Pioneer-Anomalie: Spurensicherung

Orbit

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In letzter Zeit fiel hier öfters das Stichwort 'Pioneer-Anomalie': im Rahmen zweier alternativer Hypothesen oder als Randthema in andern Threads. Ich möchte das Thema hier neu lancieren. Es soll nur um die PA selbst gehen. Im einzigen bisherigen Thread, bei dem 'Pioneer' auch im Titel vorkam, gibt es zwar ab Seite 3 (Beitrag 24) eine interessante Diskussion zwischen Ralf, mac und Klaus um die Bedeutung des Kuipergürtels im Zusammenhang mit der PA;

http://www.astronews.com/forum/showthread.php?t=471&page=3&highlight=Pioneer

aber ich möchte das Thema nochmals von Grund auf angehen.

Als Einstieg nochmals der Link, den galileo an anderer Stelle bereits einmal angegeben hat:

http://www.mpe.mpg.de/~amueller/lexdt_p05.html

und zur Vertiefung:

http://www.planetary.org/programs/projects/pioneer_anomaly/update_20070328.html

Diesen zweiten Link finde ich hochinteressant. Er zeigt wie da akribisch Spurensicherung von verstreuten Pioneer-Daten geleistet wird und wie diese Daten erst restauriert und kompatibel gemacht werden mussten.
Dass vom 18. bis 22. Februar 2007 ein wichtiges Seminar zum Thema ganz in meiner Nähe stattgefunden hat, weiss ich auch erst seit heute. Das Programm dieses Seminars zeigt denn auch, dass Slava G. Turishev, der Autor des letzten Links, eine Kapazität auf diesem Gebiet sein muss.

Herzliche Grüsse
Orbit
 

galileo2609

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Hallo Orbit,

ich bin in dieser Sache wirklich eher konservativ gestimmt. Warten wir doch einfach mal ab, was die 'Pioneer Explorer Collaboration' bis Juni an Analysen erarbeitet und ob die 'Anomalie' sich dann nicht einfach aufgelöst haben wird.

Die ganze Geschichte erinnert mich einfach zu sehr an den Popanz, der um die Existenz des 'Planet X' gemacht wurde. Die Störungen der Uranus-Ephemeriden lösten sich 1993 in Luft auf, nachdem Myles Standish die durch den Voyager-Fly-by präzise ermittelte Neptun-Masse in die Gleichungen einsetzte.

Auch für die Pioneer-Anomalie bin ich immer noch von einer 'immanenten' Lösung überzeugt.

Grüsse galileo2609
 

SirToby

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Neue Sonden zappeln zuviel 'rum

Hallo Orbit, hallo galileo2609,

also ich glaube eher an eine neue Physik. Aber Glauben heißt Nichtwissen, zumindest in diesem Zusammenhang. Wir müssen abwarten.

Eines verstehe ich aber nicht: Es heißt in den Kommentaren immer, dass neuere Sonden sich für die Feinausmessung der Bremswirkung nicht eignen, weil sie zu sehr herumzappeln. Ständig wäre es nötig ihre Lage neu auszurichten usw. Werden denn für diese Manöver jedesmal Steuerdüsen mit Rückstoßwirkung bemüht? Kann man sich das überhaupt leisten angesichts des begrenzten Treibstoffvorrates?

Sollte es sich jedoch um kreiselgestützte Manöver handeln, dann kann es doch eigentlich nicht zu geschwindigkeitsverändernden Effekten kommen. Und selbst wenn zeitweise die Dopplermessungen nicht mehr hinhauen, hat man doch immer noch präzise Zeit-Entfernungs-Informationen über die Signallaufzeit mit deren Hilfe man die Bremswirkung doch immer noch fein genug ausmessen kann.

Weiß hier einer genaueres?

Gruß SirToby
 

Orbit

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Hallo
galileo2609
Warten wir doch einfach mal ab, was die 'Pioneer Explorer Collaboration' bis Juni an Analysen erarbeitet und ob die 'Anomalie' sich dann nicht einfach aufgelöst haben wird.
SirToby
also ich glaube eher an eine neue Physik. Aber Glauben heißt Nichtwissen, zumindest in diesem Zusammenhang. Wir müssen abwarten.
Beide plädiert Ihr für etwas Geduld. Auch ich denke, das ist sinnvoll, obwohl auch ich eine Erklärung favorisiere:

WDR Fernsehen 6.12.05
http://www.quarks.de/dyn/26230.phtml
Es gibt sogar Physiker, die diese Abbremsung durch die so genannte "Dunkle Materie" erklären wollen.

stern.de 20.4.07
http://stern.de/wissenschaft/kosmos/:Pioneer-Anomalie-R%E4tselhafte-Kraft-All/559811.html
"Eine Goldgräberzeit für neue Theorien ist angebrochen"
"Nachdem alle herkömmlichen Erklärungsversuche nicht gegriffen haben, ist nun eine Goldgräberzeit für neue Theorien angebrochen", sagt Claus Lämmerzahl. Zwei davon liefern sich momentan ein Kopf-an-Kopf-Rennen in der Gunst der Physiker. Da ist zum einen die "dunkle Materie", die viele Forscher im Weltall vermuten. Denn nur mit ihr könnten sie die Geschwindigkeit der Sterne in den Galaxien und die Verteilung der Galaxien im Weltall erklären. Sie hätte mit der uns bisher vertrauten Materie und auch mit schwarzen Löchern und ähnlichem nichts zu tun. "Wenn dunkle Materie die Sonde anziehen würde, wäre natürlich die Frage, warum die Planeten davon nichts mitbekommen", meint Lämmerzahl. Denn deren Bahnen sind unverändert stabil.
Die zweite Favortitin
Die andere Theorie macht sich die Tatsache zu nutze, dass es sehr schwierig ist, das Newtonsche Gravitationsgesetz bei sehr kleinen Massen (zum Beispiel zwei Bleikugeln) zu überprüfen. Trotz der großen Planetenmassen wirken auch auf die 250 Kilogramm leichte Pioneer 10 in den Weiten des Alls nur sehr geringe Kräfte. Muss man das Gravitationsgesetz also vielleicht mit einem Zusatz für kleine Kräfte versehen, der nur in diesen Fällen zum Tragen kommt und so die Anomalie erklären könnte? Richtig schön findet Eugen Willerding diese Lösung auch nicht: "Ein tieferer physikalischer Grund, warum man das Gravitationsgesetz erweitern sollte, fehlt bisher."
finde ich auch hässlich.
Nebst diesen wird auch die RT genannt:

Raumfahrt24.de 16.9.04
http://www.raumfahrt24.de/Artikel/200409160024.html
Es gibt eine Reihe von theoretischen Ansätzen, einer davon ist die so genannte Dunkle Materie, die erklären soll warum Galaxien eine größere Anziehung haben als es die sichtbare Materie vermuten lässt.
Auch Einsteins Relativitätstheorie ist im Gespräch, dessen Theorie bis heute nicht mit der Quantenmechanik kombinierbar ist. Beide Theorien funktionieren auf praktischer Ebene nebeneinander, aber die Verbindung fehlt eben noch.
Aber eben, vielleicht hat galileo2609 mit seinen 'immanenten' Lösungen Recht:
Aber auch ein bislang nicht entdeckter mechanischer Fehler der Pioneer Sonden kann nicht ausgeschlossen werden, und nüchtern betrachtet ist das die wahrscheinlichste Erklärung.
Eines ist sicher:
Aber wie das Ergebnis am Ende auch ausfällt, es ist eine lohnende Frage da sich durch die Lösung entweder das Design von Raumfahrzeugen verbessern oder die Physik verändern wird.
Und sicher ist auch, dass ich Erklärungen mit Hilfe einer inkonstanten FSK ...

spiegel.de 26.9.06 (siehe Beitrag 1)
http://www.spiegel.de/wissenschaft/weltall/0,1518,437267-2,00.html
Wissenschaftler von der Universität von Portsmouth in England vermuten, dass das Pioneer-Rätsel etwas mit der Feinstrukturkonstante des Weltalls, kurz Alpha, zu tun haben könnte. Von nur wenigen Zahlen hängt das Schicksal des gesamten Universums stärker ab als von dieser. Wäre ihr Wert nur ein wenig anders, dann gäbe es keine Atome und somit kein Leben im Universum.
...nicht mag. Weil ich Nicht-Physiker bin, darf ich in solchen Angelegenheiten auch Emotionen zeigen. Emotional reagiere ich denn auch auf diese Vermutung:
Interessant ist, dass der Wert der Anomalie in etwa dem Produkt aus der Hubble-Konstanten und der Lichtgeschwindigkeit entspricht. Damit stellt sich die Frage, ob sie in irgendeiner Weise mit der kosmischen Expansion zusammenhängt.
Das finde ich reine Numerologie, obwohl hier die Dimension stimmt - im Gegensatz zur Theorie von H.K. ;) Die Abweichung wäre übrigens 10'000 mal zu klein und nicht 'in etwa gleich'. Auch in diesem Link wird zum Schluss mein Favorit erwähnt:
Oder kann man sie in Verbindung mit den Überlegungen der letzten Jahre bringen, die eine Ergänzung des Newtonschen Gravitationspotenzials durch einen weiteren Anteil vorschlagen?
Gruss Orbit
 

ispom

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schönes thema, Orbit.

ich bin für die dunkle Materie als Ursache,
aber diese Meinung kann ich nicht weiter begründen -
außer mit der Hoffnung, daß wir dann endlich mit diesem dunklen Stoff mal weiterkommen :)

dunkle Vermutungen äußernde Grüße von Ispom
 

Ich

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orbit schrieb:
Ich habe mich verrannt, und bitte deshalb den Webmaster, alle Beiträge ab dem 6. aus diesem Thread in das Unterforum 'Gegen den Mainstream' zu verschieben.
Jetzt übertreibst du. Was falsches zu behaupten passiert jedem, ist ganz normal und gehört zu jeder Diskussion, sonst wärs ja langweilig.
"Gegen den Mainstream" ist was anderes.
 

Webmaster

Administrator
Teammitglied
Ich habe die Beiträge wunschgemäß verschoben, es wäre allerdings - meiner Ansicht nach - nicht nötig gewesen. Auch aus der Diskussion von falschen Ideen kann man schließlich etwas lernen ...

Stefan Deiters
 

Orbit

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@ Ich
"Jetzt übertreibst du."
Die Verschiebung ist schon erfolgt, wie Du siehst.
Mir ist es recht so, nicht weil ich mich kasteien wollte, sondern, weil ich möchte, dass dieser Thread hier nur die relativ harten Fakten zum Thema Pioneer-Anomalie enthalten soll - auch wenn es möglicherweise bis im Sommer etwas ruhig bleiben wird.

Ich bitte Dich und alle andern, die verschiedenen Erklärungsmöglichkeiten im andern Thread zu erörtern.

@ webmaster
Besten Dank für Ihre zusätzlich geleistete Arbeit!
Und da Sie gerade für mich arbeiten, :D bin ich so unverschämt, darum zu bitten, nun auch die neuen hier geschrieben Beiträge 6, 7, 8 und 11 dorthin zu verschieben. Sollten Sie nicht dazu kommen, werde ich das in Form von Zitaten selbst tun.
Besten Dank
Gruss Orbeit
 

Bynaus

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Das Thema finde ich auch sehr interessant. Wie galileo mahne ich zur Geduld, aber ich glaube (=/= weiss), dass da schon mehr dahinter stecken könnte als blosse Fehler. Die "Anomalie" setzt sich über mehrere Datenerfassungsmethoden und -perioden fort...

Ich kann mir aber "dunkle Materie" auf keinen Fall als Teil der Lösung vorstellen. Denn es wird ja eine zusätzliche Beschlunigung zur Sonne hin gemessen, das heisst, die dunkle Materie müsste von der Sonne ausgehen - aber dann ist nicht klar, warum diese nicht einfach sowieso zur Sonnenmasse gezählt wird (wir also den Anteil nicht-dunkler Materie der Sonne geringfügig überschätzen würden). Die Alternative wäre, dass die DM irgendwie kugelsymetrisch um die Sonne verteilt wäre, aber dann stellt sich tatsächlich die Frage, ob man das nicht sonst feststellen könnte.

Wenn die PA real ist, dann fällt die Kraft, die auf die Sonne wirkt, erst quadratisch ab, bevor sie dann ab einem bestimmten Wert langsamer abfällt als man aus der quadratischen Beziehung erwarten würde (was hervorragend zu den "anomalen" Rotationskurven von Galaxien und sogar Kugelsternhaufen passt). Ich kann mir hier schon ein paar Dinge denken, angefangen mit einer Modifikation des Gravitationsgesetzes bis zu einer weiteren, gravitationsähnlichen Kraft, die sehr schwach ist und die nicht mit dem Quadrat zum Abstand abfällt (für die zwei Kernkräfte gilt das ja IIRC auch).
 

Orbit

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Bynaus
Wie galileo mahne ich zur Geduld,
Das soll in diesem Thread auch der Grundsatz sein. Insofern ist mein Bezug zur DM weiter vorne auch ein Vorpreschen, das nicht zur Leitidee dieses Threads passt.
Eine Geduldsprobe ist es allerdings schon; denn nach dem ISSI-Meeting vor einem Jahr war bis auf die Mitteilung, dass die Turyshev-Gruppe zur Auswertung und Interpretation der Pioneer-Daten noch ein Jahr länger brauche, nichts Neues zu vernehmen.

MfG Orbit
 

Orbit

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Wohl nicht gerade Ende dieser Woche; aber im vergangenen Jahr dauerte es nur gerade 14 Tage bis zur Veröffentlichung zweier Abstracts auf ArXiv.org.
Orbit
 

Orbit

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Bei der Planetary Society gibt's bis jetzt aus dem Jahr 2008 nichts Neues über die Pioneer Anomalie. Dort steht einfach:
There are no news stories to display from the year 2008 for the subject Pioneer 10 and 11.

Hingegen habe ich hier ein Lebenszeichen von Turyshev gefunden:

http://www.dradio.de/dlf/sendungen/forschak/771766/

Das wird noch dauern!

Aus dem Programm des diesjährigen Treffens am ISSI in Bern kann man herauslesen, dass eine Publikation in Buchform geplant ist.

Orbit
 

Nathan5111

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Hallo Orbit,

Seither haben Wissenschaftler diese "Anomalie" auch bei anderen Raumsonden entdeckt, ...
davon habe ich (glaube ich) noch nichts Konkretes gelesen, weißt Du da etwas mehr?

Dabei stellt sich nun heraus: Die Ursache für die Ablenkung der Sonden könnte eine ungleichmäßige Temperaturverteilung auf ihren Oberflächen sein.
Das kann sich m.E. nur auf die interne Lage der Batterie beziehen, denn meines Wissens rotieren die Sonden nicht, oder?

Bis diese neue Untersuchung fertig gestellt ist, betrachte ich keinerlei Erklärung, die mit neuer Physik zusammen hängen. Ich sehe meine Aufgabe darin, zunächst einmal nach konventionellen Erklärungen zu suchen. Wenn danach die Anomalie immer noch da ist, sehen wir weiter.
Das ist (leider) eine gesunde, wissenschaftliche Einstellung, aber sehr unbefriedigend.

Warten wir weiter
Nathan

PS: Der Spiegel bringt es auch.
 
Zuletzt bearbeitet:

Orbit

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Nathan
Bisher habe ich nur davon gelesen, dass bei moderneren Sonden eine Anomalie nicht herausgerechnet werden könne. Warum das bei den Voyager-Sonden nicht geht, hat Bynaus hier im Beitrag 13 mal erklärt:
http://www.astronews.com/forum/showthread.php?t=579&highlight=Voyager&page=2

Die Pioneer-Sonden jedenfalls rotieren nicht. Im Spiegel-Artikel heisst es, dass die eine Seite der Sonden jeweils während 30 Jahren der Sonne zugewandt gewesen sei.

Ich habe den Eindruck, dass hinter dieser dezidierten Äusserung Turyshevs eine ganze Geschichte stecken könnte, vielleicht ein Konkurrenzkampf zwischen Turyshev und Anderson. Indizien:

- Der Bericht über Andersons vermuteten Zusammenhang zwischen Flugrichtung diverser Sonden beim Flyby an der Erde und der Flyby-Anomalie, der bis vor kurzem auf der Pioneer-Page von Planetary Society stand, ist entfernt worden.

- Zur Projektgruppe von Astrod I gehören einige Leute aus Turyshevs Umfeld und er selbst, Anderson aber nicht. Astrod I ist eine Sonde, mit welcher man die beiden Anomalien messen möchte. Ich könnte mir vorstellen, dass Anderson Bedenken zu diesem Projekt angemeldet hat: Da Astrod I auf eine Umlaufbahn um die Sonne gebracht werden soll, auf eine Keplerbahn also, dürfte man nach Anderson kaum eine PA detektieren können. Die trete nur auf hyperbolischen Bahnen auf, meint er.

Ich könnte mir vorstellen, dass Turyshev befürchtet, die medienwirksamen Berichte über Andersons Suche nach Ursachen für die beiden Anomalien im Bereich 'Neue Physik' könnten seinem eigenen Projekt schaden. Für die Restaurierung und Auswertung der PA-Daten auf privater Basis ist er auf viel Geld angewiesen. Und das könnte spärlicher fliessen, wenn Andersons Ideen Aufwind bekommen. Allerdings hat Anderson wohl mit seiner jüngsten Arbeit über einen Zusammenhang zwischen FBA und Erdrotation ein Eigentor geschossen.

MfG Orbit
 

Orbit

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Jetzt gibt es News bei der Planetary Society:

http://www.planetary.org/blog/article/00001400/

Inzwischen wurde offenbar die Pioneer-Sonde digital nachgebaut. Dabei war man auch auf die Informationen der einstigen Ingenieure angewiesen, welche inzwischen im Ruhestand leben.
Der Flug ab 25 AU wurde mit der rekonstruierten Sonde simuliert, und dabei hat man eine asymmetrische Wärmestrahlung festgestellt, welche etwa einen Drittel der PA erklären könnte.
Aus dem Link zu dradio.de wissen wir, dass Turyshev nun den ganzen Flug simulieren will.
Und wie vermutet: Er ist auf neues Geld angewiesen.

MfG Orbit
 
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