Titius-Bode-Reihe
Die Titius-Bode-Reihe kann als einer der ersten Versuche bewertet werden, die Mindestabstände zwischen den Planeten, die für ein langfristig stabiles Planetensystem benötigt werden, quasi-empirisch zu ermitteln.
Das war aber eigentlich gar nicht der Sinn dieser Unternehmung, weder der Titius-Reihe, noch der Bode-Reihe, die auf der von Titius beruht. Chaos und Stabilität waren im 18. Jhdt., als beide Regeln formuliert wurden, noch kein Bestandteil der astronomischen Forschung, sondern eher "Ordnung". Und hier stehen sie in der historischen Nachfolge des berühmten harmonischen Zahlengesetzes von Keppler, der die Abstände der damals bekannten sechs 'klassischen' Planeten auf die Trennung durch die von regelmäßigen Vielecken begrenzten 'Platonischen Körper' erklärt haben wollte (-> Mysterium Cosmographicum).
Die (zusammengefasste) Titius-Bode-Reihe ist nach heutigem Verständnis weder eine Folge eines physikalischen
Entstehungsgesetzes noch ein empirisches Gesetz, im besten Fall eine Näherung für eine Momentaufnahme in der dynamischen
Entwicklung unseres Sonnensystems.
Wie Bynaus bereits anführte, passt die Titius-Bode-Reihe auch nicht wirklich auf die realen Abstände. Im übrigen funktioniert sie auch nur in dieser Näherung aufgrund einiger Konstruktionsprinzipien und bereits anfänglich vorgenommen Ausnahmeregelungen. So wurde für ihre allgemeine Form: Rn = 4 + 3 * 2^n (mit R für Radius des jeweils betrachteten n-ten Planeten) festgelegt, dass erst ab der Erde nach außen n mit 1 beginnt (Mars = 2, Lücke des Asteroidengürtels = 3, usw.). Für Venus wurde n = 0 und für Merkur n = -∞ [unendlich] festgelegt, damit die Reihe passte! Insofern qualifiziere ich diese Regel als quasi-empirisch - mehr als ein unvollkommener
Merksatz bleibt nicht, zumindest in der konkreten Form!
Woher kommt also die anhaltende Faszination der Titius-Bode-Reihe? Wahrscheinlich weil das Sonnensystem eben doch so wohlgeordnet erscheint! Und weil die Reihe eben so schön (mit den zugrunde gelegten Ausnahmen) passt, zumindest für die wichtigsten Planeten. Aber eine solche Zahlenreihe bekommt man immer hin, sie ist Ausfluss ihres Konstruktionsprinzips und dem in der Tat vorhandenen exponentiellen Faktor, dessen Ursache physikalischer Natur ist. Daher kann Kosmos auch eine Gleichartigkeit der Kurven zwischen Planetenabständen und den Mondabständen der 'kleinen' Sonnensysteme bei Jupiter und Saturn feststellen.
Nach dem momentanen Stand der Forschung stellt sich die 'Ordnung' eines planetaren Systems nicht als Ergebnis seiner Entstehung dar, sondern als Momentaufnahme seiner dynamischen Entwicklung. Um Günther Wuchterl zu zitieren: "Die Täler und ihre Formen sind nicht der Ausdruck eines fundamentalen Naturgesetzes der Bergentstehung, sondern die Konsequenz der Tatsache, dass die Berge nicht ewig sind...". In Analogie zur Geologie wirken auch in der Entwicklung planetarer Systeme Errosionsprozesse, die auf der gravitativen Wechselwirkung der Planeten beruhen. Planeten überdauern langfristig nur dann in stabilen Orbits, wenn sie sich der 'gravitativen Errosion' entziehen können: 'nur die Harten bleiben im Garten', der Rest wird rausgekickt oder kollidiert!
D.h. für unser Sonnensystem, aber auch für die extrasolaren Systeme, dass am Anfang eine Vielzahl von Planeten gebildet werden können oder nicht (z.B. wenn ein Jupiter nach Vollendung dominiert -> Asteroidengürtel). Es ist eine Frage der gravitativen Interaktion, wieviele letztlich bleiben und stabile Bahnen einnehmen!
Wie kommt da jetzt die Titius-Bode-Reihe wieder ins Spiel? Nun ja: die Frage ist schließlich, wie kommt diese gravitative Interaktion zustande. Die Stabilität von Planetenbahnen läßt sich bekanntlich nur als Zweikörperproblem wirklich bestimmen, entscheidenden Fortschritt brachte die iterative Störungsrechnung, die auf Laplace zurück geht. Aber das Mehrkörperproblem ist nicht wirklich auflösbar. Das geht nur über numerische Simulationen und zum Glück gibt es mittlerweile die Rechnnerkapazitäten für den Zeitraum Anfang-Ende des solaren Systems. In diese Simulationen muss man Anfangsparameter einführen, und die sollten theoretisch fundiert sein. Hier sollte das Stichwort 'Hill-Sphäre' einfallen. Die Hill-Sphäre ist der abgrenzbare 3D-Raum, indem der gravitative Einfluss eines Körpers über den anderen dominiert. Bereits seit Lagrange ist bekannt, dass es in der Geometrie des Sonnensystems für jeden Körper mehrere Punkte gibt, in der sich die gravitativen Einflüsse aufheben. Das sind die sog. Lagrange-Punkte, in denen bevorzugt manche Space-Missions abgelegt werden (SOHO, Spitzer, demnächst JWST, TPF, Darwin u.a.). Die Ausdehnung der Hill-Sphäre eines Körpers im Sol-System ist in guter Näherung aus dem klassischen Newtonschen Gravitationsgesetzt ableitbar, nachdem die Gravitationskraft zwischen zwei Körpern umgekehrt proportional zum Quadrat ihrer gegenseitigen Distanz ist. Daraus folgt auch, dass die Hill-Sphäre eines Planeten umso größer ist, je weiter er von der Sonne als stärkstem gravitativen Attraktor unseres Systems entfernt ist. Das führt dazu, dass z.B. die Hill-Sphäre Plutos ~ 6mal größer ist als die der Erde, und für das Gesamtsystem bedeutender, die des Neptun ~ doppelt so groß ist wie die Hill-Sphäre des Jupiter. Im Sinne "guter planetarer Nachbarschaft" (Wuchterl) sind stabile Orbits dauerhaft im System verbleibender Planeten nur dann gewährleistet (bzw. numerisch simulierbar), wenn sich die Hill-Sphären der Planeten nicht überlappen, geschätzt wird sogar ein Mindestabstand von 2-15 Radien der Hill-Sphären, damit es nicht zu einer letalen gravitativen Interaktion kommt!
Damit dürfte auch klar sein, warum sich sowohl die Distanzen der Planeten zur Sonne, aber auch die Distanzen der Monde in den Systemen der großen Gasplaneten als exponentiell ansteigende Kurve darstellen lassen (@ Kosmos). In beiden Systemen sorgen die größer werden Hillsphären der weiter außen umlaufenden Begleiter für eine gravitative Errosion ggf. anfänglich vorhandener weiterer Orbitalkörper.
Die Dynamik dieses Systems mag noch nicht völlig verstanden sein, aber die darauf beruhenden numerischen Simulationen haben herausgearbeitet, dass jenseits von 40-42 AU ein potentiell stabiler Bereich für weitere Körper besteht, und dort werden seit ein paar Jahren auch die großen TNOs identifiziert!
Das Prinzip der Hill-Sphären wird auch auf die extrasolaren Planetensysteme übertragen. Sofern Systeme mit mehreren Planeten identifiziert wurden, ist die Überprüfung auf überlappende Hill-Sphären ein wesentliches Element, um die Zuverlässigkeit der 'discoveries' zu prüfen. Und eine neue Titius-Bode-Reihe ist für diese Systeme als reine Zahlenspielerei dann wirklich entbehrlich!
Abschließend nochmal Günther Wuchterl: "Das Sonnensystem ist nicht stabil - es ist nur alt!"
Die Zitate von Wuchterl stammen übrigens aus einem ausgezeichneten Überblicksartikel, dem ich hier vieles entlehnt habe. Der Artikel ist in einem Dossier-Heft von Sterne und Weltraum verfügbar und wiederum eine Zusammenfassung aus den SuW-Ausgaben 6 und 12 von 2002.
http://www.wissenschaft-online.de/artikel/762768&template=d_sonderhefte_detail