@ Runzelrübe:
Ich komme noch nicht ganz klar mit deiner generellen Definition von "Sinn". Du schreibst:
Ist für eine Menge Individuen ein Ziel (bzw. eine Zielvorgabe) erreicht, ist für eine andere Menge Individuen dieses Ziel (Zielvorgabe der ersten Menge) verfehlt. Wenn wir bei derselben Betrachtung die Zielvorgabe invertieren, wird die Menge an Individuen sich invers auf Zielerreichung und Zielverfehlung verteilen.
Machen wir das mal an einem konkreten Beispiel fest. Ein Komet schlägt auf einem Planeten ein. Ein anderer Komet schlägt nicht auf diesem Planeten ein. Komet 1 hätte dann ein Ziel erreicht (Impakt) und Komet 2 hätte dann das Ziel verfehlt, weil er nicht ebenso wie Komet 1 auf dem Planeten eingeschlagen ist. Sehe ich das so richtig?
Falls du es so gemeint haben solltest, ergeben sich für mich daraus folgende Fragen:
1. Woher stammt die Zielvorgabe für Komet 1?
2. Wie und wodurch erfolgt die Bewertung des Impakts als Zielerreichung?
Auch die folgenden Erläuterungen machen es für mich nicht klarer:
Völlig egal also, wie man es dreht, es passiert etwas und es wird bewertet, egal ob eine bestimmte Zielvorgabe existiert hat oder eben auch nicht.
Wenn etwas passiert, ist es also egal, ob eine Zielvorgabe existiert hat. Wenn Komet 1 auf den Planeten einschlägt, muss folglich keine Zielvorgabe existiert haben, aber es kann trotzdem bewertet werden, ob er ein Ziel erreicht hat oder nicht? Dann rekonstituiert der Bewerter a posteriori ein Ziel und setzt es als a priori gegeben fest, da ja schließlich - aus seiner Sicht - ein Ziel erreicht worden ist, weil etwas geschehen ist, was bei Komet 2 nicht geschehen ist. Folglich hat Komet 2 im Vergleich zu Komet 1 sein Ziel verfehlt. Das Problem ist hierbei nur, dass dieses Ziel a priori nicht gegeben war, sondern nur postuliert wird, es hätte eins gegeben. Die Zielvorgabe ist folglich stets an eine bewertende Instanz gebunden, die in der Lage ist, Ziele zu setzen - mithin also an ein intelligentes Wesen. Wenn ich also beobachte, dass Shoemaker-Levy 9 auf Jupiter einschlägt, kann ich sagen: Ziel erreicht! An und für sich jedoch hat es gar kein solches Ziel gegeben, so dass sich die Bewertung auf der Basis meiner ganz persönlichen Wunschvorstellung ("Möge der Komet einschlagen!") vollzieht. Wir hätten hier also kein generelles Ziel.
Lassen wir daher doch einfach die Bewertung (bzw. die Bewerter) weg. Dann bleibt nur noch die Tatsache, dass etwas passiert ist.
Ja, dann passiert irgendetwas. Komet 1 schlägt auf dem Planeten ein. Das wars. Kein Schmerz, kein Schrei - intakt, vorbei. Wo ist da der Sinn zu sehen? Individuell ist da sowieso keiner, schon klar. Aber worin liegt hier ein genereller Sinn enthalten? Es gibt kein Ziel, keine Zielvorgabe, keine Bewertung und damit auch keinen Bewerter. Es passiert, weil es sich zufällig so ergeben hat. Sinn? - Fehlanzeige!
Die einfachste Form von Veränderung ist der Ursprung, die Existenz.
Da muss ich nachfragen. Was ist Ursprung? Was ist Existenz? Im Wort "Ursprung" steckt der Sprung ja mit drin, beschreibt also die allererste Bewegung, die aus einem Noch-nicht- seienden ein Seiendes macht. Der Ursprung zieht die Existenz nach sich. Ob der Ursprung zur Existenz des nach dem Ursprung Seienden dazugehört oder eine eigene Kategorie bildet, die zwischen Sein und Nichtsein vermittelt, ist Streitpunkt unter Philosophen. Damit müssen wir uns hier nicht abmühen. Bleiben wir daher bei Existenz, das ist, denke ich, einfacher.
In Anlehnung an George Berkeley ("Sein ist Wahrgenommenwerden.") definiere ich Existenz so: Existenz ist potenzielle Wahrnehmbarkeit.
Zur Erläuterung: Alles was existiert und was wir als existent erkannt haben, zeichnet sich dadurch aus, dass es entweder direkt oder vermittelt über Messgeräte mit unseren Sinnesorganen wechselwirkt. Wir unterscheiden in der Regel zwischen Dingen und Relationen zwischen den Dingen. Beide zusammen konstituieren die Welt als Ganzes. Die Wahrnehmungen bilden das Rohmaterial, auf dessen Grundlage wir auf die Existenz schließen. Die leidige Debatte, ob diese subjektive Schlussfolgerung eine objektive Entsprechung hat, lasse ich mal außen vor. Ich gehe davon aus, dass die Welt der Dinge und Relationen nicht nur subjektiv, sondern auch objektiv existiert, also unabhängig von meiner Wahrnehmung.
Damit bin ich bei dem angelangt, was ich mit dem Begriff "potenziell" ausdrücken will: Auch wenn ich nicht da bin, existiert diese Welt. Die Welt existiert unabhängig von meinen Wahrnehmungen. Die Welt existiert ebenso unabhängig von den Wahrnehmungen aller bereits gestorbenen und aller noch nicht geborenen Beobachtern. Um die Sache zu komplettieren, können wir nun noch die jetzt lebenden Beobachter extrahieren: Die Welt existiert unabhängig von den Wahrnehmungen von Beobachtern. Aber: Da es Beobachter gibt, ist die Welt wahrnehmbar. Sie ist so beschaffen, dass Beobachter sie wahrnehmen können. Wenn es nun Welten gibt, die keine Beobachter enthalten, dann müssten sie so beschaffen sein, dass Beobachter sie wahrnehmen könnten, wenn sie anwesend wären. Auch in diesen Welten müsste es Dinge und Relationen geben, die sich quantifizieren und qualifizieren lassen, wenn es Beobachter gibt, die dazu in der Lage sind. Das meine ich mit "potenzieller Wahrnehmbarkeit". Alles was existiert, muss - wenn schon nicht aktual, also tatsächlich gegeben - wenigstens potenziell, also hypothetisch annehmbar, wahrnehmbar sein.
Unter der Prämisse dieser Existenzdefinition erschließt sich mir nicht, wie darin eine eigene Definition von Sinn enthalten sein kann:
Selbst ein stagnierendes, sich niemals änderndes Universum, trägt daher eine (und hier kommt der Unterschied) eigene Definition von "Sinn".
Wodurch kommt diese "eigene Definition" zustande, wenn sich niemals etwas ändert, wenn keine Beobachter da sind, die diese Stagnation irgendwie registrieren könnten? Ich zitiere noch einmal die fragliche Stelle aus deinem vorherigen Beitrag im Kontext:
Eine Definition von "Sinn" in einem Universum ohne Leben müsste also den Schritt von "individuell" auf "generell" nehmen. "Generell" bedeutet, dass zu jedem Zeitpunkt irgendein Ziel erreicht wird, dessen Wertung nicht vorgenommen werden musste. Somit ist die vollumfängliche Definition von "Sinn" bereits durch die Existenz abgedeckt. Nicht einmal das Auftreten von Kausalketten wird benötigt. Nicht einmal der Zeitpunkt würde benötigt, nicht einmal die Zeit (auch nur eine Dimension). Existenz ist alles. Damit erübrigt sich das Wort "Sinn" ...
Nicht nachvollziehbar ist für mich neben der Zielerreichung ohne Wertungsnotwendigkeit die Gewissheit, dass "Sinn" bereits durch "Existenz" abgedeckt ist. Existenz ist ja bloß potenzielle Wahrnehmbarkeit. Sinn hingegen ergibt sich aus aktualer Wahrnehmung durch konkret vorhandene Beobachter, die einem Geschehen einen Sinn zuweisen können - meinetwegen als Bewertung einer Zielvorgabe. Die Existenz von Beobachtern ist aber eine spezielle Form von Existenz, die lediglich potenziell als Möglichkeit gegeben ist und nur dann Wirklichkeit wird, wenn die zu deren Existenz notwendigen Kausalketten ablaufen. Folglich enthält Existenz nur potenziell Sinn, niemals jedoch a priori aktual. Auch die Attributerweiterung von "individuell" auf "generell" hilft hier nicht weiter, denn dann - du hattest es ja geschrieben - erübrigt sich der Gebrauch des Wortes "Sinn", weil er sinnlos, im Sinne von "ohne Entsprechung in der Wirklichkeit" wird.
Der Schlüssel ist, "Sinn" ohne Meinung und Wertung zu definieren. Ist schwierig, geht aber.
Na gut, dann hast du einen Schlüssel, aber was nützt dir der Schlüssel, wenn du kein Schlüsselloch hast, in das der Schlüssel hineinpasst, weil die Tür gar nicht da ist?
Monod