Ionentriebwerk: Maximale Leistung?

captain kirk

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hallo!
new horizons ist mit ca. 23 km/s unterwegs zum pluto, ohne ionentriebwerk!
wenn mann aus so einem triebwerk die maximale leistung herauskitzeln könnte, wie schnell könnte eine sonde sein?
gibt es überhaupt eine leistungsgrenze?
 

Aragorn

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nichtrelativistisch (Ziolkowskis Raketengleichung für v_e << c):

v_e = v_a*ln(m_a/m_e)

v_e = Endgeschw. der Rakete
v_a = Ausströmgeschw. der Stützmasse des Raketentriebwerks
m_a = Anfangsmasse der Rakete
m_e = Endmasse der Rakete (Treibstoffmasse = m_a - m_e)

relativistische Raketengleichung:

v_e = c*(1-u)/(1+u)

mit

u = (m_e/m_a)^(2*v_a/c)

für das effizientest denkbarste Raketentriebwerk (Photonenrakete mit v_a = c) ergibt das:

v_e = c*(1-(m_e/m_a)^2)/(1+(m_e/ma)^2)


Wie weit kann ein Mensch innerhalb seiner Lebensspanne (Eigenzeit t') reisen?

Wenn man eine Beschleunigung von 1 g ansetzt, erhält man die im Ruhesystem der Erde in der Astronautenzeit t' (in Jahren) zurückgelegte Entfernung s (in Lichtjahren) mit:

s = 0,5 * (e^t' + e^-t')

t = 0,5 * (e^t' - e^-t')

Gamma (Relativitätsfaktor) = s + 1

beträgt die Reisedauer t', im Ruhesystem der Raumfahrer, ein paar Jahre kann e^-t' vernachlässigt werden und es wird:

s = t = 0,5 * e^t'

Gamma = s

Wenn im Ruhesystem der Raumfahrer t' = 24 Jahre vergangen sind, haben diese eine Entfernung (im Ruhesystem der Erde) von:

s = 0,5 * e^24 (Lichtjahre)

s = 1,3*10^10 = 13 Milliarden Lichtjahre zurückgelegt.


Der Gammafaktor ist genauso groß, also 13 Milliarden.
Das heißt, selbst bei einer idealen Photonenrakete mit 100 % Energieumwandlung, beträgt das Massenverhältnis zwischen Gesamtmasse zu Nutzmasse bescheidene 13 Milliarden.
Und wenn die Rakete wieder abbremsen soll, um dort auf einem Planeten zu landen, wird es nochmals sehr viel schlimmer. Dann beträgt das Massenverhältnis ca. 4,3*10^19 (43 Trillionen).
Die Startmasse der Photonenrakete wäre dann mindestens so groß wie die Erdmasse.


Soll die Andromedagalaxie (t' = 15,4 Jahre) erreicht werden, siehts etwas besser aus. Dann beträgt das Massenverhältnis:

ohne Landung: 2,44 * 10^6 (-> Einflug durch M31 nach t' = 15,4 Jahre)

mit Landung: 1,5 * 10^12 (-> Landung auf einem Planeten in M31 nach einer Reisedauer von ca. 29,4 Jahren)

Die Mondrakete Saturn 5 hatte eine Startmasse von 2900 Tonnen. Eine ideale Photonenrakete gleicher Startmasse könnte damit gerademal ein Staubkorn oder eine Amöbe (ca. 2 Mikrogramm) nach M31 bringen (-> stark idealisiert, weil Strukturmasse der Rakete als Null angesetzt).


Um Astronauten innerhalb ihrer Lebenszeit zu entfernten Galaxien zu transportieren, sind daher andere Antriebssysteme notwendig. Ein Staustrahltriebwerk, welches den Treibstoff unterwegs aufsammelt wäre dazu geeignet. Dieses könnte, wenn es auf eine ausreichend große Anfangsgeschw. gebracht wird, beliebig lange mit 1g weiterbeschleunigen.

Dann könnten Astronauten innerhalb ihrer Eigenzeit t' die folgenden Entfernungen s (im Ruhesystem der Erde) zurücklegen:

t' = 15,4 Jahre -> s = 2,4 Millionen Lichtjahre
t' = 24,0 Jahre -> s = 13 Milliarden Lichtjahre
t' = 30,0 Jahre -> s = 5,3 Billionen Lichtjahre (ca. 410 mal weiter als der derzeitige Horizont)
t' = 50,0 Jahre -> s = 2,6 E+21 Lichtjahre (ca. 200 Milliarden mal weiter als der derzeitige Horizont)
t' = 70,0 Jahre -> s = 1,3 E+30 Lichtjahre


Ein kleiner Nachteil ergibt sich allerdings dabei: Wenn der Astronaut bsw. in 15,4 Jahren in die Andromedagalaxie einfliegt, sind auf der Erde 2,4 Millionen Jahre vergangen.

PS: Noch zur Klarstellung, weil ich hier Raum Raum- und Zeitintervallen, welche in verschiedenen Bezugssystemen gemessen wurden, miteinander kombiniert habe. (-> damit keiner über angeblich auftretende Überlichtgeschwindigkeiten phantasiert)

Ein Astronaut fliegt zur Andromedagalaxie. Wenn er dort eintrifft gilt:

* Im Ruhesystem der Erde hat die Rakete:

-> 2,4 Millionen Lichtjahre zurückgelegt und diese
-> hat dazu ca. 2,4 Millionen Jahre gebraucht

* Im Ruhesystem der Rakete hat sich die Erde:

-> 15,4 Lichtjahre entfernt
-> und dazu ca. 15,4 Jahre gebraucht

Gruß
Helmut
 
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pauli

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wow, danke für diese tolle Rechnung, Aragorn!

Treibstoff mitnehmen scheidet also selbst bei 100%-Verwertung aus.
Wäre es denkbar, die energiereiche Strahlung der Sonne zu bündeln und der Rakete irgendwie in den 'Hintern' zu pusten?
 

Aragorn

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Hallo pauli,

prinzipiell wäre das möglich.

Bei einem Sonnensegel, das den Lichtdruck der Sonne ohne vorherige Strahlungs-Bündelung nutzen soll, gilt:

* der Strahlungsdruck auf das Segel muß größer als die Sonnenanziehung (Schwerkraft) sein.

-> dies erfordert sehr leichte Materialien und liefert nur sehr geringe Nutzlastkapazitäten


Auf ein reflektierendes Sonnen-Segel (Impulsänderung der Photonen = 2*m*c) wirkt die Kraft F:

F = dp/dt = 2*m*c/dt = 2*P_Segel/c

P_Segel = Strahlungsleistung die auf das Sonnensegel wirkt



Die Beschleunigung des Sonnensegels im Gravitationspotential der Sonne beträgt:

a = -G*M/r^2 + 2*P_Segel/(m_Segel*c)

mit

P_Segel = P_Sonne*A_Segel/(4*Pi*r^2)
m_Segel = A_Segel*d*rho

ergibt sich:

------------------------------------------------------
a = -G*M/r^2 + 2*P_Sonne/(4*Pi*r^2*d*rho*c)
------------------------------------------------------

M = Sonnenmasse (1,989 E+30 kg)
P_Sonne = Gesamtstrahlungsleistung der Sonne (3,847 E+26 W)
G = Gravitationskonstante (6,672 E-11 m^3/kg s^2)
r = Sonnenabstand
c = Lichtgeschw.

m_Segel = Masse des Sonnensegels
A_Segel = Fläche des Sonnensegels
d = Dicke des Sonnensegels
rho = Dichte des Sonnensegels


Mit Mylarfolie (d=0,025 Mikrometer) käme man auf ein Flächengewicht von 0,001 kg/m^2 (rho=40000 kg/m^3).
Damit erhält man in der Erdumlaufbahn (1 AE) eine Beschleunigung a = 0,0032 m/s^2.
Weiter nach außen hin nimmt die Beschleunigung a ~ 1/r^2 ab.
-> Übliche Mylarfolie (d=0,25 Mikrometer, wie sie auch als Sonnenfilter für Teleskope verwendet wird) reicht nicht und stürzt trotz Lichtdruck in die Sonne.
Erst durch Licht-Bündelung, welche die Strahlungsleistung auf das Segel (P_Segel) um mindestens den Faktor 6,5 erhöht, kann übliche Mylarfolie als Sonnensegel eingesetzt werden.

Welche Endgeschw. kann erreicht werden?

Wenn 2*P_Sonne/(4*Pi*r^2*d*rho*c) >> G*M/r^2, kann diese recht einfach mit der Differenz der kinetischen Energie (Eo_kin ohne Gravitationsanziehung) und der im Gravitationspotential aufgewendeten Energie (E_kin bei r_max = unendl.) berechnet werden.

a = 2*P_Sonne/(4*Pi*r^2*d*rho*c)
a = b/r^2

Eo_kin = Integral (F dr) = m*b*Integral (r^-2 dr)

mit obere Grenze r=unendlich und untere Grenze r=r_min ergibt sich die Lösung des bestimmten Integrals zu:

Eo_kin = m*b/r_min

Gravitationsenergie E_pot = G*M*m/r_min

E_kin = 0,5*m*v^2

v^2 = 2*E_kin/m = 2*(Eo_kin-E_pot)/m

-------------------------------
v^2 = 2*(b-G*M)/r_min

mit

b = 2*P_Sonne/(4*Pi*d*rho*c)
-------------------------------


Startet ein Sonnensegel (d*rho = 0,001 kg/m^2) bei r_min (1 AE = 150 Mio km) kann es die folgenden maximalen Geschw. erreichen:

1 AE = 30 km/s
0,1 AE = 97 km/s
0,01 AE = 308 km/s

Wenn es direkt an der Sonnenoberfläche (r_min = 700000 km) startet, sind mit obigem Segel maximal 450 km/s möglich.

Kann die Flächenmasse des Segels auf d*rho = 0,0001 kg/m^2 gesenkt werden, steigt v_max auf:

1AE = 159 km/s
Sonnenoberfläche = 2335 km/s

Wenn jetzt noch eine Licht-Bündelung um den Faktor n, die auf das Segel einfallende Strahlung entsprechend verstärkt, sind weitere Steigerungen möglich.
Bsw. für r_min = 0,1 AE und d*rho = 0,001 kg/m^2 ergibt sich dann:

n=1 -> 97 km/s
n=10 -> 500 km/s
n=1000 -> 5200 km/s

Gruß
Helmut
 
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pauli

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n=1000 -> 5200 km/s
verdammte Kiste, nicht mal 2% der LG :( das wird alles nix, wahrscheinlich nie, und vor den gleichen Problemen stehen die 'Anderen' auch, bleibt wohl nur der Funkkontakt oder Mechanismen zur 'Raumfaltung' (die wir aber wohl auch nie hinkriegen werden). Deprimierend.
 

Aragorn

Registriertes Mitglied
Wieso so pessimistisch?
Setze ein:

d*rho = 0,001 kg/m3
r_min = 1 Million km
n = 300000

und du erhälst wunschgemäß dein überlichtschnelles Sonnensegel :eek:

Gruß
Helmut
 

captain kirk

Registriertes Mitglied
wow aragorn, du bist ja ne echte rakete auf deinem gebiet! welch eine antwort.

ich merke aber, daß ich frage nochmal konkretisieren muß, auch weil ich nur ein teil deiner antwort verstanden habe:
1. wird es in den nächsten 10-20 jahren einen ionenantrieb geben, mit dem eine raumsonde in einer angemessenen zeitspanne (5-10 jahre) den kuipergürtel (nicht gleich andromeda;))erreichen könnte um ihn zu erforschen?
2. welche geschwindigkeiten sind in diesem zeitraum zu erwarten? wie weit ist die forschung?
3. du nanntest 5200 km/s, ist das die absolute endgeschwindigkeit für ionentriebwerke?

elbische grüße vom captain:)
 

Ich

Registriertes Mitglied
Muss noch zwei Sachen loswerden:
Aragorn schrieb:
der Strahlungsdruck auf das Segel muß größer als die Sonnenanziehung (Schwerkraft) sein.
gilt nicht, man kann auch auf Spiralbahnen auswärts ziehen.
Zu Ionentriebwerken:
Die brauchen Energie, viel Energie. "Effizient" heißt in diesem Zusammenhang nicht, dass sie sparsam mit der Energie haushalten (im Gegenteil), sondern mit der mitgeführten Rückstoßmasse.
Die Energie muss irgendwo herkommen, momentan aus Sonnensegeln, deswegen taugen die nicht für den Flug zum Kuipergürtel.
Die einzige andere Möglichkeit, entsprechende Energie zu erzeugen, wäre ein Kernreaktor. Damit mag einiges an Geschwindigkeit möglich sein, aber das mag ich jetzt nicht durchrechnen.
 

Aragorn

Registriertes Mitglied
ich merke aber, daß ich frage nochmal konkretisieren muß, auch weil ich nur ein teil deiner antwort verstanden habe:
1. wird es in den nächsten 10-20 jahren einen ionenantrieb geben, mit dem eine raumsonde in einer angemessenen zeitspanne (5-10 jahre) den kuipergürtel (nicht gleich andromeda;))erreichen könnte um ihn zu erforschen?
2. welche geschwindigkeiten sind in diesem zeitraum zu erwarten? wie weit ist die forschung?
3. du nanntest 5200 km/s, ist das die absolute endgeschwindigkeit für ionentriebwerke?

elbische grüße vom captain:)
Hallo,

ich arbeite nicht auf diesem Gebiet und kenne den momentanen Entwicklungsstand der Ionentriebwerke nicht.
Die mir bekannten liefern nur sehr geringe Schubkräfte, bei deutlich höher Ausströmgeschw. im Vergleich zu chem. Triebwerken. Ionentriebwerke wurden bislang nur für interplanetare nichtbemannte Langzeitmissionen (> 4 Monate Flugdauer) und als Lagereglung für Satelliten eingesetzt.

Bsw. liefert das deutsche Quecksilber-Ionentriebwerk RIT10 einen Schub von 0,01 N.
Es benötigt dafür eine elektr. Eingangsleistung von 275 W und erreicht eine Ausströmgeschw. von 38,5 km/s.
Der Treibstoffausstoß beträgt 0,32 mg/s, die Beschleunigerspannung 1500 V.

Der Ladung Q wird in einem elektr. Feld mit Feldstärke E die kinetische Energie W_kin zugeführt:

W_kin = Q*E
W_kin = Q*U/d

U = Beschleunigerspannung
d = Abstand der Elektroden

W_kin=0,5*m*v_a^2

daraus folgt für die Ausströmgeschw. eines Ionentriebwerks:

-----------------------------------------
v_a^2 = 2*W_kin/m = 2*Q*U/(d*m)
-----------------------------------------

Um hohe Endgeschw. zu erreichen sind hohe Ausströmgeschw. v_a wünschenswert.
Wie oben gezeigt ist v_a:

~ U^0,5 (proportional zur Wurzel der Beschleunigerspannung)
~ m^-0,5 (umgekehrt proportional zur Molekülmasse der Ladung)

Allerdings hat eine immer weiter gesteigertes v_a auch Nachteile.
Die Schubkraft F steigt proportional zu v_a, die elektr. Leistung zur Beschleunigung der Ladungen aber mit v_a^2.

F~v_a
W~v_a^2

Das bedeutet für das obige Ionentriebwerk RIT10:

Erhöht man die Beschleunigerspannung auf 150000 Volt, und läßt den Treibstoffdurchsatz gleich,

* dann verzehnfacht sich die Schubkraft F (=0,1 N) und die Ausströmgeschw. v_a (=385 km/s) und
* die benötigte elektr. Eingangsleistung verhundertfacht sich (27,5 kW).

Mit Ionenraketen lassen sich imho nur dann beträchtl. höhere Endgeschw. als heute (ca. 20 km/s) erreichen, wenn entsprechend leistungsfähige elektr. Energiequellen entwickelt wurden.
Der Kuipergürtel kann durch Sonden mit Ionentriebwerk und Radionuklidbatterien vermutlich in ein paar Jahren Flugdauer erreicht werden.

Gruß
Helmut
 
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