Dass man im Kuipergürtel keine weiteren 1000 km+ Planetoiden (das wäre übrigens ein wesentlich besseres Wort für diese grossen, nahezu runden Asteroiden) gefunden hat, liegt wohl einfach an der Kuiper-Klippe: weit draussen gibts kaum mehr solche Objekte, im Gürtel selbst kennen wir jetzt die meisten. Doch Sedna ist ein Hinweis darauf, dass es noch viele, viele 1000 km+ Planetoiden jenseits der Klippe geben könnte, in der inneren Oortschen Wolke und darüber hinaus. Ich wäre überhaupt nicht erstaunt, wenn es in der Oortschen Wolke noch einige, bis zu erdgrosse, Objekte gäbe. Wir haben aber wegen der grossen Distanz und der Abhängigkeit der reflektierten Helligkeit von der 4. Potenz der Distanz keine Chance, diese Objekte bald zu finden.
Hallo Bynaus,
ich habe mir bewusst Zeit für diese Frage genommen, nicht nur um die Polemik etwas herauszunehmen, sondern auch um ein bisschen die Datenbank des MPC zu durchforsten. Leider fehlte mir (auch aus privaten Gründen) die Zeit, dies seriös zu tun, so dass ich nur eine ganz grobe Abschätzung vorbringe; kommt hinzu, dass Du die Sache, die ich hinterfragen wolle, gar nicht konkret anzweifelst.
Um eine einheitliche Notation zu gewährleisten beziehe ich mich auf das Entdeckungspaper des 3.Sednoiden (541132) 2015 TG387 ("The Goblin"):
A New High Perihelion Inner Oort Cloud Object: 2015 TG387 (Scott Sheppard, Chadwick Trujillo, David Tholen, Nathan Kaib)
Extreme Trans-Neptunian objects (ETNOs) have perihelia well beyond Neptune and large semi-major axes (a > 150 − 250 au).
(…)
The ETNOs can be separated into three sub-classes (Figure 1). The scattered ETNOs have perihelia below 38-45 au and likely were created from gravitational scattering with Neptune and still have strong to moderate interactions with the known giant planets (Brasser & Schwamb 2015). The detached ETNOs have more distant perihelia of between about 40-45 to 50-60 au, but could still have significant interactions with the known giant planets (Gladman et al. 2002; Bannister et al. 2017). Inner Oort Cloud objects (IOCs) or Trans-Plutonian objects (TPOs) have perihelia greater than 50-60 au and are too far from the giant planets to be strongly influenced by them (Gomes et al. 2008).
Bemerkung: fett hervorgehoben durch mich
Natürlich war der Umstand, dass die Erst-Entdeckung eines solchen Inner Oort Cloud objects, also die Sedna, ein Planetoid der 1000+ km-Klasse war, ein starkes Indiz darauf, dass es zahlreiche weitere Inner Oort Cloud Objects in dieser Grössenordnung geben sollte, denn die Wahrscheinlichkeit, dass sich gerade zu dem Zeitpunkt, ab dem dieser Entfernungsbereich beobachtungsmässig zugänglich wurde, der einzige von ihnen in der Nähe seines Perihels befindet, nicht sonderlich gross. Sagen wir in allererster Näherung, dass die Sedna während 100 Jahren in Perihelnähe entdeckbar war, so ergibt das bei ihrer Umlaufzeit gerade mal 1%. Nehmen wir an, es gäbe dort 10 Planetoiden in der Grösse der Sedna, so erhöht sich die Wahrscheinlichkeit immerhin auf ~10%; wer es genau wissen will, berechnet, wie gross die Wahrscheinlichkeit ist, dass sich 10 solche Planetoiden während dieser 100 Jahre nicht im entdeckbaren Bereich aufhalten, also 0.99^10 und bildet davon das Komplement, also 1 - 0.99^10; das ergibt 9.56%.
Betrachten wir das auch für scattered ETNOs und für detached ETNOs, so stellen wir fest, dass man keine sedna-grossen Planetoiden in dieser Population bislang gefunden hat; allerdings beträgt die Wahrscheinlichkeit, dass sich 50 sedna-grosse Planetoiden im Bereich der Inner Oort Cloud Objects gleichzeitig im nicht-entdeckbaren Bereich aufhalten, beträgt 0.99^50, also ungefähr 60.5%.
Nehmen wir also der Einfachheit halber an, es gäbe 50 sedna-grosse Planetoiden je im Bereich der scattered ETNOs und der detached ETNOs und ebenfalls 50 sedna-grosse Planetoiden im Bereich der Inner Oort Cloud Objects, so beträgt die Wahrscheinlichkeit, dass wir noch keinen in den beiden erstgenannten Bereichen gefunden haben [0.99^50]^2, das sind 36.6%, und
(9.6%
falsch, das bezieht sich auf 10 sedna-grosse Planetoiden) 39.5%, dass wir die Sedna entdeckt haben.
Das sind also keineswegs unplausible Zahlen.
Gewiss, man könnte das besser abschätzen, beispielsweise indem man auch halb-sedna-grosse Planetoiden (600 km, d.h. H~4) und viertel-sedna-grosse Planetoiden (300 km, d.h. H~5.5) berücksichtigt, wobei ich nur solche berücksichtige, die eine Uncertainty von 9 oder kleiner haben; die Hits haben sogar eine solche von <=5.
(1) bei den halb-sedna-grossen finden sich nur zwei, beide im Bereich der Inner Oort Cloud Objects
(2) bei den viertel-sedna-grossen finden sich insgesamt 6, drei im Bereich der Inner Oort Cloud Objects und drei im Bereich der scattered ETNOs, das sind 2015 BP[sub]519[/sub] ("Caju"), (445473) 2010 VZ[sub]98[/sub] und 2013 FS[sub]28[/sub].
Machen wir das noch ein bisschen mehr robust: wenn man die 150 AU durch 10% weniger ersetzt, also 135 AU, kommen keine weiteren hinzu.
Noch die absoluten Zahlen, d.h. ohne Grössenbeschränkung mit uncertainty <= 9:
Man kennt am heutigen Tag 19 scattered ETNOs, 11 detached ETNOs und 3 Inner Oort Cloud Objects; hierbei muss einem aber auch der Beobachterauswahl-Effekt bewusst sein, weil die Entdeckbarkeit von Planetoiden mit tiefen Perihelia viel grösser ist.
Freundliche Grüsse, Ralf