Vor 70 Jahren: Entdeckung der Kernspaltung

hardy

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Eine der grossen und folgenreichsten Entdeckungen auf dem Gebiet der Kernphysik jährt sich in den nächsten Tagen zum 70. Male: die Entdeckung der Spaltung des Urankerns.

Ich will versuchen, im Schnelldurchlauf wichtige Stationen auf dem Weg zu dieser Entdeckung zu rekapitulieren.

Im Jahre 1932 entdeckte J. Chadwick das Neutron. Weil elektrisch ungeladen erwies es sich als ein sehr geeignetes Geschoss, um in den positiv geladenen Atomkern einzudringen. So ist es nicht verwunderlich, dass viele Physiker begannen, alle möglichen chemischen Elemente mit Neutronen zu beschiessen.

Eine Gruppe von Physikern unter dem Italiener Enrico Fermi begann 1934 systematisch mit der Neutronenbestrahlung von chemischen Elementen. Sie entdeckten bei diesen Experimenten nicht nur als erste die durch Neutronenbeschuss in vielen Elementen entstehende künstliche Radioaktivität, insbesondere in Form von Beta- und Gammastrahlung. Die bei den Experimenten mit Uran (Z=92) gefundenen Betaaktivitäten schienen auch darauf hinzudeuten, dass im Ergebnis des Neutroneneinfangs und nachfolgendem Betazerfall sich das Uran in Transuran-Elemente umwandelte, insbesondere in ein Isotop des Elementes mit der Ordnungszahl Z=93.

Die Chemikerin Ida Noddack (1896-1978) äusserte Ende 1934 im Anschluss an Fermis Versuche zur Uranbestrahlung mit Neutronen die Ansicht, dass - ausser der Entstehung von Transuranen - auch ein ganz anderer Prozess, nämlich ein Zerplatzen des Urankerns in zwei Bruchstücke mittlerer Kernladungszahl denkbar sei. Sie konnte ihre Ansicht aber weder durch experimentelle Hinweise noch theoretische Argumente stützen.

1935 gab Carl-Friedrich von Weizsäcker (1912-2007) erstmals eine halbempirische Formel für die Abhängigkeit der Kernbindungsenergie von der Massen- und Kernladungszahl an. Hieraus war zu folgern, dass die Zersplitterung eines schweren Atomkerns in zwei annähernd gleich schwere Bruchstücke von einer enormen Energiefreisetzung begleitet sein sollte. Niemand hielt aber die Herbeiführung einer solchen Kernreaktion mit den damals für Geschossteilchen verfügbaren Energien für möglich.

Die überraschende Entdeckung der Kernspaltung im Dezember 1938 war das unerwartete Resultat umfangreicher experimenteller Untersuchungen, die Otto Hahn (1879-1968) und die Österreicherin Lise Meitner (1878-1968) im Anschluss an Fermis Befunde bei der Uranbestrahlung mit Neutronen und seiner Vermutung aufnahmen, dass dabei ein oder mehrere Elemente mit Ordnungszahlen oberhalb 92, also Transurane, entstehen. Sie wollten die auftretenden Aktivitäten und Zerfallsprodukte näher analysieren und chemisch identifizieren. Im weiteren Verlauf bezogen sie Fritz Strassmann (1902-1980) als hervorragenden analytischen Chemiker in die Untersuchungen ein.

Bis 1937 war nach dem Neutronenbeschuss von Uran eine Vielzahl von Betaaktivitäten gefunden worden, die entsprechend der Arbeitshypothese von O. Hahn, L. Meitner und F. Strassmann sämtlich als Transurane (Z>92) anzusehen waren. Man hielt fest an dem bisher bewährten Prinzip, dass Kernreaktionen nur zur Bildung von Isotopen des Ausgangselementes oder unmittelbar benachbarter Elemente führen.

Die vermeintlichen Transurane ordnete man aufgrund der chemischen Analysen in das Periodensystem der Elemente ein und bezeichnete sie als Eka-Rhenium, Eka-Osmium, Eka-Iridium, Eka-Platin und Eka-Gold (Eka-X bedeutet sinngemäss "im Periodensystem unter dem Element X stehend").

Um es vorwegzunehmen: Alle von 1934 bis zur Entdeckung der Kernspaltung im Dezember 1938 vermeintlich gefundenen Transurane erwiesen sich als Spaltprodukte des Urans.

Die Untersuchungen, die auf die richtige Spur führten, begannen in Paris. Irene Joliot-Curie (1897-1956) und ihr Mitarbeiter P. Savitch fanden 1937 in ihren bestrahlten Uranproben eine aktive Substanz mit der Halbwertszeit von 3,5 Stunden, die nicht leicht zu identifizieren war. Im weiteren Verlauf ihrer Experimente beobachteten sie 1938 Ähnlichkeiten dieser Substanz mit Lanthan (Z=57, gehört zur Gruppe der Seltenen Erden). I. Joliot-Curie und P. Savitch vermochten es jedoch nicht, diese Substanz als Lanthan zu identifizieren und verfehlten damit um Haaresbreite die Entdeckung der Kernspaltung.

O. Hahn stand den Ergebnissen der französischen Forschergruppe vorerst skeptisch und ungläubig gegenüber. Zusammen mit F. Strassmann wiederholte er die Experimente der Franzosen und entschloss sich angesichts der merkwürdigen Ergebnisse seiner eigenen Experimente zu einer Serie von neuen Versuchen. L. Meitner konnte an diesen Versuchen nicht mehr teilnehmen, da sie im Sommer 1938 als Jüdin aus Nazi-Deutschland fliehen musste.

O. Hahn und F. Strassmann fanden bei ihren Versuchen ebenfalls eine 3,5-Stunden-Aktivität, von der sie zunächst annahmen, dass sie ein Gemisch von Radium (Z=88)- und Actinium (Z=89)-Isotopen sei. Sie versuchten, diese Substanz mit Barium (Z=56) als Trägersubstanz aus dem bestrahlten Uran abzutrennen, um dann das vermutete Radium vom Barium abtrennen zu können. Letzteres gelang jedoch nicht. Ein anschliessender Kontrollversuch mit dem Radium-Isotop Mesothorium I zeigte, dass das Mesothor wieder abgetrennt werden konnte, die 3,5-Stunden-Aktivität aber in der Barium-Trägersubstanz verblieb.

Am 19. Dezember 1938 schrieb O. Hahn an L. Meitner in Stockholm:

"Aber immer mehr kommen wir zu dem schrecklichen Schluss: Unsere Radium-Isotope verhalten sich nicht wie Radium, sondern wie Barium … Ich habe mit Strassmann verabredet, dass wir vorerst nur Dir dies sagen wollen. Vielleicht kannst Du irgendeine phantastische Erklärung vorschlagen. Wir wissen dabei selbst, dass es [das Uran] eigentlich nicht in Barium zerplatzen kann."

Am 28. Dezember 1938 stellt O. Hahn brieflich schliesslich an L. Meitner die Frage:

"Wäre es möglich, dass das Uran-239 zerplatzt in ein Barium und ein Masurium (heute: Technetium, Z=43)?"

Am 22. Dezember 1938 reichten Hahn und Strassmann das Manuskript ihrer Arbeit unter dem Titel "Über den Nachweis und das Verhalten der bei der Bestrahlung des Urans mittels Neutronen entstehenden Erdalkalimetalle" an die Zeitschrift "Die Naturwissenschaften" ein. Die Veröffentlichung erfolgte am 6. Januar 1939. Zusammenfassend schrieben sie:

"Wir kommen zu dem Schluss: Unsere 'Radiumisotope' haben die Eigenschaften des Bariums; als Chemiker müssten wir eigentlich sagen, bei den neuen Körpern handelt es sich nicht um Radium, sondern um Barium; …"

Und weiter heisst es:

"Als Chemiker müssten wir … statt Radium, Actinium, Thorium die Symbole Barium, Lanthan, Cer einsetzen. Als der Physik in gewisser Weise nahestehende 'Kernchemiker' können wir uns zu diesem, allen bisherigen Erfahrungen der Kernphysik widersprechenden, Sprung noch nicht entschliessen."

L. Meitner, die als einzige aller Physiker vor der Publikation vom 6. Januar 1939 über die Ergebnisse unterrichtet war, schrieb am 1. Januar 1939 an O. Hahn:

"Wir [L. Meitner und ihr Neffe O. R. Frisch] haben Eure Arbeit sehr genau gelesen und überlegt, vielleicht ist es energetisch doch möglich, dass ein so schwerer Kern zerplatzt."

Meitner und Frisch gingen bei ihren Überlegungen zur theoretischen Erklärung des Spaltungsphänomens vom Tröpfchenmodell des Atomkerns aus, dessen Grundlagen schon 1930 von G. Gamow entwickelt worden waren. Wie bereits C. F. von Weizsäcker erkannt hatte, ist der Spaltungsprozess energetisch möglich, weil der Urankern schwächer gebunden ist als die beiden Spaltbruchstücke. Die Differenz zwischen der Kernbindungsenergie der beiden Spaltfragmente und der des Urankerns wird in Form der kinetischen Energie der Spaltbruchstücke frei. Auf der Grundlage ihrer Vorstellungen schätzten Meitner und Frisch die pro Spaltakt frei werdende Energie zu rund 200 MeV. Das entsprach etwa dem Neunfachen der grössten bis dahin bekannten Energiefreisetzung einer Kernreaktion.

Kurz nach der Entdeckung der Kernspaltung meinte Niels Bohr:

"Wir waren Dummköpfe. Wie konnten wir dies so lange nicht bemerken!"

Tja, hätten die Herren Theoretiker mal auf eine Frau (Ida Noddack) gehört ... :)

Gruss
hardy
 

Orbit

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hardy
Besten Dank für Deinen historischen Überblick. Ich habe bisher nur einen Teil der Geschichte gekannt, in dem lediglich die Akteure Hahn, Meitner und Frisch vorkamen.

Herzliche Grüsse
Orbit
 

mac

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Hallo hardy,

hab' gerade Deinen Beitrag gelesen. :)

Vielen herzlichen Dank dafür!

MAC
 

hardy

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Danke für eure Antworten, Orbit und mac.

Wissenschaftsgeschichte ist eines meiner Steckenpferde.
Allerdings muss ich auch zugeben, dass ich zum Thema Kerntechnik eine besondere Beziehung habe. :)

Ich hoffe gezeigt zu haben, dass die Entdeckung der Kernspaltung ab 1934 sozusagen in der Luft lag. Mehrere Forschergruppen waren nahe dran.

Die Kernspaltung wurde zuerst auf radiochemischem Wege nachgewiesen. Es soll aber nicht unerwähnt bleiben, dass auch von physikalischer Seite unverkennbare Hinweise vorlagen, die unabhängig von den Ergebnissen Hahns und Strassmanns aufgefunden worden waren.

Der amerikanische Physiker Philip H. Abelson (1913-2004) wollte Transurane in bestrahlten Uranproben durch ihre charakteristische Röntgenstrahlung nachweisen. Das gemessene Röntgenspektrum entlarvte jedoch das vermutete Transuran als ein Jodisotop! Ähnliche Ergebnisse fanden N. Feather und E. Bretscher. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieser Ergebnisse lagen aber die Resultate von Hahn und Strassmann schon vor, war die Kernspaltung schon entdeckt. Die Priorität der Entdeckung gehörte Hahn und Strassmann.

Otto Hahn erhielt alleine den Nobelpreis für Chemie des Jahres 1944 für die Entdeckung der Kernspaltung. Lise Meitner und Fritz Strassmann wurden nicht berücksichtigt. Zur Rolle von L. Meitner äusserte F. Strassmann:

"Lise Meitner war die geistig Führende in unserem Team gewesen, und darum gehörte sie zu uns – auch wenn sie bei der 'Entdeckung der Kernspaltung' nicht [direkt] gegenwärtig war"

Lise Meitner schrieb am 20. November 1945:

"Hahn hat sicher den Nobelpreis für Chemie voll verdient, da ist wirklich kein Zweifel. Aber ich glaube, dass Frisch und ich etwas nicht Unwesentliches zur Aufklärung des Uranspaltungsprozesses beigetragen haben – wie er zustande kommt und dass er mit einer so großen Energieentwicklung verbunden ist, lag Hahn ganz fern."

Heutzutage hätte man wohl allen drei Forschern den Nobelpreis zuerkannt.

Gruss
Hartmut
 
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Schmidts Katze

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Hallo hardy,

auch von mir danke für diesen wirklich interessanten Überblick.

Ich möchte aber auch an folgende Daten erinnern:

06. und 09.August1945: Über Hiroshima und Nagasaki werden 2 Atombomben gezündet.
26. April 1986: Im Kernkraftwerk Tschernobyl kommt es zu einer Kernschmelze.

Ich glaube, das gehört bei der Geschichte dazu.

Grüße
SK
 

Schmidts Katze

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Zur Geschichte der "Entdeckung der Kernspaltung"? :confused:

Ja, natürlich.
Oder sitzen wir im Elfenbeinturm, forschen vor uns hin, und kümmern uns nicht darum, was Techniker und Ingenieure aus unseren Erkenntnissen machen?

Wissenschaft erweitert die Möglichkeiten der Menschen im guten wie im schlechten.
Hat die Fähigkeit, Atomkerne zu spalten, uns weitergebracht oder eher geschadet?

Grüße
SK
 

Maenander

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Ja, natürlich.
Oder sitzen wir im Elfenbeinturm, forschen vor uns hin, und kümmern uns nicht darum, was Techniker und Ingenieure aus unseren Erkenntnissen machen?

Wissenschaft erweitert die Möglichkeiten der Menschen im guten wie im schlechten.
Hat die Fähigkeit, Atomkerne zu spalten, uns weitergebracht oder eher geschadet?

Grüße
SK
Mal abgesehen davon, dass viele der Folgen damals noch nicht abzusehen waren:

Neue Möglichkeiten bringen uns immer erstmal weiter. Was wir daraus machen, ist eine ganz andere Sache. Und so ganz doof kann die Menschheit ja nicht sein, sonst hätten wir uns schon längst ausgelöscht.

Das Auto hat in den letzten hundert Jahren mehr Leute umgebracht als die Atombombe. Diese Rechnung kann man für so ziemlich jede Erfindung/Entdeckung, angefangen beim Faustkeil, machen. Mit der Einstellung können wir also gleich zurück vor die Erfindung jeglicher Werkzeuge.
 

Orbit

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Mit der Einstellung können wir also gleich zurück vor die Erfindung jeglicher Werkzeuge.
Oder gleich vor die Schöpfung; denn als die Menschen mit dem Zeigefinger ausgestattet wurden, geschah das nicht mit dem Ziel, dass sie dereinst damit den Abzug von Schusswaffen betätigen könnten.:D
Orbit
 

hardy

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Nach der Entdeckung der Kernspaltung

Hallo interessierte User,

ich möchte noch bei den wissenschaftlichen Aspekten der Kernspaltung bleiben. Was geschah im Jahr nach Hahns Entdeckung?

Auf der Tagung der Amerikanischen Physikalischen Gesellschaft am 26. Januar 1939 in Washington war von einigen Physikern bereits die Vermutung geäussert worden, dass bei der Spaltung des Urankerns sehr wahrscheinlich Neutronen freigesetzt werden. Der experimentelle Nachweis gelang zuerst einer französischen Forschergruppe um Frédéric Joliot-Curie (1900-1958). In einer Arbeit vom 8. März 1939 vermuteten sie, dass bei der Spaltung im Mittel mehr als ein Neutron freigesetzt wird. In einer weiteren Arbeit vom 7. April 1939 gaben sie den Wert 3,5 ± 0,7 an (Der genaue Wert beträgt für die Uranspaltung durch langsame Neutronen 2,47). Damit erschienen die Aussichten sehr gut für die Verwirklichung einer nuklearen Kettenreaktion bei genügender Grösse einer geeigneten Anordnung.

Im Februar 1939 hatten der Amerikaner R. B. Roberts und Mitarbeiter die Emission verzögerter Neutronen nachgewiesen. Sie beobachteten, dass noch bis zu 1,5 Minuten nach Entfernen der die Kernspaltung auslösenden Neutronenquelle von der bestrahlten Probe Neutronen emittiert werden. Der Anteil dieser verzögerten Neutronen an der Gesamtzahl der pro Spaltakt entstehenden Neutronen ist, wie sich später herausstellte, sehr gering. Er beträgt weniger als 1 %, ist aber für die Herbeiführung einer stationären nuklearen Kettenreaktion und das Regelungsverhalten der Kernspaltungsreaktoren von wesentlicher Bedeutung.

Die Untersuchungen weiteten sich jetzt rasch weiter aus. Niels Bohr (1885-1962) vermutete, dass nur das Uranisotop U-235, das im natürlichen Uran lediglich zu 0,72 % enthalten ist und erstmals 1935 durch A. J. Dempster nachgewiesen worden war, durch langsame Neutronen spaltbar ist, das häufigere Isotop U-238 hingegen nur durch schnelle Neutronen und mit geringerer Reaktionsrate. Diese Vermutung wurde 1940 experimentell bestätigt, nachdem auf massenspektroskopischem Wege eine angereicherte U-235-Probe gewonnen worden war.

Insgesamt wurden im Verlauf des Jahres 1939 reichlich 100 Arbeiten zur Kernspaltung und den damit verbundenen Phänomenen wie auch zu denkbaren Wegen zur Verwirklichung einer energieliefernden Kettenreaktion veröffentlicht. Das Konzept der kritischen Masse wurde geboren. F. Joliot-Curie und Mitarbeiter reichten fünf Patente ein und hinterlegten mehrere Geheimdokumente, die das Prinzip und die wesentlichen Bedingungen der steuerbaren nuklearen Kettenreaktion und des Aufbaus eines „Atommeilers“, eines Kernreaktors, beschrieben. Ihr Inhalt wurde erst nach dem Krieg bekannt.

Im Juni 1939 erschien in den "Naturwissenschaften" der Artikel von S. Flügge (1912-1997) "Kann der Energieinhalt der Atomkerne technisch nutzbar gemacht werden?". Zusammenfassend kam er zu dem Schluss:

"Alles in allem sei noch einmal betont, dass unsere gegenwärtigen Kenntnisse die Möglichkeit einer 'Uranmaschine' der beschriebenen Art wahrscheinlich machen, dass aber das vorliegende quantitative Zahlenmaterial noch mit zu hohen Fehlergrenzen behaftet ist, um diese Möglichkeit zur Gewissheit zu verdichten."

Auf die militärische Bedeutung, die der Kernspaltung möglicherweise für die Schaffung von Kernsprengkörpern ungeahnter Stärke zukommt, wurden in den USA und in Deutschland Regierungs- und militärische Dienststellen schon im März/April 1939 hingewiesen.

Nach Kriegsausbruch im Herbst 1939 teilweise und im Verlaufe des Jahres 1940 dann nahezu vollständig, begann sich über alle kerntechnisch wesentlichen Daten und Erkenntnisse der Schleier der Geheimhaltung zu senken und blieb für die nächsten 15 Jahre fast vollständig geschlossen.

Am 2. Dezember 1942 wurde von Enrico Fermi (1901-1954) und seinem Forscherteam unter den Tribünen des Universitätsstadions von Chicago erstmals eine stationäre Kernspaltungs-Kettenreaktion verwirklicht. Der erste künstliche Kernreaktor war in Betrieb.

Gruss
hardy
 

Martin

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Vielleicht noch ein paar Anmerkungen:
1972 entdeckten franzoesische Wissenschaftler in der Uranlagerstaette Oklo (und spaeter in benachbarten Bangombe) im westafrikanischen Gabun fossile natuerliche Kernreaktoren. Wiedereinmal war die Natur der Menschheit zuvor gekommen (hier etwa 2 Mrd Jahre).

Und um bei der Geologie zu bleiben: Seit dem 16.Jh. gebrauchten Bergleute in Sachsen das Wort Pechblende fuer ein schwarzes, schweres Mineral. Bis heute ist dies der gebraeuchliche Ausdruck fuer das wichtigste Uranmineral Uraninit geblieben (im englischen als Pitchblende eingebuergert).

1789 untersuchte der Berliner Chemiker Klaproth eben jenes Mineral aus der Grube Georg Wagsforth in Johanngeorgenstadt und entdeckte darin das Element Uran (er stellte allerdings nur das Oxid dar, bis yur Darstellung des Metalls dauerte es noch einige Jahrzehnte).

Die erste industrielle Verarbeitung von Uran begann in der Mitte des 19 Jh. im boehmischen Jachymov (zu deutsch Joachimsthal) am Suedrand des Erzgebirges ur Gewinnung von Farben.

1896 entdeckte der franzoesische Physiker Henry Becquerel bei der Untersuchung verschiedener Materialien auf ihre Phosphoreszenzeigenschaften die Radioaktivitaet in kuenstlich hergestellten Kaliumuranylsulphat. Woher das Uran dafuer stammte ist unklar, das Erzgebirge ist aber wahrscheinlich.

Daraufhin begannen die Curies mit ihrer Forschung und machten sich auf die Suche nach neuen radioaktiven Elementen. Nachdem Ihnen aufgefallen war, das Uranmetall weit weniger radioaktiv ist als das Uranerz, aus dem es gewonnen wurde, beschafften sie sich zuerst Pechblende aus dem Erzgebrige und spaeter grosze Mengen Aufbereitungsrueckstaende der Uranfarbenfabrik aus Joachimsthal. Und entdeckten darin zuerst das Polonium und spaeter das Radium.
Daraufhin begann man in Joachimsthal zum erstenmal Radium industriell herzustellen. Spaeter folgte noch ein Heilbad, welches die radioaktiven Waesser aus den Gruben nutzt und heute noch in Betrieb ist.

1898 waren uebrigens 21 Uranminerale bekannt. 14 davon wurden zum erstenmal aus dem Erzgebirge beschrieben.

Das Uran fuer den ersten sowjetischen Kernreaktor stammt auszerdem auch aus Deutschland; allerdings nicht urspruenglich. Nach dem Einmarsch in Belgien stellte die Deutschen dort groeszere Mengen Uranverbindung aus der Kolonie Kongo sicher. Diese fand ein Trupp sowjetischer Experten Mitte 1945 in Neustadt-Glewe. Mit diesen mehr als 100 t Uranoxid bestueckte man den ersten russischen Reaktor F1 in Moskau, welcher im Dezember 1946 in Betrieb ging und mit seinem original Brennstoff mehr als 50 Jahre in Betrieb blieb.

Glueck Auf

Martin
 

Schmidts Katze

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Hallo hardy, hallo Martin,

danke für die zusätzlichen Informationen.

Hallo Maenander und Orbit,

ich habe schon in meiner Antwort auf Nathan gesagt,daß ich keinem der Forscher unterstelle, er hätte Atombomben vorhergesehen.
Aber es wurden welche gebaut und auch eingesetzt.

Die Frage nach dem Nutzen und Schaden der Wissenschaft ist einfach notwendig, sonst klonen wir bald Menschen oder erzeugen Schimären.
Wir sind an einem Stand der Wissenschaft, wo wir uns solche Fragen stellen müssen.

Die Entdeckung der Kernspaltung und die Erfindung der Atombombe sind wohl eins der ersten Beispiele für diese Entwicklung.

Hat die Fähigkeit, Atomkerne zu spalten, uns weitergebracht oder eher geschadet?

Mit der Einstellung können wir also gleich zurück vor die Erfindung jeglicher Werkzeuge.

Wenn wir Fragen stellen?

Grüße
SK
 

Orbit

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Hallo Schmidts Katze
OK. Du hast lediglich gefragt. Das ist noch keine Einstellung. Ich bin da Maenander zu schnell auf den Beifahrersitz gesprungen.
Trotzdem: Neugierde wird man nie verbieten können, und so wird halt weiterhin geforscht - würde man's verbieten, halt im Verborgenen.
Einschränkung der Forschungsfreiheit kann deshalb nicht der Weg sein. Bei der Anwendung von Forschungsergebnissen müssten allerdings ethische Überlegungen eine wichtige Rolle spielen. In Demokratien sollte das mit Ethik-Kommissionen realisierbar sein, in der sog. freien Marktwirtschaft weniger, in Diktaturen kaum.
Orbit
 

Nathan5111

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Hallo SK,
Die Frage nach dem Nutzen und Schaden der Wissenschaft ist einfach notwendig, sonst klonen wir bald Menschen oder erzeugen Schimären.
Wir sind an einem Stand der Wissenschaft, wo wir uns solche Fragen stellen müssen.

Die Entdeckung der Kernspaltung und die Erfindung der Atombombe sind wohl eins der ersten Beispiele für diese Entwicklung.
Ich muss Dir rational recht geben, obwohl ich Dir gefühlsmäßig vehement widersprechen möchte. Meine Ausbildung zum Physiker, meine 45-jährige Erfahrung mit Science-Fiction, meine Teilnahme am politischen Leben zwingen mich einfach, außerordentlich pessimistisch zu sein. Die menschliche Natur ist m.E. einfach so, jeden noch so kleinen Vorteil für sich persönlich, für seine Familie, seinen Staat, seine Religion und was ihr sonst noch wichtig sein könnte, zu nutzen und vor den 'anderen' zu verbergen. Sollte man dann trotzdem auf 'Grundlagenforschung' verzichten?

Die einzige Möglichkeit liegt in der völligen Öffentlichkeit der Arbeiten!
Ich vermute aber, dass Du auch dies realistisch einschätzt.
Wenn wir Fragen stellen?
Welchen Stellenwert misst Du Dir bei?

Nein, keine weihnachtlichen Grüße
Nathan
 

Schmidts Katze

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Hallo Orbit,

Bei der Anwendung von Forschungsergebnissen müssten allerdings ethische Überlegungen eine wichtige Rolle spielen. In Demokratien sollte das mit Ethik-Kommissionen realisierbar sein, in der sog. freien Marktwirtschaft weniger, in Diktaturen kaum.
Orbit

Wir solllten in Internet-Foren darüber diskutieren.

Grüße
SK
 

hardy

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Hallo Martin,

danke für deine Ergänzungen.

1972 entdeckten franzoesische Wissenschaftler in der Uranlagerstaette Oklo (und spaeter in benachbarten Bangombe) im westafrikanischen Gabun fossile natuerliche Kernreaktoren. Wiedereinmal war die Natur der Menschheit zuvor gekommen (hier etwa 2 Mrd Jahre).

Stimmt, aber bei einer U-235-Anreicherung von dazumal etwa 3% brauchte die Natur keine intelligente Lösung für einen Kernreaktor. :)

Heutzutage kann man einen Kernreaktor mit Natururan (U-235-Anreicherung 0,72%) nur dann betreiben, wenn Uran und Moderator getrennt sind (heterogene Anordnung) und der Moderator entweder Graphit oder Schweres Wasser ist.

Die erste industrielle Verarbeitung von Uran begann in der Mitte des 19 Jh. im boehmischen Jachymov (zu deutsch Joachimsthal) am Suedrand des Erzgebirges zur Gewinnung von Farben.

Tatsächlich war das Färben von Gläsern im 19. Jhd. der einzige Gebrauchswert von Uran. Heutzutage nutzt man Uran fast ausschliesslich zur Energiegewinnung (Stromerzeugung). Das ist auch sinnvoll, denn die Verbrennung von fossilen Stoffen wie Kohle, Öl oder Gas zur Stromerzeugung ist einerseits eine Verschwendung von Rohstoffen, die für andere Zwecke (Chemieindustrie, Pharmazie etc.) benötigt werden, und andererseits eine Belastung des Weltklimas.

Gruss
hardy
 

hardy

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Die Frage nach dem Nutzen und Schaden der Wissenschaft ist einfach notwendig, sonst klonen wir bald Menschen oder erzeugen Schimären.
Wir sind an einem Stand der Wissenschaft, wo wir uns solche Fragen stellen müssen.

Die Entdeckung der Kernspaltung und die Erfindung der Atombombe sind wohl eins der ersten Beispiele für diese Entwicklung.

Hallo SK,

es geht nicht um die Frage nach Nutzen oder Schaden der Wissenschaft, sondern darum, wie die Gesellschaft, d. h. im Allgemeinen deren Machthaber, mit den Ergebnissen der Wissenschaft umgeht.

Diese Frage hat sich bereits längere Zeit vor der Entdeckung der Kernspaltung gestellt. So führte z. B. die Entwicklung der chemischen Grossindustrie im 20. Jhd. auch zu der Möglichkeit, im imperialistischen 1. Weltkrieg Giftgase als Massenvernichtungswaffen einzusetzen. Es war übrigens der Chemie-Nobelpreisträger Fritz Haber, der (obwohl Jude) als „deutscher Patriot“ auf diesen heimtückischen Gedanken verfiel. Sein Argument „die Rettung von Menschenleben durch Verkürzung des Krieges“ war übrigens das gleiche, das die USA zur Rechtfertigung ihres Einsatzes von Atombomben auf japanische Städte gebrauchten.

Da die sozialen Aspekte wissenschaftlicher Entdeckungen aber nicht Gegenstand dieses Forums sind, will ich nicht weiter darauf eingehen.

Gruss
Hardy
 
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