Hallo,
bis jetzt gibt es keine Datenbasis, auf deren Grundlage die Wahrscheinlichkeit abgeschätzt werden könnte, wie oft Lebewesen durchschnittlich entstehen. Es gibt zwar eine Reihe von experimentell ermittelten Daten, die die Synthese von möglichen Grundbausteinen betreffen (sogenannte "Ursuppen"-Experimente), so dass man weiß, aus welchem chemischen Ausgangsmaterial eine chemische Evolution starten kann. Darüber hinaus kann man abschätzen, welche Molekülklassen bevorzugt entstehen und man kann diese gewonnenen Daten mit den Bestandteilen von Meteoriten abgleichen, so dass hier eine verhältnismäßig sichere Basis gegeben ist.
Was man aber leider noch gar nicht kann, ist, einen oder mehrere Wege nachzuvollziehen, die aus der molekularen Vielfalt eine geordnete Abfolge sich wechselseitig stabilisierender chemischer Reaktionsketten machen, welche in der Lage ist, sich zu vermehren und Tochtersysteme zu erzeugen, die dieselbe Ordnung aufweisen. Entscheidend ist dabei die Verbindung zwischen Funktion und Konservierung. Gefundene Lösungen für einen Stoffwechselprozess müssen irgendwie so konserviert werden, dass sie bei Verlust (z.B. durch Abbauprozesse) erneut zur Verfügung gestellt werden können. Dies erfordert wiederum eine funktionale Lösung, die ebenfalls der Konservierung bedarf usw. usf. Es gilt also, einen Kreislaufprozess zu finden, der zwei voneinander verschiedene Molekülklassen arbeitsteilig miteinander verknüpft. Bis dahin verläuft die chemische Evolution beider Molekülklassen parallel nebeneinander, wobei die eine Klasse nur sich selbst konserviert und sukzessive längerkettig wird (analog zu den irdischen Nucleinsäuren) und die andere Molekülklasse ihr Repertoir in Bezug auf die Katalyse verschiedener chemischer Reaktionen ausweitet (inklusive des wechselseitigen Auf- und Abbaus).
Der große Zufallstreffer ereignet sich, wenn innerhalb einer Membranhülle beide Molekülklassen auf "passende" Weise zusammenkommen. Das bedeutet, dass die Auswahl der Funktionsmoleküle in der Lage sein muss, "Ihresgleichen" an konservierende Moleküle zu binden, "Ihresgleichen" von diesen konservierenden Molekülen wieder abzutrennen und zu einer neuen Kette zu verbinden, deren Abfolge einem Funktionsmolekül entspricht. Erst dann ist die Möglichkeit gegeben, Funktionen zu konservieren und bei Bedarf bereitzustellen. Darüber hinaus ist ein solches System evolutionsfähig, da eine veränderte Abfolge der konservierenden Moleküle eine veränderte Abfolge der Funktionsmoleküle und damit u.U. eine veränderte Funktion nach sich ziehen, die sich vorteilhaft auswirken kann.
Lebewesen müssen folglich ein Analogon zur irdischen Proteinbiosynthese entwickeln, das in den Anfangsstadien wenigstens so weit exakt ist, dass die benötigten Funktionen "ungefähr" über die synthetisierten Funktionsmoleküle verwirklicht werden können. Aus den eingangs erwähnten "Ursuppen"-Experimenten weiß man, dass Aminosäuren und Nucleinsäurebasen (wenn auch nicht ausschließlich dieselben, die auf der Erde verwendet werden) zu den wahrscheinlichsten Kandidaten für die aufgezeigten Aufgaben gehören dürften, so dass hypothetisches außerirdisches Leben dem irdischen hinsichtlich der fundamentalen Biopolymere stark ähnelt. Allerdings bleibt damit ein weites Feld von Möglichkeiten offen, das auf der Erde niemals die Chance hatte und jemals haben wird, Realität zu werden. Von daher kann man nicht auf menschenähnliche Aliens schließen.
Völlig unklar ist, wie sich die Ausgangsmaterialien miteinander verketten. Bei Aminosäuren kann man sich recht sicher sein, dass sie Peptidbindungen ausbilden, aber wenn es statt Alpha- eher Beta- oder Gamma-Aminosäuren sind - oder gar (wie beim irdischen Prolin) Iminosäuren sind, dann sehen die Polymere in ihrer Struktur ganz anders aus als unsere Proteine, obwohl ihr aktives Zentrum (wo die Katalyse stattfindet) durchaus ähnlich sein kann. Noch größere Unsicherheit ist bei den Nucleinsäurebasen gegeben. Gefunden hat man bevorzugt Adenin und Guanin - aber die Komplementärbasen müssen nicht notwendigerweise Thymin, Uracil oder Cytosin sein, es gibt da durchaus weitere Varianten. Weiterhin ist die Art der Verkettung recht variabel. Ribose und Desoxyribose gehören eher zu den Raritäten in den "Ursuppen"-Experimenten. Ebenso ist nicht von vornherein mit einer Phosphor-di-ester-Bindung zu rechnen. Diskutiert wird u.a. eine zwischengeschaltete Peptidbindung (sogenannte PNA's = Peptid-Nucleine-Acid), die ebenfalls zur Ausbildung von Doppelsträngen befähigt ist (Konservierungsfunktion!).
Die Vielzahl möglicher Biochemien darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass das oben beschriebene "Schließen des Kreises" zwischen Funktion und Konservierung durchaus ein einmaliger Zufallstreffer gewesen sein kann, der "Notwendigkeit" geworden ist, indem er sich evolutiv etabliert hat. (frei nach J. Monod) Bis zum Beweis des Gegenteils ist dies nach wie vor eine denkbare Option, mit der man rechnen muss. Es hat auch rein gar nichts mit Anmaßung zu tun, wenn man diese Option als solche äußert und auf fehlende Möglichkeiten der Wahrscheinlichkeitsabschätzung verweist. Natürlich kann es sein, dass Lebewesen auch andernorts in großer Zahl entstanden sind, aber auch das Gegenteil kann zutreffen, so dass wir allein im Universum sind. Wir sind derzeit noch nicht in der Lage, hier eine Entscheidung zu fällen.
Viele Grüße!