik geeignet, um bei dem Thema LQG zumindest ein wenig mitreden zu können.
Gruß
Nein, kenne ich (noch) nicht.

Ein paar Anmerkungen:
- Reszewski hat seit 2006 m.W.n. nicht mehr publiziert
- die Arbeit ist fünf Jahre alt, seither hat sich in dem Feld sehr sehr viel getan
- ich kenne die Arbeit nicht; wenn aber Fredenhagen und Louis die Gutachter sind und Ashtekar wohl mal drübergelesen hat (bzw. über ein verwandtes Paper http://arxiv.org/abs/gr-qc/0606090), dann sind sicher keine offensichtlichen Fehler drin!
- man bekommt heute einen exzellenten Überblick über den sogenannten kanonischen oder Hamiltonformalismus, weniger jedoch über den Pfadintegralformalismus bzw. die Spin Foams; das ist aber der heute bevorzugte Weg
- ein wesentlicher Punkt ist evtl., dass die Arbeit in Deutsch ist!

Ich versuche mal, eine Liste von aktuellen Übersichtsartikeln zusammenzustellen; leider kann ich eure Vorkenntnisse nicht beurteilen.
 

TomS

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Eines vorweg: es gibt sehr viele aktuelle Themen, die in den Reviewartikeln nicht bzw. nicht ausführlich diskutiert werden können.

  • Ausgangspunkt: Einstein-Cartan Theorie / Riemann-Cartan-Mannigfaltigkeiten (mit Torsion), Ashtekar-Variablen, Loop-Variablen (Holonomie)
  • kanonische Quantisierung und Spin-Netzwerke, (konsistenter) Hamiltonoperator, Anomalienfreihet / off-shell closure der Constraint-Algebra
  • Zusammenhang zwischen kanonischem und Spinfoam Formalismus
  • Unterschiedliche Spin-Netzwerke: SU(2), SL(2,C) und Intertwiner
  • Group field theory
  • Definition von Observablen
  • Quantisierungsmehrdeutigkeiten, Immirzi-Parameter, topologische Terme
  • Kopplung an Materie, insbs. an Fermionen, ggf. Supergravitation (und höhere Dimensionen)
  • Renormierungsgruppe, "Ausintegrieren" / "Block-Spins"
  • "Raumzeit zweidimensional in der Nähe der Planckskala"
  • semiklassische Eigenschaften, kohärente Zustände, Gravitonpropagator / n-Punkt Funktionen
  • Quantengeometrie schwarzer Löcher, Horizonte, holographisches Prinzip
  • symmetrische Näherungen, LQC (Eliminierung von Urknall und SL-Singularität, Spektrum der Hintergrundstrahlung)
  • Quanten-Deformation, Quantengruppen SU(2)q deformation, Erklärungsansatz für die kosmologische Konstante, deSitter-Raumzeit
  • Braiding / Zöpfe, Materie aus Raumzeit
Ich würde ggw. folgende beiden Artikel empfehlen

http://arxiv.org/abs/1012.4707
Loop quantum gravity: the first twenty five years

Carlo Rovelli
(Submitted on 21 Dec 2010 (v1), last revised 25 Jan 2011 (this version, v4))
This is a review paper invited by the journal "Classical ad Quantum Gravity" for a "Cluster Issue" on approaches to quantum gravity. I give a synthetic presentation of loop gravity. I spell-out the aims of the theory and compare the results obtained with the initial hopes that motivated the early interest in this research direction. I give my own perspective on the status of the program and attempt of a critical evaluation of its successes and limits.​
http://arxiv.org/abs/1102.3660
Zakopane lectures on loop gravity

Carlo Rovelli
(Submitted on 17 Feb 2011 (v1), last revised 27 Feb 2011 (this version, v3))
This is a first version of the introductory lectures on loop quantum gravity that I will give at the quantum gravity school in Zakopane. The theory is presented in self-contained form, without emphasis on its derivation from classical general relativity. Dynamics is given in the covariant form. Some applications are described, including the recent derivation of de Sitter cosmology from full quantum gravity.​
 

Bernhard

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Hi Tom,

ich habe den deutschen Wikipedia-Artikel zur LQG mal ganz vorsichtig in die erwähnte Richtung angepasst (einen Kritik-Punkt entfernt) und beide Preprints bei den Weblinks eingebaut. Mittlerweile bin ich bei der (deutschen) Wikipedia (auch) etwas vorsichtig geworden, weil man sich - schneller als man glaubt - in kleineren Edit-Wars wiederfindet.

BTW: Kennst Du eventuell eine Quelle für die Notation der Rarita-Schwinger-Gleichung in diesem Wiki-Artikel. Die dort angegebenen Papers sind weit weniger kompakt in der Notation. Das Levi-Civita-Symbol habe ich z.B in diesem Zusammenhang bisher nur bei F. Gliozzi und J. Scherk, "Supersymmetry, Supergravity theories and the dual spinor model" in Nuclear Physics B122 (1977), S. 253-290 gefunden. Allerdings werden dort nur masselose Spin3/2-Felder betrachtet.
Gruß
 

TomS

Registriertes Mitglied
Zunächst mal ist es doch üblich, in der SUSY masselose Spinorfelder zu betrachten und die Masse durch einen Higgs-Mechanismus zu erzeugen. Nein, ich kenne keine Quelle dazu; in den QFT-Büchern, die ich kenne bzw. habe wird das nicht diskutiert. Eine Vermutung wäre, dass du evtl. im Band III von Weinberg etwas findest.
 
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