Die Rolle der Neigung der Rotationsachse für die Bewohnbarkeit eines Planeten

Bynaus

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Bisher hat man die Neigung der Rotationsachsen eines potentiell erdähnlichen Planeten praktisch ignoriert. Es könnte jedoch sein, dass dieser eine wichtige astrobiologische Bedeutung zukommt. Eine geneigte Rotationsachse sorgt für eine genügende Verteilung der eingestrahlten Sonnenergie über den ganzen Planeten. Ein Planet ohne Achsenneigung hätte einen extrem heissen Äquator, während die Pole deutlich kälter wären - damit wären die bewohnbaren Zonen deutlich kleiner. Ausserdem dürfte ein solcher Planet ein ziemlich extremes Wettergeschehen haben, wenn die warme Luft vom heissen Äquator zu den eiskalten Polen abfliesst.

René Heller vom Astrophysikalischen Institut Potsdam untersuchen den Einfluss der Neigung der Rotationsachse auf das Planetenklima, genauso wie die Entwicklung der Planetenachse durch Gezeitenkräfte: Befindet sich der Planet zu nahe am Stern, führt dies dazu, dass dieser durch Gezeitenkräfte die Rotationsachse aufrichtet. Ihren Rechnungen zufolge sollten in der HZ von Sternen unter 0.9 Sonnenmassen alle Rotationsachsen früher oder später aufgerichtet werden - mit den angesprochenen Auswirkungen auf das Leben. Das wäre natürlich ein relativ eleganter Ausweg aus dem Rote-Zwerge-Paradoxon.

Quelle: http://www.spacedaily.com/reports/Loss_of_Planetary_Tilt_Could_Doom_Alien_Life_999.html

Vertiefung:
http://adsabs.harvard.edu/abs/2011A&A...528A..27H
http://arxiv.org/abs/1101.2156
 

Monod

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@ Bynaus:

Ohne jetzt das Paper gelesen zu haben - wenn der Planet Ozeane und Kontinente besitzt, müssten sich die Temperaturgegensätze dann nicht ausgleichen? Meeresströmungen bewirken doch ebenfalls eine wirksame Durchmischung. Ich werde mir übers Wochenende das Paper mal durcharbeiten und Anfang nächster Woche dazu etwas posten. Bis dahin erst mal ein schönes Wochenende! :)
 

blackhole

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--- die neigung der rotationsachse als die ursache für *jahreszeiten* trägt zu einem bestimmten klima bei
--- die entwicklung des lebens und der arten hat sich an diesen bedingungen dann eben ausgerichtet
--- die szenarien bei andersgearteten neigungen der rotationsachse ergeben andere environments , die bei habitablen verhältnissen dann eben zu anderen spezies führen können
--- wesentlicher für eine erfolgreiche entwicklung von leben auf einem planeten erscheint mir in diesem zusammenhang , daß die rotationsachse über lange zeiträume stabil sein sollte ..... das erledigt bei unserer erde wesentlich der mond
 

Bynaus

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@blackhole: Etwas mehr sollte man sich mit den Details schon auseinandersetzen, und nicht einfach die bisherige Vorstellung widerholen... Die Idee ist neu und verdient es, etwas vertiefter geprüft zu werden. Der Punkt ist nicht einfach, dass das Klima etwas anders ist - das Klima wird viel extremer, und in einigen Simulationen kam es offenbar zum völligen Kollaps der Atmosphäre. Wie Monod muss ich das Paper selbst aber immer noch studieren.

Hier ein weiteres von denselben Autoren:
http://adsabs.harvard.edu/doi/10.1007/s11084-011-9252-3
Arxiv: http://arxiv.org/abs/1108.4347

--- wesentlicher für eine erfolgreiche entwicklung von leben auf einem planeten erscheint mir in diesem zusammenhang , daß die rotationsachse über lange zeiträume stabil sein sollte ..... das erledigt bei unserer erde wesentlich der mond

Das dachte man lange. Allerdings hat vor kurzer Zeit eine detailierte Simulation gezeigt, dass der Mond womöglich gar nicht so wichtig ist wie lange gedacht, beziehungsweise, dass die Neigung auch ohne Mond nicht so stark schwanken würde wie physiklisch möglich.
 

Monod

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@ Bynaus:

Ich habe das Paper von Heller u.a. durchgelesen und bin bezüglich meines Einwands lediglich am Ende von Abschnitt 1.1. fündig geworden. Achsneigungen von weniger als 5 Grad führen als Konsequenz zu starken Temperaturkontrasten zwischen polaren und äquatorialen Regionen, die möglicherweise (!) zu einem Kollaps der Atmosphäre führen, indem sie an den Polen ausfriert und am Äquator entweicht (gemäß einer privaten (!) Kommunikation mit Frank Selsis). Der Rest des Papers beinhaltet die Auswirkungen der Stern-Gravitation auf die Achsneigung erdähnlicher Planeten und kommt nicht mehr auf die Auswirkungen auf die Atmosphäre zu sprechen.

Im fraglichen Abschnitt wird als Quelle zudem ein Artikel von Spiegel u.a. angegeben. Bei meiner Recherche bin ich hier fündig geworden. Im Abstract steht:

Our models suggest that this is not a significant risk for Earth-like planets around Sun-like stars since such planets are buffered by the thermal inertia provided by oceans covering at least 10% of their surface.

Also: Wenn 10 Prozent der Oberfläche von Ozeanen bedeckt ist, werden thermische Rückkopplungseffekte, die z.B. zu einem Schneeball-Effekt führen, abgepuffert. Von daher ist die Darstellung der Konsequenzen für die Atmosphäre, die Heller u.a. aufführen, meiner Ansicht nach doch etwas zu mager mit Fakten untersetzt.

Monod
 

Bynaus

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Danke an Monod für deine Beurteilung. Das klingt vernünftig. Aber wie sieht es mit einer zu grossen Neigung der Rotationsachse aus?

Offenbar ist die Idee attraktiv, wenn man diesen Artikel hier liest: http://www.spacedaily.com/reports/High_Planetary_Tilt_Lowers_Odds_for_Life_999.html

Ich wusste bisher nicht, dass es Hinweise darauf gibt, dass die Erde einst eine hohe Achsenneigung hatte - bis vor 600 Mio Jahren. Natürlich, es gibt in diesen Zeiten Gletscher am Äquator, was soviel ich weiss bisher als "Schneeball Erde"-Phasen gedeutet wurde - aber natürlich kann es sein, dass die Neigung damals auch einfach grösser als 54 Grad war, so dass die Pole übers Jahr verteilt mehr Energie bekommen als der Äquator, und sich deshalb Eisschilde entlang des Äquators bilden. Für eine "Schneeball Erde" müsste man dann gleichzeitig Gletscher an den Polen UND am Äquator haben, und da muss ich mir die Literatur erst nochmals ansehen...
 

Monod

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@ Bynaus:

In Bezug auf die Deutung der "Schneeball"-Erde als Resultat einer extremen Achsneigung bin ich wiederum sehr skeptisch. Bei uns stabilisiert der Mond doch die Rotationsachse, so dass größere Achsschwankungen gar nicht passieren dürften - zumindest ist das mein aktueller Wissensstand. Falls es da neue Erkenntnisse gibt, bin ich für Hinweise dankbar. Der Autor des Space-Daily-Artikels ist auch auf diesen Knackpunkt aufmerksam geworden:

Adam Hadhazy schrieb:
Williams' hypothesis has its own big gap: a mechanism that could have clipped the planet's tilt by about 30 degrees in 100 million years prior to the Earth's oldest confirmed circumpolar glaciation.

Bei Planeten ohne großen Mond sollen die Schwankungen ja nun nicht so dramatisch sein wie bislang angenommen. Doch selbst wenn, hier hatte @ jonas einen Artikel verlinkt, in dem u.a. eine Achsneigung von 85 Grad simuliert wurde - mit dem Resultat, dass es für einen Schneeballeffekt nicht reichen würde.

Monod
 

Bynaus

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Bei uns stabilisiert der Mond doch die Rotationsachse, so dass größere Achsschwankungen gar nicht passieren dürften - zumindest ist das mein aktueller Wissensstand. Falls es da neue Erkenntnisse gibt, bin ich für Hinweise dankbar.

Hm, nun wurde ja kürzlich gezeigt, dass es ohne Mond gar nicht so viel schlimmer wäre - da fragt sich jetzt natürlich, ob das ganze in die andere Richtung ebenfalls abgeschwächt werden müsste: der Mond stabilisiert gar nicht so viel wie bisher gedacht?

Trotzdem hast du natürlich recht, dass der Mechanismus, der die Erdachse aufgerichtet hat (hätte, wenn es so wäre), unbekannt ist. Aber wenn die Datenlage gut genug ist, kann das allein kein Grund sein, um dieses Szenario auszuschliessen.

mit dem Resultat, dass es für einen Schneeballeffekt nicht reichen würde.

Schneeball-Effekt ist eine Sache - ein Äquator, der kälter ist als die Pole und deshalb Eis und Gletscher bildet (und nicht etwa wegen einer Schneeball-Erde), eine andere! Das steht auch gleich am Anfang des Papers, das jonas verlinkt hatte:

An obliquity higher than 54° might explain the paradoxical evidence for ice-covered land areas within 20° of Earth’s equator during the Late Precambrian (Evans et al. 1997; Williams & Schmidt 1998; Oglesby & Ogg 1998; Chandler & Sohl 2000; Jenkins 2000), but strong low-obliquity explanations for the tropical glaciations have also been offered, such as the ‘snowball-Earth’ hypothesis (Hoffman et al. 1998), with varying degrees of modelling support (Chandler & Sohl 2000; Hyde et al. 2000; Jenkins 2000, 2002)

Die Idee finde ich durchaus interessant: Nicht der Anteil des Planeten, der über oder unter einer bestimmten Temperatur ist, macht seine Bewohnbarkeit für komplexes Leben aus - sondern derjenige Teil, bei dem sich die Temperaturvariation (und Lichtvariation für photosynthetische Organismen) innerhalb bestimmter, nicht allzu extremer Grenzen hält... Verbunden mit den Hinweisen, dass die Erde in der Zeit vor der kambrischen Explosion Gletscher am Äquator hatte (was seit der Entstehung der komplexen Lebewesen nie mehr geschehen ist), könnte man das durchaus so deuten, dass der Achsenneigung eine bedeutende Rolle bei der Habitabilität einer Welt zukommt.
 

Monod

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@ Bynaus:

Wenn die bekannten globalen Vereisungen von vor etwa 2,1 Milliarden Jahren und vor etwa 0,7 Milliarden Jahren mit gravierenden Achsneigungsänderungen erklärt werden können und zugleich auch erklärt werden kann, wie so etwas funktionieren kann, obwohl der Mond stabilisierend auf die Achsneigung wirkt, dann müsste zudem gezeigt werden, dass diese Vereisungen im Hinblick auf eine Zunahme der Komplexität der Lebewesen forcierend wirkt. Vom rein zeitlichen Aspekt ergeben sich einige Übereinstimmungen mit sprunghaften Innovationen in der biologischen Evolution. So treten die ersten Eukaryoten vor etwa 2,1 Milliarden Jahren in Erscheinung, gepaart mit dem Überschreiten des Fourier-Punktes, also des Schwellenwertes des Sauerstoffgehaltes, der u.a. die Kollagenbildung ermöglicht, was für die Entstehung eines Zellskeletts notwendig ist. Der Fourier-Punkt entspricht etwa 1 Prozent des heutigen Sauerstoffgehalts.

Die kambrische Explosion ereignete sich im Anschluss an die Ediacara-Fauna (und Flora), nachdem der Sauerstoffgehalt ein weiteres Mal sprunghaft anstieg und so größere Organismen als Einzeller zuließ. Erklärbar wäre dies evtl. mit Hilfe des Mechanismus der adaptiven Radiation während der Neubesiedlung frei gewordener Nischen infolge des Eisrückgangs. Aber das sind alles zunächst nur zeitliche Korrelationen, die noch der Validierung bedürfen, um Hypothesenstatus zu erlangen.

Grundsätzlich spielen Klimaschwankungen natürlich eine wesentliche Rolle für die biologische Evolution, da Art und Umfang verfügbarer Habitate je nach Geschwindigkeit und Ausmaß der Klimaänderung auf den Selektionsdruck rückwirken und damit Adaptationsschübe auslösen, die bei langfristig gleichbleibenden Klimaten ausgeblieben wären und sich - während einer nachfolgenden Phase stabilen Klimas - als Fundament für weitere Anpassungen und Spezialisierungen eignen können.

In Bezug auf Planeten um Rote Zwerge bedeutet das jedoch, dass die langfristig stabile Achsneigung von weniger als 5 Prozent größere Klimaschwankungen eher verringert als auslöst, weil die aufrecht stehende Rotationsachse - gemäß der Arbeit von Heller u.a. - gewissermaßen den stabilsten Endzustand darstellt. Allerdings wäre ein solcher Planet wahrscheinlich ebenfalls nicht habitabel, weil die Atmosphäre entsprechend viel CO2 aufweisen muss, um auf der Nachtseite nicht auszufrieren. Eine dort vorhandene Biosphäre dürfte somit den CO2-Vorrat nicht antasten. Zugleich dürfte sich das CO2 nicht in gleichem Ausmaß wie auf der Erde in den Ozeanen lösen und als Kalkstein ausfällen. Das sind schon einige sehr spezielle Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit sich auf einem solchen Planeten Leben entwickeln und erhalten kann.

Monod
 

Bynaus

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Wenn die bekannten globalen Vereisungen von vor etwa 2,1 Milliarden Jahren und vor etwa 0,7 Milliarden Jahren mit gravierenden Achsneigungsänderungen erklärt werden können und zugleich auch erklärt werden kann, wie so etwas funktionieren kann, obwohl der Mond stabilisierend auf die Achsneigung wirkt

Nun, es könnte ja auch sein, dass die Achse die ganze Zeit stark geneigt war und sich erst an der Grenze zum Kambrium aufrichtete. Kleine Schwankungen könnten dann darüber entscheiden, ob es am Äquator Eis gibt oder nicht. Ich will damit nur sagen, es muss nicht unbedingt sein, dass die Erdachse wild auf und ab eiert, um die Beobachtungen zu erklären.

Was dies stabilisierende Wirkung des Mondes angeht, diese ist aber auch nicht einfach grundsätzlich gegeben - der Mond kann auch destabilisierend wirken. Der Mond wirkt im heutigen Sonnensystem stabilisierend, weil seine Gravitation und seine Umlaufzeit im heutigen Kräfteumfeld gerade so stark ist, dass sie die Präzession der Erdachse dominiert. In einem anderen Kräfteumfeld wird die Präzession der Erdachse von den Nachbarplaneten dominiert - der Mond kann dann, gerade im "Übergangsbereich" zwischen den beiden Regimen, auch destabilisierend wirken. Vielleicht hat ja dieser Regime-Übergang gerade in der Zeit vor 2 Mrd - 600 Mio Jahren stattgefunden, mit starken Achsenschwankungen und einem schliesslichen "Einfangen" der Achse auf dem niedrigen heutigen Wert, in dessen Folge sich das komplexe Leben entwickeln konnte. Da müsste man sich jetzt natürlich ansehen, welches Kräfteverhältnis im Sonnensystem nötig wäre, um ein solches Szenario zu realisieren.

Die kambrische Explosion ereignete sich im Anschluss an die Ediacara-Fauna (und Flora), nachdem der Sauerstoffgehalt ein weiteres Mal sprunghaft anstieg und so größere Organismen als Einzeller zuließ. Erklärbar wäre dies evtl. mit Hilfe des Mechanismus der adaptiven Radiation während der Neubesiedlung frei gewordener Nischen infolge des Eisrückgangs.

Ja. Oder vielleicht erlaubten (wenn ich jetzt mal einfach im Sinn der oben aufgeworfenen Idee den Faden weiterspinne) erst die stabilen Klimaverhältnisse die schnelle weltweite Verbreitung von photosynthetischen Organismen, so dass sich der Sauerstoffgehalt auf einem plötzlich viel wohnlicheren Planeten auf einem höheren Wert einpendeln konnte.

In Bezug auf Planeten um Rote Zwerge...

Das sehe ich genauso.
 

TomTom333

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Und passend dazu ein Artikel aus Centauri Dreams von Heute:

http://www.centauri-dreams.org/?p=21676

Two Takes on Extraterrestrial Life

....Heller imagines the Earth with an axial tilt something akin to that of Uranus, whose equator and ring system run almost perpendicular to the plane of its orbit. Introduce such high obliquity to the Earth and the north pole would point at the Sun for a quarter of the year and in the opposite direction for another three months........


Viel Spaß beim lesen

Tom
 
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