Offenbar haben wir hier unterschiedliche Meinungen.
Ja, und lass mich vorausschicken: das ist kein Problem!
Ich möchte versuchen, dir zu erklären, wie ich zu meiner Position komme.
Ich stehe auf dem Standpunkt, daß der Klimawandel nicht schlimmer ist als eine Serie von Nuklearunfällen. Kernkraft hat ebenso das Potential große Teile des Planeten innerhalb sehr kurzer Zeit für Menschen unbewohnbar zu machen.
Wenn du mit Kernkraft auch die Atombomben und die Gefahr eines globalen Atomkriegs mitzählt, bin ich auf deiner Seite.
Die zivile Atomenergie hat aber dieses Potential nicht. Ich glaube, es ist unbestritten, dass Tschernobyl der grösste und schlimmste Atomunfall der Geschichte war (es wurde zumindest am meisten Radioaktivität freigesetzt, und es gab Todesopfer). Trotzdem nimmt sich Tschernobyl auf der Skala aller Katastrophen sehr moderat aus, sogar, wenn man nur jene betrachtet, die durch Nutzung bestimmter Energieträger entstanden sind. Man muss sich bewusst sein, dass:
- Ein Unfall wie in Tschernobyl in modernen Druckwasserreaktoren nicht möglich ist (kein Graphit -> kein Graphitbrennen)
- Tschernobyl direkt weniger als 100 Tote gefordert hat
- Die nicht direkt nachgewiesenen, aber vermuteten bzw. basierend auf Modellen der Wirkung sehr kleiner Dosen von Radioaktivität extrapolierten Todesfälle sich in Bereichen <10000 bewegen (gemäss einer UNO Studie)
- Ein relativ kleines Gebiet tatsächlich permanent evakuiert wurde (und selbst dieses wird am Ende des 21. Jahrhunderts wieder bewohnbar sein)
- Man selbst auf einem Interkontinentalflug mehr Radioaktivität absorbiert als wenn man sich gleich lang in der evakuierten Zone rund um Tschernobyl aufhält
Weder Harrisburg noch Fukushima haben Todesopfer gefordert, und trotzdem kennt jeder, der eine Meinung zur Atomenergie hat, diese Namen. Aber wie heisst dieser Damm in China, der hunderttausende Opfer forderte, als er irgendwann in den 50er Jahren brach? Keine Ahnung, ich müsste es in der Wikipedia nachschlagen.
Was ich damit sagen will: Atomunfälle, so tragisch sie im Einzelfall sind, sind globale, mediale Ereignisse von enormer emotionaler Bedeutung, die dadurch zu einer Wichtigkeit aufgeblasen werden, die in keinem Verhältnis zu ihrer tatsächlichen (an objektiven Kennzahlen festgemachten) Wichtigkeit stehen. Das hat man jetzt gerade bei Fukushima wieder gesehen: alle wissen, wieviele Aufräumarbeiter Tepco in das AKW geschickt hat, aber wieviele Todesopfer das Beben und der Tsunami gefordert hat? Wikipedia wird es schon wissen...
Es leben hunderte Millionen von Menschen innerhalb weniger Meter des Meeresspiegels. Die meisten grossen Städte, Quellen von Wohlstand, Entwicklung, Kultur, Wissenschaft, stehen dort. Wenn wir den Klimawandel nicht aufhalten, wird der Meeresspiegel in den nächsten Jahrhunderten unaufhaltsam weiter steigen und dabei diese hunderten von Millionen Menschen vertreiben - im Gegensatz zu der Gegend um Tschernobyl wirklich nahezu permanent (für zehntausende bis hunderttausende Jahre sicher). Das schaffst du nicht mal mit hunderten von Atomunfällen.
Je mehr AKWs gebaut werden, desto größer wird die Wahrscheinlichkeit, daß Unfälle wie Harrisburg, Chernobyl oder Fukushima passieren.
Ich stimme dir zu, dass die Wahrscheinlichkeit anfänglich proportional zur Anzahl der Kraftwerke steigt. Aber je mehr Kraftwerke gebaut werden, desto grösser ist die Erfahrung, desto mehr Variation gibt es auf dem Markt, desto günstiger werden die Kraftwerke, desto einfacher ist es, qualifiziertes Personal zu finden, etc. In den 90er Jahren hiess es, wenn die Luftfahrt weiterhin so wächst wie bisher, werden wir in den 2000er Jahren jede Woche einen grossen Flugunfall mit dutzenden bis hunderten von Toten zu vermelden haben. Das ist nicht passiert: stattdessen hat man die Sicherheit verbessert, und die Zahlen sind sogar gegenüber den 90er Jahren gefallen.
Und darüber hinaus besteht bei den Kernkraftwerken noch die Gefahr, daß die absichtlich sabotiert werden könnten. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis irgendwelche Spinner AKWs attackieren
AKWs sind Ziele wie alles andere auch, aber sie könnten vermutlich besser geschützt werden, nicht zuletzt durch bauliche Massnahmen (wo das nicht ohnehin schon der Fall ist). Atomunfälle - egal ob künstlich herbeigeführt oder unabsichtlich - haben allerdings die Eigenschaft, dass sie sich relativ langsam entwickeln, so dass die Bevölkerung Zeit hat, die Zone um das AKW zu verlassen. Für einen Terroristen, der möglichst viele Menschen töten will, sind AKW deshalb keine besonders attraktiven Ziele. Es ist sehr viel einfacher, 10 Menschen mit einer Autobombe zu töten als mit einem AKW.
Ja und dann ist da noch das Müll-Problem. Seit beinahe 60 Jahren gibt es jetzt Atomkraftwerke. Endlager für den noch hunderttausende Jahre strahlenden Abfall gibt es immer noch nicht.
Müll ist vorwiegend unverbrannter Brennstoff (nicht besonders radioaktiv), die gefährlichen und langlebigen Aktiniden ("Transurane", z.B. Plutonium) sind die Folge des heute am weitesten verbreiteten Reaktordesigns. Nur die Spaltprodukte sind "echter Abfall", haben jedoch Halbwertszeiten von typischerweise 30 Jahren (einige Jahrhunderte in Extremfällen, aber das sind winzige Mengen). Mit anderen Reaktordesigns (etwa Brutreaktoren) hätte man das Müllproblem in der Form nicht, und man würde die strategische Reichweite der bekannten Uranvorkommen um fast einen Faktor 100 steigern. In gewissen Ländern (etwa in der Schweiz) stehen die Grünen einem Atommüll-Endlager auch sehr aktiv im Weg, aus politischen Gründen.
Wenn die Amerikaner schon auf die krude Idee kommen ihren Atommüll teilweise als Munition zu verwenden bei ihren zahllosen Kriegen im Ausland
Abgereichertes Uran ist kein Atommüll, zumindest war es nie in einem Reaktor. Es fällt beim Anreichern von Uran (für Brennstäbe) an. Da Uran ein sehr hartes Metall ist, wird es gerne für panzerbrechende Waffen verwendet. Die Radioaktivität von abgereichertem Uran (dh, es besteht fast nur noch aus U-238 mit einer Halbwertszeit von 4.5 Mrd Jahren) ist praktisch vernachlässigbar. Das, was an diesen Waffen tötet, ist nicht das Uran - es ist die Kugel, aus der das Uran besteht.
Ehrlich gesagt würde es mir weniger ausmachen, wenn die halbe Weltbevölkerung wegen des Klimas verhungert oder ersäuft, als wenn der halbe Planet durch Unfälle, Anschläge oder sonstwas radioaktiv verseucht würde.
Atomenergie hat gar nicht das Potential, den "halben Planeten" radioaktiv zu veseuchen. Kannst ja mal die Grösse der Evakuationszone um Tschernobyl oder Fukushima nehmen und ausrechnen, wie viele Atomunfälle es bräuchte, bis die Hälfte der Landoberfläche verseucht wäre...
Deswegen sähe ich es lieber, wenn man mit voller Kraft auf Solar, Wind und Energieeffizienz setzte.
Ich bin hier deiner Meinung. Aber das wird einfach nicht reichen (und um diese Frage geht es hier in dem Thread ja). Insbesondere die Sache mit der Energieeffizienz wird nach hinten losgehen, wie die Technikgeschichte gezeigt hat (Effizienzsteigerungen ziehen immer einen höheren Verbrauch nach sich).