Yadgar, zieh bitte keine voreiligen und falschen Schlussfolgerungen!
Und nein, es ist absolut nicht erschütternd!
Der Autor des verlinkten Artikels scheint in erster Linie ein Befürworter einer strikten Rollenverteilung Mann/Frau/Junge/Mädchen zu sein. Seine Argumentation ist voller Analogiefallen. Er zieht die Schlussfolgerung, pinke Mikroskope seien immer schwächer als andere Mikroskope, er sei aber wider besseren Wissens gezwungen, für ein Mädchen ein pinkes zu kaufen - also immer ein schwächeres. Er unterliegt damit den Zwang, Kinder zu sexualisieren und danach in Kategorien einzuteilen.
Lassen wir die Farbgebung einmal weg, dann ist ein schwächeres Mikroskop in erster Linie für einen kleineren Geldbeutel und/oder ein geringeres Alter gedacht, in dem das Verständnis für das, was durch das Mikroskop zu sehen ist, noch nicht ausreicht und erst noch geweckt werden muss. Solch ein Gegenstand ist eher zum Spielen als zum Arbeiten gedacht. Überall, wo die Einflüsse der Spielzeugindustrie in der Farbgebung sichtbar sind, kann nicht von einem Zweckgebrauch ausgegangen werden.
Der Autor lässt darüber hinaus eine weitere Betrachtungsweise weg, sagt sie allerdings durch die Blume. Pink lässt sich aus seiner Sicht ausschließlich mit Gegenständen identifizieren, die nicht von Jungen benutzt werden (pink = Mädchen). Schlechte Qualität ist ebenfalls nichts für Jungen (schwach = Mädchen). Wenn also Jungen Mikroskope nutzen, dürfen sie weder pink noch schwach sein. Es gibt jede Menge Mikroskope, die nicht pink sind und es gibt jede Menge schwache Mikroskope - die sind also alle für Mädchen, richtig?
Vor allem bei der Gruppe Eltern, die sich auf Fremderziehung durch das Umfeld ihres Kindes verlassen, assoziiert ein Gegenstand genau dann, wenn er pink ist, dass er für Mädchen gedacht sein muss und Mädchen daran Spaß haben, Jungen jedoch nicht. Dieselben Eltern konzentrieren sich häufig auch auf die Geschlechtertrennung. Insofern ist es ein guter Trick, diese Farbe auf ein Mikroskop anzuwenden, um damit diesen klischeehaft vorbelasteten Gegenstand (für Jungen) umzuwerten. Auch hilft diese Farbe jedem aufgeschlossenen, wissbegierigen Mädchen solchen Eltern, ein schlagkräftiges Argument ins Feld führen zu können, überhaupt ein Mikroskop zu bekommen, wenn dies bisher verweigert wurde. Durch die pinke Färbung scheint es schließlich die 100%ige Berechtigung seines Umfelds zu haben, auch mit einem Mikroskop arbeiten/spielen zu dürfen. Der Erziehungserfolg ist hier bei den Eltern zu suchen, wenn sie daraus endlich lernen, dass Mädchen mit jeder Art Mikroskop zu tun haben dürfen - auch mit nicht-pinken.
Deine eigene Empörung darüber, warum "Mädchen mit doofen und niedlichen Produkten zu Doofheit und Niedlichkeit erzogen werden", lässt also entweder darauf schließen, dass Du selbst auf dieser Welle mitschwimmst oder aber der Autor das erreicht hat, was er wollte - Dich zu manipulieren.
Sollte sich ein Mädchen einmal unbedingt ein pinkes Mikroskop wünschen, dann hat es nicht erklärt bekommen, was ein Mikroskop ist und worauf es bei einem Mikroskop ankommt. Sollte es diese Erklärung nachgereicht bekommen, sich aber immernoch das pinke wünschen, dann geht es dem Mädchen auch nicht darum, mit dem Mikroskop etwas machen zu wollen. Sollte sich ein Mädchen ein Mikroskop wünschen, in dem es auf Nutzen ankommt, dann wird es wohl andere Spezifikationen außer der Farbe nennen. Und letzten Endes muss man nur noch einmal kurz darüber nachdenken, wer das Produkt kaufen und bezahlen wird - die Eltern!
Bezüglich Deiner Nichte möchte ich Dir noch nahelegen, den Film "Contact" nicht als Geschenk, sondern als Motivator einzusetzen - insofern sie sich für Astronomie interessiert. Mit 11 Jahren wird sie vermutlich bereits gut Englisch sprechen und hat naturwissenschaftliche Fächer in der Schule. Unterhaltungsmedien führen jedoch nur in den allerseltensten Fällen dazu, naturwissenschaftliche Interessen zu befriedigen. Wie wäre es im Anschluss mit einem Ausflug in ein Planetarium und direkt darauf mit einem Einsteiger-Teleskop? Ihr könnt als Geschwister bis dahin sicherlich noch einiges organisieren. Schön wäre dann nur noch, wenn ihr solch ein Interesse auch zeitlich und fachlich unterstützt.