Hallo Dgoe,
Es ist also im Grunde tatsächlich noch immer das Henne-Ei-Problem vom Prinzip, richtig?
Ja, genau.
Ist der Kenntnisstand einfach noch nicht ausreichend, oder ist er es durchaus, nur man ist mit einem echten Problem konfrontiert?
Es scheint, ein echtes Problem zu sein, dass sich in der Abfolge, die abgelaufen sein muss, vielleicht relativ detailgenau rekonstruieren lässt (Beispielsweise müssen die Vorläufer der heutigen mRNA's tatsächlich irgendwie eine gestreckte Form besessen haben, was aber andererseits wieder problematisch ist, da RNA-Stränge dazu neigen, sich zu verknäulen, so dass sie eigentlich so ähnlich aussehen müssten wie die heutigen tRNA's, also mit Schleifen und Doppelstrang-Abschnitten), aber - da es sich offenbar um Verkettungen von Zufallsereignissen handelte - schwer bis gar nicht im Labor nachstellbar ist.
Fehlt uns die nötige Phantasie, oder die Simulationskapazität, oder die Experimentiervoraussetzungen?
Ich denke, das Problem ist von so komplexer Natur, dass wir mit vereinfachten Versuchsansätzen hier nicht sehr weit kommen werden. Möglicherweise - aber das ist jetzt eine Spekulation von mir - spielt hier die Chaostheorie mit hinein, also: Geringe Variationen in den Ausgangsbedingungen führen zu völlig verschiedenen Zwischenstufen, die ihrerseits infolge ihrer Variabilität das Endresultat gänzlich unbestimmbar werden lassen - also eine Art Analogie zum Verlauf der biologischen Evolution, wo man auch nicht vorhersagen kann, wann welcher Selektionsdruck einsetzt, der bei gegebenem Ausgangsmaterial zu verschiedenen Anpassungsleistungen führt.
Fehlt uns dazu noch mehr Detailwissen?
Mehr Detailwissen kann nie schaden ...
Aber ich denke, ein noch Mehr an Detailwissen führt zwar zu einer immer genaueren Rekonstruktion der abgelaufenen Vorgänge, ermöglicht uns aber andererseits nicht die Neukonstruktion neuen Lebens auf der Basis einer im Labor nachgestellten chemischen Evolution, weil die allgegenwärtigen Zufallsfluktuationen das Ganze unabsehbar werden lassen. Falls also wirklich einmal künstlich Leben im Labor erschaffen werden sollte (woran ich allerdings nicht glaube), dann können wir die abgelaufenen Prozesse bestenfalls rekonstruieren, aber nicht gezielt reproduzieren, indem man einen identischen neuen Versuchsansatz herstellt.
Glaubt man, dass es durch Beheben dieses Mankos später möglich wird, oder glaubt man, man weiß schon genug, um zu funken: "Houston, wir haben ein Problem."?
Es ist ein weites Forschungsfeld, wo man vermutlich niemals sagen wird, wir wüssten genug, um abschließend zu urteilen. Ich denke, man wird weiter daran arbeiten a) die Prozesse zu rekonstruieren und b) Teilprozesse experimentell zu testen bzw. zu simulieren. Wenn im Zuge dieser Bemühungen herauskommen sollte, dass man eine Lebensentstehung im Labor komplett hat ablaufen lassen, ist man einen großen Schritt weiter, um daraus allgemeine Prinzipien ableiten zu können. Die große Frage ist dann, ob sich auf der Basis dieser allgemeinen Prinzipien Experimente planen lassen, die die spontane Lebensentstehung wiederholbar werden lassen (auch wenn jede einzelne Lebensentstehung für sich genommen einmalig und unwiederholbar sein dürfte - siehe oben!). Ich bin dabei sehr skeptisch, aber falls so etwas irgendwann möglich sein sollte, liegt noch ein sehr weiter Weg vor uns, den man beschreiten wird - schon um der Neugier willen, herauszufinden, ob es so einen Weg überhaupt gibt.
Viele Grüße!