Nein, ich denke auch nicht, dass "Kolonisation" irgend etwas zur Bevölkerungskontrolle beitragen könnte, wobei, siehe anschliessenden Text.
Ich möchte am Beispiel der Menschheit zeigen, wie dass deren Expansion in der Zukunft limitiert werden könnte. Dieses Beispiel ist nicht nur Konform mit dem Fermi-Paradoxon, sondern auch mit dem Doomsday-Argument, das besagt, dass es unwahrscheinlich ist, dass die Menschen, die nach uns noch geboren werden, die Anzahl der Menschen, die bereits gelebt haben, um viele Grössenordnungen übertreffen. Ein weiteres Problem ist auch die Frage: wenn es galaktische Sternimperien mit Millionen von Kolonien gibt, warum leben wir heute denn ausgerechnet auf einer Heimatwelt? Warum sind wir keine Kolonie?
In diesem Szenario würde sich die Menschheit langsam ins Sonnensystem ausbreiten, füher (im 21. Jahrhundert) oder später, es spielt keine sehr grosse Rolle. Gleichzeitig aber entwickelt die Menschheit Techniken, die es jedem Menschen erlauben, beliebig alt zu werden (das keine besonders exotische Voraussage: Altern ist letztlich die Summe aus Verschleiss und programmiertem Ende. Je mehr wir von Genetik verstehen, desto eher werden wir Mittel und Wege finden, das programmierte Ende aufzuheben, und desto mehr werden wir in der Lage sein, Ersatz für verschlissene Körperteile bereit zu stellen. Langfristig ist auch das Uploaden nichts anderes als der Ersatz des biologischen Körpersubstrates durch ein nicht-biologisches (bzw. nicht zwingend biologisches) Körpersubstrat). Nun aber würde natürlich die Bevölkerungszahl bei gleichbleibender Fruchtbarkeit auf der Erde explodieren, wenn keine Gegenmassnahmen getroffen werden. Dieses Problem wird auf die eine oder andere Weise gelöst werden, wohl entweder über die Ökonomie (es lohnt sich nicht mehr, Kinder zu haben, wenn man unsterblich ist), oder über politische Zwänge. Die Geburtenzahl wird stark zurück gehen und sich auf einem niedrigen Niveau einpendeln, so dass das Doomsday-Argument ausgeräumt ist, doch die unsterblichen Menschen, die schon geboren sind, existieren weiter und damit auch die Menschheit.
Gerade eine solche Menschheit wird sehr viel rücksichtsvoller mit der Natur umgehen, weil sich der Zeithorizont drastisch erweitert: der Klimawandel etwa und die Gefahr, dass der Meeresspiegel in den nächsten Jahrhunderten um einige dutzend Meter ansteigt, würden wohl als sehr viel dringenderes Problem wahrgenommen als heute. Der Druck, eine nachhaltige, stabile Gesellschaft zu entwickeln, wird wachsen. Einer solchen Gesellschaft dürften wohl auch interstellare Reisen subjektiv kürzer vorkommen: wer weiss, dass er vermutlich tausende von Jahren leben wird, sieht einigen Jahrhunderten Reisezeit sehr viel nachsichtiger gegenüber als vielleicht wir. Gleichzeitig wird die Menschheit immer mehr über das Universum wissen. Wir werden Millionen von terrestrischen Planeten da draussen kennen, und von vielen von ihnen werden wir wissen / vermuten, dass es auf ihnen Leben gibt. Man wird Raumsonden hinschicken, und diese werden natürlich in der Lebenszeit der Forscher ankommen, auch wenn sie Jahrhunderte brauchen, um die Strecke zu überbrücken. Das All wird diesen Menschen der fernen Zukunft sehr viel kleiner und freundschaftlicher erscheinen als uns heute.
Die Frage stellt sich vielleicht, ob diese Menschen der Zukunft nicht einfach alle Uploaden würden, um sich dann im virtuellen Raum beliebig zu vermehren. Das bringt nämlich ein anderes, doomsdayartiges Problem mit sich: wenn in Zukunft Milliarden und Abermilliarden von denkenden Wesen in virtuellen Welten existieren, dann wären wir "Realweltler" ziemlich untypisch. Das typische denkende Wesen würde dann in einer virtuellen Welt existieren. In einer Arbeit, die ich mal gelesen habe, wurde das sehr schön so zusammengefasst:
"Mindestens eine der folgenden Aussagen ist richtig:
- Die Menschheit wird bald aussterben
- Es wird nie besonders viele virtuelle Welten mit vielen virtuellen Wesen geben
- Wir leben selbst in einer virtuellen Welt"
Wenn wir also davon ausgehen, dass wir in der realen Welt geben, und die Menschheit nicht ausstirbt, werden die virtuellen Welten also irgendwie nie eine besonders grosse Rolle spielen. Vielleicht ist die Intelligenz von Uploads einfach ganz anders als wir uns das vorstellen, oder man wird nie sehr viele virtuelle Welten erzeugen aus Gründen, die uns heute nicht zugänglich sind (vielleicht sind sie verboten?). Letztlich spielt es keine Rolle. Eine Zivilisation, die sich darauf beschränkt, Material aus ihrem Sternsystem zu verwenden, um zigilliarden von virtuellen Welten zu befeuern, spielt keine Rolle im Fermi-Paradoxon und wird über kurz oder lang aussterben (virtuelle Welten sind ja auch recht akut von der Löschung gefährdet, was bei der realen Welt nicht der Fall ist).
Zurück zum Szenario. Die Menschheit bestünde also nach diesem Transformationsprozess aus einigen (Dutzend? Hundert?) Milliarden Individuen, die alle ihre eigenen Leben leben. Gut denkbar, dass man dann anfängt, Kolonien und Orbitale zu bauen, Rohstoffe im Sonnensystem abzubauen. Man wird auch zu den nächstern Sternen fliegen. Doch - und das ist der Punkt, auf den ich hier hinaus will - die begrenzte Anzahl Individuen, aus der die Zivilisation besteht, verhindert, dass sie sich zu stark ausbreitet. Denn wird die Zivilisation zu "dünn", weil sich zu viele Menschen über zu viele Sternsysteme verteilen, dann kann das System nicht mehr aufrecht erhalten werden: die Langlebigkeitsbehandlungen können die Menschen nicht mehr rechtzeitig erreichen (oder was auch immer), schlicht, es sind zu wenig Menschen übrig, um wirklich noch Zivilisation zu betreiben. Nehmen wir an, es wären dereinst noch 20 Milliarden Menschen übrig. Wie viele von ihnen braucht es, um ein Orbital zu betreiben, mit allem drum und dran? Oder anders gesagt, wie "klein" kann eine Kolonie oder ein Orbital sein, dass es das ganze Potential der dannzumaligen menschlichen Zivilisation reproduzieren kann? Wenn wir sagen, es braucht mindestens 1 Million Menschen, um ein solches "Zivilisationszentrum" aufrecht zu erhalten, dann kann es eben höchstens 20000 solcher Zivilisationszentren geben, und die meisten davon werden sich wohl relativ nahe zueinander gruppieren. Einige Menschen werden auch nomadisch leben und zwischen den Zentren hin und her reisen. Aber alles in allem muss die menschliche (oder dann vielleicht besser: "terragene") Zivilisation aufpassen, dass sie sich nicht zu sehr ausdünnt, unter einen kritischen Wert, wo es keine Rückkehr zur Hochzivilisation mehr gibt und alle Orbitale, Raumschiffe, Zivilisationszentren nur noch zerfallen, weil sie zu wenige Mitglieder haben, um weiter zu existieren. Vielleicht folgt die Bevölkerungszahl einer Zivilisation einer Kurve, die erst steil anssteigt und dann sehr, sehr langsam ausflacht, so dass nach Millionen von Jahren nur noch ein paar vereinzelte Nomadenschiffe und Orbitale übrig sind, bevor auch die allerletzen aussterben.
Auf diese Weise könnten Zivilisationen ein kurzes, lokales Phänomen sein, das schnell (in astronomischen Zeitskalen) wieder verschwindet. Besuche in fernen Sternsystemen blieben auf Stipvisiten von einzelnen Nomadenschiffen begrenzt, vielleicht würde hier und da mal ein lange zerstöres Orbital seine Bahn um einen Stern ziehen, und keine Zivilisation würde weiter als einige 100 LJ weit kommen, bevor sie sich zu sehr ausdünnt.
Das Ausdünnen lässt sich wohl auch kaum vermeiden: ähnlich wie bei einem physikalischen Prozess, einer Art von "Evaporation" von vereinzelten Mitgliedern der Zivilisation reicht schon völlig, um die Zivilisation langfristig zu zerstören. Es müssen nur ein paar Mitglieder der Zivilisation pro Jahr (oder pro beliebige Zeiteinheit) beschliessen, die Zivilisation zu verlassen, um anderswo ihr Glück zu versuchen oder ihre Vorstellungen vom Paradies auf Erden zu verwirklichen, um langfristig zu verhindern, dass die Minimaldichte erhalten bleibt. Die Chance, dass die Zivilisation irgendwann ihr Verhalten ändert und wieder im grossen Stil Kinder produziert, ist wohl nicht gegeben, sonst enden wir wieder im "Warum sind wir keine Kolonie"-Dilemma, das ich eingangs erläutert habe.
Was denkt ihr?