warum sollte es kein anderes leben geben

Ich

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ist bestimmt das Internet schuld dran, seitdem das für Domain Name System steht.
Mein Biolehrer, Herr Korotwitschka, hatte schon vor 30 Jahren auf "DNA" umgestellt. Der Rest Deutschlands ziemlich zeitgleich, in den folgenden 10 Jahren, wenn ich mich richtig erinnere.
 

Mahananda

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Nachdem ich den angekündigten Beitrag über die RNA-Welt mehrfach überarbeitet habe (darunter zwei komplette Neufassungen) und eine Erkältung dazwischen gekommen ist, steht er jetzt endlich drin ... :)

Viel Spaß beim Lesen!
 
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Dgoe

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Hallo Mahananda,

ganz toller Artikel! :D Auf den habe ich ja gewartet und mich entsprechend gefreut. Vor allem, weil er eine wahre Fundgrube ist. Dazu später mehr ...

@Ich:
Ich habe das immer abwechselnd erlebt. Wie das im Unterricht war, erinnere ich mich nicht mehr.

Gruß,
Dgoe
 

zabki

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Hallo Mahananda,
muß es bei den Faktoren der Drake-Gleichung nicht teilweise heißen "Anteil an..." statt "Anzahl"?
 

Mahananda

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Hallo zabki,

Du hast recht. Die "Anzahl" ergibt sich aus der Multiplikation mit dem jeweiligen Faktor, der - da kleiner als 1 - stets einen "Anteil" vorgibt. Ich werde das umgehend korrigieren. Danke für den Hinweis! :)
 

Mahananda

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Passend zum Wochenendausklang ist hier der angekündigte Artikel zu Eugene V. Koonins "The Logic of Chance".

Viel Spaß beim Lesen! :)
 

Dgoe

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Hallo Mahananda,

eigentlich war ich noch am Sortieren, habe nun aber schon den neuen Artikel gelesen. Da steht u.a.:
Das Modell, das hier herangezogen wurde, ist nicht notwendigerweise als realistisch anzusehen.
Wie beruhigend. Denn neben der Rechnung sehe ich persönlich die MWO-Hypothese auch nicht als notwendigerweise realistisch an.

Jedenfalls würde ich mich hüten so unrobuste Grundlagen als Dreh- und Angelpunkt für alle weiteren Überlegungen zu verwenden.

Gruß,
Dgoe
 

Mahananda

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Hallo Dgoe,

Die Rechnung soll auch nur illustrieren, zu welchen Erfordernissen des Zufalls das Heranziehen verschiedener Varianten des Durchbruchs-Systems führen. Und wenn die Variante mit den grob überschlagenen 1800 Nucleotiden gerade so als gangbares Minimum durchgehen sollte, dann haben wir es entweder mit einem außerordentlichen Glücksfall zu tun - oder aber man kann es als Hinweis (jedoch nicht als Beleg!) dafür interpretieren, dass ein unendliches Multiversum mit unendlich vielen endlichen O-Regionen und einer endlichen Anzahl an makroskopischen Geschichten ("coarse-grain histories"), die sich dann - egal wie unwahrscheinlich sie im jeweils konkreten Einzelfall in einer bestimmten O-Region auch sein mögen - unendlich oft wiederholen. Das Erscheinen des Lebens auf der Erde ist dann eine notwendige Folge, die sich aus dem Vorhandensein eines so gearteten Multiversums ergibt.

Koonin schreibt in seinem Artikel aus dem Jahr 2007, dass diese Hypothese falsifizierbar ist. Konkret schlägt er vor, dass ein plausibles Modell bzw. ein Labortest, welche(s)r zeigt, dass ein gekoppeltes Replikations-Translations-System zwanglos aus einem RNA-Welt-Ansatz entsteht, eine solche Widerlegung sei. Auch die Entdeckung fremder Lebensformen auf z.B. Mars oder auch Europa, die nachweislich nicht ihren Ursprung auf der Erde haben, sondern über eine z.T. andere Biochemie verfügen, eignen sich als Widerlegung. Weiterhin widerlegt das Finden von Leben in der Galaxis an mehreren Stellen die angestellte Überlegung.

Umgekehrt lassen sich Vorhersagen formulieren, die wiederum testbar sind. So wird abgeleitet, dass sämtliches Leben, das man im Sonnensystem oder auch anderswo findet (wobei es dann mit dem Testen schwierig wird!) mit dem irdischen einen gemeinsamen Ursprung hat (also auch die Variante, dass das Leben z.B. auf dem Mars entstanden ist und dann über Transspermie zur Erde gelangte, ist hier mit abgedeckt).

Inwiefern die MWO-Hypothese widerlegbar ist, weiß ich jetzt nicht. Sollte sie dahingehend widerlegt werden, dass entweder kein räumlich unendliches Universum möglich ist oder aber dass die Anzahl der makroskopischen Geschichten nicht endlich ist, sondern unendlich, wäre zugleich der hypothetische Ansatz Koonins widerlegt. Aus der Rechnung können dann keine weiterreichenden Schlussfolgerungen bezüglich der vorliegenden Kosmologie gezogen werden.

Viele Grüße!
 

Dgoe

Gesperrt
Hmm,

(Anmerkung: MWO = Many Worlds in One; steht natürlich auch im Artikel)

Zu dem zweiten Paradoxon (ein Auszug):
Wenn das Translations-System noch nicht dagewesen ist – woher sollte dann der selektive Druck kommen, der die Spezifizierung der einen tRNA-Stammform in Aminosäure-spezifische tRNA’s bewirkt hätte?
Vielleicht war das Translations-System selber noch nicht so ausgebildet, viel rudimentärer. Eben so, dass es mit der einen tRNA-Stammform ausgekommen ist. Im Laufe der Zeit wurden immer mehr Variationen als Komponenten beibehalten*, die ganz genau zu ausgebildeten Variationen bzw. Spezialisierungen der einen tRNA-Stammform passten.
:confused:

Gruß,
Dgoe

EDIT *: statt "beibehalten" passt das Wort 'integriert' vielleicht besser.
 
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FrankSpecht

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Moin zusammen,

ich finde dieses Thema außerordentlich faszinierend!
Und ich möchte mich vorab schon mal bei Mahananda bedanken für seinen Tote-Welten-Blog, den ich gerne lese, aber mangels Kenntnissen in Biochemie nicht kommentieren kann.

@Ralf:
Die Enceladus würde ich an dieser Stelle auch nicht von vornherein ausschliessen, und je mehr man von Ganymed erfährt, diesen auch nicht.
Neben den genannten Welten wird es sicherlich noch viele weitere geben, so dass eine vollständige Auflistung eine müßige Sache werden dürfte. Ich denke, dass das "z.B." (bold gekennzeichnet von mir) in
So wird abgeleitet, dass sämtliches Leben, das man im Sonnensystem oder auch anderswo findet (wobei es dann mit dem Testen schwierig wird!) mit dem irdischen einen gemeinsamen Ursprung hat (also auch die Variante, dass das Leben z.B. auf dem Mars entstanden ist und dann über Transspermie zur Erde gelangte, ist hier mit abgedeckt).
alle potentiell möglichen Welten enthält. Das schließt nicht nur die Objekte des Sonnensystems ein!

Wobei mir der Begriff "Transspermie" völlig neu war. Ist aber wohl identisch mit Panspermie?

Gestern erschien auf SPON ein vielleicht meta-passender Artikel zum Thema: Buntbarsche in Kraterseen: Parallele Evolution erstaunt Forscher
Darin geht es um unterschiedliche Wege der Evolution, die zum selben Ergebnis führen:
Vor etwa 25 Jahren wagte der inzwischen verstorbene Evolutionsbiologe Stephen Jay Gould ein Gedankenexperiment: Was würde passieren, wenn man die Zeit auf der Erde zurückspulen würde und die Evolution noch einmal beginnen müsste? Würde sie sich genauso wiederholen, wie sie bislang verlaufen ist?
(Der SPON-Artikel bezieht sich auf den Artikel bei nature communications: Parallel evolution of Nicaraguan crater lake cichlid fishes via non-parallel routes)

Ich frage mich, ob dies nicht nur für belebte Materie gelten könnte? Ob es nicht, überspitzt gefragt, gar ein Naturgesetz geben könnte, dass Leben (und Bewusstsein) zwingend voraussetzt, sobald die Parameter passen?

Wie gesagt: Ich finde das Thema äußerst spannend und freue mich darüber, bald ansatzweise mehr darüber erfahren zu dürfen, was tote Materie dazu bewegt, ein Bewusstsein zu entwickeln - also, welchen Vorteil Atome und Moleküle davon haben :)
 
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Mahananda

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Hallo Dgoe, Ralf und Frank Specht,

Dgoe schrieb:
Vielleicht war das Translations-System selber noch nicht so ausgebildet, viel rudimentärer. Eben so, dass es mit der einen tRNA-Stammform ausgekommen ist. Im Laufe der Zeit wurden immer mehr Variationen als Komponenten beibehalten*, die ganz genau zu ausgebildeten Variationen bzw. Spezialisierungen der einen tRNA-Stammform passten.

Der Punkt ist aber dann, dass Translation mit nur einem tRNA-Molekül nicht spezifisch genug ist, um z.B. die Reproduktion von Proteinen zu bewerkstelligen, die dann evolvieren, um dann - in einem fortgeschrittenerem Stadium - in den Translationsprozess integriert werden zu können. Da die an der Translation beteiligten Proteine relativ späte Abzweigungen von Vorläuferproteinen sind (zumindest legt das die vergleichende Sequenzuntersuchung nahe), muss ein hinreichend genauer (wenn auch nicht so fein abgestimmter, wie heute) Translationsmechanismus vorhanden gewesen sein. Und der geht eben nur mit einer bereits vorhandenen Auswahl an tRNA-Varianten, die zuvor spontan entstanden sein mussten. Die Frage ist dann nur, wieso diese Aufspaltung erfolgte, obwohl die Verwendung in einem Translationssystem noch nicht gegeben war. Es muss also ein noch unbekannter selektiver Druck vorhanden gewesen sein, der die tRNA-Ursprungs-Population in mehrere Varietäten aufspalten ließ, die sich dann im Umfeld der RNA-Welt irgendwie etablierten, bevor sie dann in das Translationssystem involviert wurden.

ralfkannenberg schrieb:
Die Enceladus würde ich an dieser Stelle auch nicht von vornherein ausschliessen, und je mehr man von Ganymed erfährt, diesen auch nicht.

Du kannst sogar noch Titan hinzunehmen - allerdings nicht die methanbasierte Chemie auf der Oberfläche, sondern die unter der Eisdecke liegenden Schichten, die offenbar ebenfalls einen Ozean beherbergen. Allerdings denke ich, dass die Chancen für die Entstehung von Leben in einem unter Eis liegenden Ozean eher ungünstig sind, da das bei der Reaktion von z.B. Aminosäuren zu Peptiden entstehende Wasser nicht abgeleitet werden kann. Damit verschiebt sich das Reaktionsgleichgewicht in Richtung der Ausgangsstoffe, so dass Polymere gar nicht erst entstehen können. Ich bin da also sehr skeptisch.

Was jedoch sein kann, ist, dass über "Mikroben-verseuchte" Brocken, die im Verlauf eines Impakts von der Erde in den umgebenden Raum geschleudert wurden, die Nachbarplaneten (insbesondere Mars, aber vielleicht auch die oberen Wolkenschichten der Venus) und einige Monde, die habitable Bedingungen aufweisen, "infiziert" wurden und sich somit eine eigene - vielleicht auf einige Nischen begrenzte - Biosphäre entwickelt hat. Dieser Vorgang - und das als Antwort auf Deine Frage, Frank - ist als Transspermie bekannt, also die Ausbreitung von Mikroben innerhalb der Grenzen eines Planetensystems, nicht aber über interstellare Distanzen hinweg. Das wäre dann Panspermie, die ich jedoch wegen der zu geringen Erfolgs-Chancen nicht in Betracht ziehe.

Frank Specht schrieb:
Ob es nicht, überspitzt gefragt, gar ein Naturgesetz geben könnte, dass Leben (und Bewusstsein) zwingend voraussetzt, sobald die Parameter passen?

Das ist eine interessante Frage. Ich denke, die Emergenz von Leben bzw. Bewusstsein erfolgt zwingend, nachdem ein gewisses Level an Komplexität eine (spezifische) Art und Weise der Organisation der damit verbundenen Prozesse hervorgebracht hat. Das eigentliche Problem liegt dann darin, ob solche Organisationsformen zwingend aus Komplexität hervorgehen oder nicht. Koonin meint, dass hier eine anthropische Auslese stattgefunden hat, also lediglich aus der Retrospektive ableitbar, nicht aber a priori aus den dieser Auslese zugrundeliegenden Naturgesetzen. Leben bzw. Bewusstsein (hier gemeint: nach Art des menschlichen Bewusstseins) wären dann reine Kann-Bestimmungen, aber keine Muss-Folgen, die den Naturgesetzen irgendwie inhärent wären.

Viele Grüße!
 
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Dgoe

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Der Punkt ist aber dann, dass Translation mit nur einem tRNA-Molekül nicht spezifisch genug ist, um z.B. die Reproduktion von Proteinen zu bewerkstelligen, die dann evolvieren, um dann - in einem fortgeschrittenerem Stadium - in den Translationsprozess integriert werden zu können. Da die an der Translation beteiligten Proteine relativ späte Abzweigungen von Vorläuferproteinen sind (zumindest legt das die vergleichende Sequenzuntersuchung nahe), muss ein hinreichend genauer (wenn auch nicht so fein abgestimmter, wie heute) Translationsmechanismus vorhanden gewesen sein. Und der geht eben nur mit einer bereits vorhandenen Auswahl an tRNA-Varianten, die zuvor spontan entstanden sein mussten. Die Frage ist dann nur, wieso diese Aufspaltung erfolgte, obwohl die Verwendung in einem Translationssystem noch nicht gegeben war.
Hallo Mahananda,

wie Du Dir bestimmt denken wirst, habe ich meine Probleme zu folgen, bzw. den eh nur rudimentären Überblick zu behalten. Vom Kompass her sind wir immer noch beim Henne-Ei-Problem(-Paradox) - ganz leicht verlagert, auf dessen ursprünglichen Kern an sich. Netterweise zeigst Du es relativ gut allgemein verständlich auf.

dass Translation mit nur einem tRNA-Molekül nicht spezifisch genug ist
Wofür? Vielleicht hat es auch nur mit einem einzigen Protein begonnen, das für irgendetwas gut war, sich lohnte.

um z.B. die Reproduktion von Proteinen zu bewerkstelligen, die dann evolvieren
Ja Proteinen, Plural. Ein Händler verkauft am Anfang auch nur eine Ware (oder 2) beispielsweise, bevor er irgendwann Fabriken für zig Produkte aus dem Boden stampft - mit der Zwischenphase, die auf und ab ging... Solche Erfolgstories sind auch oft kaum erklärbar, wie durch ein Wunder - und meist unbeachtet derer, die auf ganz ähnliche Weise voll baden gegangen sind.

Den Rest des Zitats kann ich aktuell nicht näher untersuchen, aber ich denke da waren etlich Zwischenschritte vorhanden, hinterher ist man dann immer schlauer und fragt sich, warum ging es nicht gleich so!? Das dürfte sich über zig Banden und Ecken aufgeschaukelt haben, mit Rückschritten und so weiter, keine Ahnung (Fresse halten), aber so ungefähr eben...

Es muss also ein noch unbekannter selektiver Druck vorhanden gewesen sein, der die tRNA-Ursprungs-Population in mehrere Varietäten aufspalten ließ, die sich dann im Umfeld der RNA-Welt irgendwie etablierten, bevor sie dann in das Translationssystem involviert wurden.
Na eben, woher solcher Druck? Gab es nicht. Oder nicht so, wie man meinen könnte. Die darwinistische selektive Evolution wird auch in Deinem Artikel erst zu einem späteren Zeitpunkt aktiv. Zuvor ging es eben gemächlicher zu, was geht, was geht nicht, mal so, mal so.

Was treibt denn überhaupt das Prozedere an? Sicher - wie ich schon mal andeutete - kein Mini-Intelligenz-chen, sondern immer Notwendigkeiten aus gegebenen Umständen. Der zunehmenden Komplexität geschuldet, Entropie hin oder her.

Bevor sich das System verselbständigt hat (auf gegebenem 'Nährboden'), hat es sich eben nicht verselbstständigt, vielmehr versucht Wege zu finden die gangbar waren. Für meine Vorstellung hilft der Weg des geringsten Widerstandes. Allgemein in der Physik, dass alles Mögliche immer dauernd gerne Energie sparen will, dass ... (gefühlte tausende Beschreibungen dafür), Ihr wisst schon, was ich meine.

DAS ist der Motor, für meine Begriffe, der hinter allem steckt.

Gruß,
Dgoe
 
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Mahananda

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Hallo Dgoe,

Vielleicht hat es auch nur mit einem einzigen Protein begonnen, das für irgendetwas gut war, sich lohnte.

Aber dieses Protein müsste dann - um mit nur einer einzigen tRNA reproduzierbar zu sein - aus einer Abfolge von identischen Aminosäuren bestanden haben. Und Polymere, die nur aus einem Monomer bestehen, das mehrfach nacheinander abfolgt, sind z.B. vergleichbar mit Zellulosefasern, die ebenfalls nichts weiter sind als eine sehr lange Abfolge von Glucose-Molekülen. Mit solchen eintönigen Polymeren kann man, was Enzym-Eignung betrifft, nicht viel anfangen.

Eher zutreffend scheint mir zu sein, dass die ersten Proteine Zufallspolymere waren, wobei die Zufalls-Sequenzen eine gewisse Bandbreite an enzymatischen Reaktionen abdeckten. Das heißt, für jedes Zufalls-Protein bestand eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass es irgendwie auch nützlich war, wenn auch nicht im Rahmen eines rückgekoppelten Synthesezyklus', sondern eben je nach Syntheseort entsprechend der dort gerade vorliegenden Bedingungen. Entscheidend für die spätere Entwicklung war dabei, dass das Reaktionsnetzwerk als Gesamtsystem nicht kollabierte, sondern sich irgendwie durch die wechselnden Umweltbedingungen durchhangelte.

In diesem Kontext war es zwar möglich, dass durch Zufall eine RNA-Sorte entstand, die eine Aminosäure spezifisch an sich binden konnte, aber dies bot weder einen selektiven Vorteil noch einen Nachteil. Es hätten durch Zufall auch weitere solcher spezifisch bindenden RNA-Sorten entstehen können, aber dies ist offenbar nicht geschehen. Stattdessen spaltete sich der eine tRNA-Vorläufer auf in nunmehr 20 verschiedene Arten. Die Frage ist dann, wieso das vor der Entstehung der Translation stattfand, die ja den Selektionsdruck erst mit sich brachte, der diese Aufspaltung hätte nach sich ziehen können. Vor der Translation war die Aufspaltung des einen tRNA-Vorläufers ohne selektiven Wert. Wenn es bei der "Erfindung" der Translation mehrere solcher Vorläufer gegeben hätte, die spontan entstanden wären und jeweils verschiedene Aminosäuren gebunden hätten, gäbe es hier kein Paradoxon. Diese Vorläufer wären integriert worden und fertig (analog dazu die schon erwähnten zwei aaRS-Klassen - es ginge also!). So aber bleibt das Ganze zunächst rätselhaft.

Für meine Vorstellung hilft der Weg des geringsten Widerstandes.

Der geringste Widerstand wäre Kollaps ins chemische Gleichgewicht. Da es sich im Verlauf der Lebensentstehung aber um einen chemischen Nichtgleichgewichtszustand gehandelt hat, kommt der nicht in Frage ... ;)

Aber im Ernst: Natürlich konnten nur solche Wege beschritten werden, die durch das Fließgleichgewicht zugelassen wurden. Dass dabei im Verlauf der durch externen Energiezustrom beständig am Laufen gehaltenen chemischen Synthesen eine Reihe von Makromolekülen entstanden ist, ergibt sich als Notwendigkeit, sobald das Problem des anfallenden Reaktionswassers gelöst wird. Es entstehen also immer irgendwelche Polypeptide, weil Aminosäuren ein allfälliges Produkt abiogener Synthesen darstellen (Miller-Urey-Synthesen).

Mit RNA wird es schon schwieriger, weil spezieller. Man hat zwar vor fünf Jahren einen relativ einfachen und plausiblen Syntheseweg gefunden, der direkt ganze Nucleotide liefert, statt - wie vorher angenommen - die drei Einzelbestandteile mühsam und auf Umwegen miteinander kondensieren zu lassen (Sutherland u.a., 2009), aber insgesamt liegen die Dinge dennoch etwas komplizierter als bei Peptiden. Aber egal: Es ist ja offensichtlich RNA entstanden und diese hat sich gegenüber konkurrierenden Molekülarten durchgesetzt (Das ist übrigens ein Beispiel für "anthropische Selektion"!).

Was man aus den gangbaren und offenbar mit Notwendigkeit ablaufenden Polymer-Synthesen jedoch nicht a priori ableiten und mit einem bestimmten Wahrscheinlichkeitswert versehen kann, ist jedoch das Zustandekommen einer Kopplung zwischen der Reproduktion einer Polymerart und einer anderen Polymerart, wobei die Sequenz der einen Polymerart die Sequenz der anderen Polymerart eindeutig festlegt. Bei der Replikation von RNA ist das kein Problem: Das Prinzip der komplementären Basenpaarung (Adenin mit Uracil und Guanin mit Cytosin) sorgt hier für Eindeutigkeit in der Sequenz des kopierten Stranges.

Warum aber z.B. die Aminosäure Glycin u.a. über das Nucleotidtriplett GGG festgelegt wird, lässt sich aus der Struktur von Guanin nicht ableiten. Das ergibt erst "Sinn", wenn man die zugehörige tRNA mit dem Anticodon CCC mit in Betracht zieht. Und auch hier ergibt sich erst ein "Sinn", wenn man die Glycin-bindende aaRS berücksichtigt, die die Kopplung zwischen der Aminosäure und der tRNA bewerkstelligt. Doch selbst dieser "Sinn" erlangt noch keine "Bedeutung", wenn die Aminosäure nicht in einem Polypeptid mit Hilfe des Ribosoms eingebaut wird.

Die Dinge gestalten sich also erheblich komplexer und damit komplizierter, wenn man den rein chemischen Rahmen überschreitet und in Organisationsstrukturen vorstößt, die eher an Mechanik oder Maschinen erinnern als an reine Naturwissenschaft, auch wenn letztere natürlich die Basis alles weiteren ist. Wir haben es hier also mit einem echten Emergenz-Phänomen zu tun - also etwas Neues, das eine eigene Klasse von Wechselwirkungen darstellt - analog vielleicht zur Entstehung von Sprache und Schrift, die es möglich werden ließen, dass sich die menschliche Kultur von der Natur emanzipieren konnte (ohne freilich weiterhin auf die Natur als Basis angewiesen zu sein!).

Die große Frage ist nun, ob so etwas wiederholbar ist oder nicht. Damit meine ich nicht eine prinzipielle Wiederholbarkeit. Diese ist schon deshalb gegeben, weil es sich hier um natürliche Prozesse handelt, die abgelaufen sind. Wenn es gelingen kann, diese Prozesse exakt nachzustellen, kann man selbstverständlich Leben jederzeit neu synthetisch entstehen lassen. So weit sind wir zwar noch lange nicht, aber prinzipiell sehe ich da kein Problem, eher schon in der Erkenntnis, welche Prozesse es denn nun exakt sind. Die kann u.U. noch sehr lange dauern - eben weil die Begleitumstände sehr komplex gewesen sind. Die Frage ist eher, ob sich solche Bedingungen, die zum Entstehen des Lebens geführt haben, von selbst noch einmal einstellen oder ob es sich hierbei um die glückliche Verkettung sonst sehr unwahrscheinlicher Einzelursachen gehandelt hat, die sich spontan so nie wieder kombinieren.

Oder anders: Handelt es sich bei der Lebensentstehung um einen statistischen Prozess, der immer dann eintritt, wenn man einen Planeten mit Früherde-Eigenschaften (inklusive großen Mond) 1 Milliarde Jahre sich selbst überlässt, oder nicht? Wenn es sich um einen statistischen Prozess handelt, ist mit einer bestimmten Erwartungswahrscheinlichkeit zu rechnen. Wir können zwar aus den Naturgesetzen nicht ableiten, dass daraus mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit Translationsmechanismen entstehen, aber aus der Retrospektive lässt sich - genügend Beobachtungsdaten vorausgesetzt - ableiten, ob solche doch recht groben Voraussetzungen hinreichend sind, um Leben als notwendig entstehendes Begleitprodukt einer chemischen Evolution zu charakterisieren.

Das heißt, wir sind auf Beobachtungsdaten angewiesen, um die Frage nach Zufall oder Notwendigkeit der Lebensentstehung zu klären. Aus der Froschperspektive heraus lässt sich hierzu keine Entscheidung treffen, denn - wie oben ausgeführt - a priori ist da nichts zu machen. Translation übersteigt den Geltungsbereich der Chemie wegen der "sinnstiftenden" Mechanik, die den organisatorischen Kontext bereitstellt. Also können wir aus den reinen Naturwissenschaften nichts bezüglich irgendwelcher Wahrscheinlichkeiten ableiten. Mit der Inbetriebnahme des EELT (und hoffentlich noch weiterer Teleskop-Projekte mit nöch größerem Auflösungsvermögen) besteht erstmalig die Chance, die Atmosphären von erdgroßen Exoplaneten auf Biomarker zu untersuchen. Ein einziger positiver Befund brächte uns ein erhebliches Stück in der Erkenntnis unseres eigenen Ursprungs und unseres Stellenwerts im Universum voran, denn dann wäre u.a. auch Koonins Rechenexempel widerlegt ... ;)

Viele Grüße!

P.S.: Derzeit arbeite ich an einer Darstellung zum Modell von Wolf und Koonin zur Entstehung der Translation. Vielleicht schaffe ich es noch bis zum Wochenende.
 

Dgoe

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Es hätten durch Zufall auch weitere solcher spezifisch bindenden RNA-Sorten entstehen können, aber dies ist offenbar nicht geschehen. Stattdessen spaltete sich der eine tRNA-Vorläufer auf in nunmehr 20 verschiedene Arten.
Hallo Mahananda,

Mir ist natürlich klar, dass ich als Laie wohl kaum den richtigen Ansatz finden werde, geschweige denn das Paradox lösen. Scheint ja jedenfalls ein echter Brain-Teaser zu sein, der schon so manchem einige Kopfschmerzen bereitet haben dürfte.

Ich möchte mich auch nur auf naive Fragen beschränken, es so zu hinterfragen, dass mir wenigstens in Ansätzen die Problematik besser einleuchtet. Dazu habe ich vorerst nur obiges Zitat herausgepickt, aus der Fülle, die Du dankenswerterweise schon erläutert hast und die schon sehr konkret ist. Eine Frage hätte ich aber dennoch hierzu:
aber dies ist offenbar nicht geschehen
Ich nehme an, weil man man keine Spuren oder Relikte dieser Sorten mehr auffinden kann, während es bei den aaRS-Klassen nachvollziehbar ist.
Könnte es nicht dennoch jede Menge weiterer RNA-Sorten gegeben haben, die sich vielleicht ebenfalls (teilweise) zu verschiedenen Arten aufgespaltet haben, von denen aber allesamt heutzutage jegliche Spur fehlt? Letzteres vielleicht deswegen, weil die "Gewinnersorte" (die Heutige) alle Bestandteile längst 'verdaut' (verwendet, umgewandelt) hat? Gleichzeitig aus anderen Gründen dies bei aaRS eben nicht, so dass diese heute noch zurück rekonstruierbare Eigenschaften behalten haben?

Gruß,
Dgoe
 

Dgoe

Gesperrt
Der geringste Widerstand wäre Kollaps ins chemische Gleichgewicht. Da es sich im Verlauf der Lebensentstehung aber um einen chemischen Nichtgleichgewichtszustand gehandelt hat, kommt der nicht in Frage ... ;)
Ich gehe davon aus, dass der Weg ins chemische Gleichgewicht versperrt war, irgendwie nicht zugänglich, gangbar - zumindest in einer Historie. Ansonsten wäre er wohl grundsätzlich immer die erste Wahl. Vielleicht ist es auch auf manch anderem Planeten genau zu diesem Kollaps gekommen (vielleicht auf manchen auch nicht). Vielleicht ist es auf der Erde sogar mehrmals dazu gekommen, zeitlich und oder räumlich begrenzt. Einmal hat es jedenfalls nicht geklappt (der Kollaps), sonst würden wir nicht darüber sinnieren.

Gruß,
Dgoe

P.S.:
es muss für die ganzen 'Puzzleteile' irgendwie energetisch günstiger gewesen sein RNA, Translation und Hyperzyklus, etc. zu entwickeln, als es zu lassen.
 
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Mahananda

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Hallo Dgoe,

Ich nehme an, weil man man keine Spuren oder Relikte dieser Sorten mehr auffinden kann, während es bei den aaRS-Klassen nachvollziehbar ist.

Dann ergibt sich die Frage, warum das so ist - also bei tRNA keine Relikte, bei aaRS zwei Relikte. Ich fange mal bei letzteren an. Die beiden aaRS-Klassen sind erst nach der Entstehung der Translation entstanden. Es hat also offenbar zwei verschiedene Proteinmoleküle gegeben, die über Mutationen des entsprechenden Gens - also des RNA-Abschnitts (später des DNA-Abschnitts), der die Vorlage für die Translation stellt! - sich in je zehn Varianten aufgespalten wurden mit jeweils spezifischen Bindungseigenschaften für spezifische Aminosäuren.

Bevor es die aaRS gegeben hat, musste der Schritt der Beladung der tRNA mit Aminosäuren anders organisiert gewesen sein. Man vermutet, dass dies über Ribozyme geschah - möglicherweise konnten das sogar die Vorläufer der tRNA selbst (Selbstacylierung wurde in vitro bereits nachgewiesen - es ginge also!). Die beiden aaRS-Klassen sind also aus dem bestehenden Translationssystem ableitbar, da das Prinzip, dass sich Mutationen der Basensequenz im Genom auf die Peptidsequenz im Proteom auswirken, bereits realisiert war. Und da die Mutationsrate damals noch sehr hoch war (am Rand der Fehlerschwelle), weil ausgefeilte Korrekturmechanismen noch fehlten, evolvierten die beiden Ur-Klassen relativ rasch in eine größere und damit verwertbare Vielfalt, bis sie aufgrund der Optimierung der Fehlertoleranz konserviert wurden.

Dass sich zwei statt nur einer Klasse etablierten, ist eher ungewöhnlich in Anbetracht ihrer zentralen Funktion für den Basisprozess des Lebens. Eher wäre zu erwarten, dass eine einzelne Sequenzspezies zufällig geeignet gewesen ist und sich dann aufgespalten hätte, aber da es zwei Klassen sind, hat es offenbar mehrere solche Zufallsfunde parallel gegeben, von denen nach erfolgtem horizontalen Gentransfer zwei überdauert haben. Aber wie dem auch sei: All das ist nicht besonders überraschend oder gar rätselhaft, weil der nötige Mechanismus bereits dagewesen ist.

Ganz anders jedoch bei den tRNA's - Diese sind Adaptermoleküle, die sich spezifisch mit Aminosäuren binden. Da zu dem Zeitpunkt, als die Translation entstand, bereits eine Vielfalt an verschiedenen Aminosäuren über Adaptermoleküle bereitstehen mussten (anderenfalls wären keine Proteine entstanden, sondern nur aneinandergereihte identische Monomerketten - siehe #114!), mussten die Adaptermoleküle selbst ebenfalls eine entsprechende Vielfalt aufgewiesen haben. Anderenfalls hätten sie die benötigten Aminosäuren nicht spezifisch binden können. Es ist daher zu erwarten, dass für verschiedene Aminosäuren je eine verschiedene Vorläufer-tRNA vorhanden gewesen ist, die aus dem Gesamtpool an RNA-Molekülen hervorgegangen sind.

Das Problem ist nun, dass es noch keine Rückkopplung zwischen Genom und Proteom gegeben hat. Es war also beliebig, ob eine tRNA sich mit Glycin verbunden hat und eine ganz anders strukturierte mit Alanin. Es ist also gleichwertig, weil für die RNA-Welt neutral, ob eine einzige tRNA-Klasse für beide Aminosäuren bindet (wobei natürlich Sequenzunterschiede bestehen, um eine Spezifität zu gewährleisten!) oder ob es zwei verschiedene Klassen gibt. So kann man fortfahren und alle anderen Aminosäuren mit einbeziehen. Stets stößt man auf die Gleichwertigkeit von Uniformität und Multiplität der tRNA-Klassen. Bei zwei oder drei Aminosäuren ist das kein größeres Problem, weil die Chancen für die Uniformität immer noch recht groß sind. Aber je mehr Aminosäuren man einbezieht, um so höher steigt die Chance auf zwei oder mehr Klassen, die sich hätten manifestieren müssen, bevor die Translation in Gang kam. Und das ist der merkwürdige Befund, der sich aus dem Vergleich der tRNA-Sequenzen ergibt - es gab entgegen aller Wahrscheinlichkeit offenbar nur eine einzelne tRNA-Klasse, die die nötigen etwa zehn bis fünfzehn Aminosäuren lieferte!

Nun kann man argumentieren, dass verschiedene Klassen offenbar nicht gangbar gewesen sind, weil sie z.B. in die Struktur des Ribosoms nicht reinpassten. Das kann natürlich sein, aber das löst nicht das Dilemma, denn dann musste auf dem Wege des Zufalls so lange probiert werden, bis eben der unwahrscheinliche Zufall eingetreten ist, dass eine einzelne Klasse die nötige Vielfalt entwickelte. Und damit sind wir wieder bei der anthropischen Selektion angelangt: Leben als Verkettung jeweils sehr unwahrscheinlicher Zufälle, die sich - könnte man die Zeit zurückdrehen - so nicht noch einmal ereignen würden.

Einmal hat es jedenfalls nicht geklappt (der Kollaps), sonst würden wir nicht darüber sinnieren.

So ist es. :) Wir gelangen also wieder mal zum Schwachen Anthropischen Prinzip.

Viele Grüße!
 

Dgoe

Gesperrt
- es gab entgegen aller Wahrscheinlichkeit offenbar nur eine einzelne tRNA-Klasse, die die nötigen etwa zehn bis fünfzehn Aminosäuren lieferte!
Hallo Mahananda,

ein Teil meiner Frage war aber, woher dieses Wörtchen 'offenbar' rührt? Was ist, wenn es Etliche gab, nur die Anderen verschwunden sind? Der Vergleich mit aaRS hinkt ja etwas, weil - wie Du selber sagst - sie definitiv nach der Translation erst entstanden sind.

Gruß,
Dgoe
 

Mahananda

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Hallo Dgoe,

Was ist, wenn es Etliche gab, nur die Anderen verschwunden sind?

Wie hätten sie verschwinden können, nachdem sie einmal in das System integriert worden sind? Bei den aaRS wurden beide Arten integriert, weil sich beide als gleich gut erwiesen haben und weil dadurch eine größere Vielfalt an Aminosäuren verfügbar wurde. Bei den tRNA's musste die gleiche Vielfalt abgedeckt werden. Wären mehrere Klassen daran beteiligt gewesen, würde man das an Strukturunterschieden bemerken. Weiterhin: Die aaRS sind ja deshalb so spezifisch, weil sie mit der Form des tRNA-Moleküls passgenau binden. Also muss zum Zeitpunkt der Entstehung der aaRS die Standardform der tRNA bereits vorgelegen haben. Auch das spricht dafür, dass die uniforme Variante an tRNA schon sehr früh vorgelegen haben muss.

Viele Grüße!
 

Dgoe

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Wie hätten sie verschwinden können, nachdem sie einmal in das System integriert worden sind?

Hallo Mahananda,

nun, sie sind eben nicht in das System integriert worden, weil sie selber angehende Systeme waren und mit dem einen konkurrierten, welches sich durchsetzte. Und sind dann vernascht worden - aufgefressen, sozusagen, verwertete Einzelteile...

Naja, schätze mal, das ist zu kurz gedacht.

Gruß,
Dgoe
 
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