Nichtberechenbarkeit, Determinismus und Zufall
Udo_S schrieb:
Hi Sky
Das Thema macht mich neugierig, obwohl ich als praxisorientierter Beobachter nicht unbedingt über das nötige Wissen verfüge.
"Nicht mathematisch" "Nicht berechenbar" muß ich das so verstehen: Das ich zwar z.B. den Weg der Lottokugeln mathematisch beschreiben aber ihn nicht im vorraus berechnen könnte?
Du hattest ja schon einen Buchtipp gegeben, vielleicht kennst Du ja noch etwas Literatur, die einem Laien wie ich es bin, etwas Zutritt zu diesen Problemen verschafft.
Danke schon mal
Udo S
Hi Udo
Also man kann zwischen 1) Berechenbarem Zufall 2) Berechenbarem Determinismus 3) Nichtberechenbarem Determinismus und 4) Nichtberechenbarem Zufall unterscheiden. Ich will zu allem kurz etwas sagen:
1) Echten Zufall musste man erstmals mit der Quantenmechanik in die Weltbeschreibung aufnehmen. Beispiel: Lässt man ein Photon im 45°-Winkel gegen einen halbdurchlässigen Spiegel fliegen, so wird es gleichzeitig reflektiert und fliegt durch. Misst man das Photon mit einem Detektor befindet es sich entweder bei dem detektor auf dem einen Weg oder bei dem auf dem anderen Weg. Es ist zum Kollaps der Wellenfunktion gekommen. Es hängt von echtem Zufall ab ob es auf dem einen oder anderen Weg gefunden wird. Warum sollte man aber dann annehmen dass es zunächst beide Wege gegangen ist? Wenn man die beiden Photonen die eigentlich ein Photon sind wieder zusammenbringt (mit normalen Spiegeln) können ihre Wahrscheinlichkeitswellen miteinander Interferieren. Damit ist bewießen dass das Photon irgendwie beide Wege gegangen ist. Wie es das gemacht hat, hängt von der Interpretation ab (ich selbst habe auch eine Interpretation entwickelt; die erste die zu neuen Vorhersagen führt!). Der Kollaps der Wellenfunktion kann auch durch eine Nullmessung erfolgen. Wird das Teilchen bei dem Experiment von dem Detektor auf dem einen Weg nicht gefunden, kommt es dennoch zu Kollaps, d.h. das Photon befindet sich dann nur noch auf einem der beiden Wege. Man muss also nur einen Detektor aufstellen um das Photon von seiner Schizophrenie zu heilen ;-)
2) Berechenbarkeit ist Teil der Newtonschen Mechanik. In gewissem Sinne ist in ihr die Zukunft schwerer zu berechnen als in der Relativitätstheorie. In Newtons Theorie ist Licht und Gravitation unendlich schnell (also sofort da!). Wärend man in der Relativitätstheorie nur das in der Berechnung beachten müsste was innerhalb des Lichkegels in der Raumzeit ist, müsste man in Newtons Theorie die Position aller Teilchen im gesamten Universum genau kennen um die Zukunft exakt vorherzusagen.
3) Deterministische Nichtberechenbarkeit spielt in der Naturbeschreibung noch keine Rolle. Nach gewissen Überlegungen muss aber in einer Theorie der Quantengravitation auch etwas nichtberechenbarkeit stecken. In welcher Form will ich jetzt nicht erklären (wenn du willst kann ich das aber noch machen). Ich werde aber ein Beispiel für ein "Spielzueugwelt" geben, die deterministisch aber nichtberechenbar ist. Nehmen wir an es gäbe in diesem Universum eine diskrete Zeit. Die Zeit wird also mit Natürlichen Zahlen beschrieben. Unsere "Spielzeugwelt" besteht aus einer wohldefinierten Klasse von Vielecken die sich aus gleichgroßen Quadraten zusammensetzen. Der Weltzustand S_n geht zur Zeit t geht über in S_n+1 zur Zeit t+1 wenn die Vielecke S_n die Ebene parketieren, und in S_n+2 wenn die Menge S_n die Ebene nicht parketiert. Da das Parketierungsproblem nicht rechnerisch gelöst werden kann, ist unsere "Spielzeugwelt" nichtberechenbar. Gäbe es einen Algorithmus mit dem man das berechnen könnte, dann könnte man den in einen Umwandeln mit dem man Turings Halteproblem lösen kann. Das ist aber nach Gödels Satz unmöglich (führt zu einem Wiederspruch).
Es wäre auch denkbar dass der Einfluss des Bewusstseins auf das Gehirn nichtberechenbar und dennoch deterministisch ist.
4) Nichtberechenbar Zufällig könnte der freie Wille sein. Wenn quantenmechanische Wahrscheinlichkeiten in unserem Denken eine Rolle spielen dann könnten diese vom Bewusstsein (und Unterbewusstsein) beeinflusst werden. Dabei muss man sich den Geist aber nicht zwangsweise, wie John Eccels als vom Gehirn unabhängig denken (das wäre in der Tat absurd). Wie man sich das Vorstellen muss kann ich dir jetzt nicht erklären. Da musst du warten bis ich mein Buch veröffentlicht habe. Das passiert wohl erst in etwa 8 bis 11 Jahren, weil ich gerade erst mein Abitur mache und ich will ja noch Physik, Mathe und Neurobiologie studieren. In meinem Buch schlage ich übrigens auch eine Lösung für das Geist-Gehirn-Problem vor (das Problem ist etwa so alt wie die Philosophie).
Ich soll dir ja noch einen Buchtipp geben...Roger Penrose hat 3 Bücher geschrieben. Das erste (Computerdenken) ist aber teilweise recht schwer. Das Dritte (Das Große das Kleine und der menschliche Geist) ist recht dünn und es steht darin nicht wirklich mehr als im zweiten Buch (Schatten des Geistes). Das Dritte Buch gibt es wohl nur weil das Zweite sehr Teuer ist. Es lohnt sich aber wirklich das zweite zu kaufen. Zudem hatte Penrose im ersten Buch seine Neurobiologische Theorie noch gar nicht entwickelt. Das erste ist also noch nicht sehr überzeugend (damals hat man nicht gewusst dass die Recheneinheiten des Gehirns die Tubulin-Dimere (die in Zuständen entsprechend 0 und 1) in den Mikrotubuli des Zellskellets der Neuronen sind). Also wenn du das alles wirklich gut verstehen willst dann kauf dir "Schatten des Geistes". Den Teil mit den Einwänden gegen die Schlussfolgerungen aus Gödels Satz, kannst du eigentlich erst man überspringen, da die Einwände eh nicht ernstzunehmen sind und Penrose eh alle perfekt zurückweisen kann. Der zweite Teil beschäftigt sich mit der Quantenmechanik und ihren Problemen. Es wäre gut wenn du noch ein Buch zum Interpretationsproblem der Quantenmechanik lesen würdest. In den Büchern "Quantenphysik: Illusion oder Realität" von Alastair Rae und "Gibt die Physik wissen über die Natur" von Lothar Arendes geht es ausschließlich um das Interpretationsproblem und das Messproblem. Letzteres stellt die Situation noch dramatischer dar als ersteres. Das erste Buch ist jedoch ausführlicher und sehr billig (kleines gelbes Buch von Reclam). Zum Geist-Gehirn-Problem empfehle ich "Das Ich und sein Gehirn" von Karl Popper und John Eccles. Für den Eccels Teil (Neurobiologie) musst du aber härter arbeiten, da du mit einer enormen Informationsflut konfrontiert wirst. Ich Teile keines Wegs die Ansichten von Eccles. Wir haben jedoch gemeinsam dass wir nicht glauben können dass das Bewusstsein ein Epiphänomen ist, also ein Phänomen ohne Einfluss auf irgendetwas. Ich glaube nicht dass es Epiphänomene gibt! Ich glaube auch nicht dass es Un-Fragen gibt, also Fragen deren Beantwortung nicht empirisch überprüft werden kann.
Wenn du Fragen hast beantworte ich die gerne!
Viele Grüße,
Sky Darmos.
P.S.: Freut mich dass du dich so für dieses Thema interessiest