Relativitätstheorie - eine Frage

ralfkannenberg

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Hallo Julian,

das ist ein sehr schönes und vor allem auch einfach verständliches Argument:

Julian Apostata auf Mahag schrieb:
Weil dann hätte man auf dem Weg von Erdmitte zu Nordpol mehr Arbeit, als von Erdmitte zu Äquator(zentrifugalkraft erleichtert Arbeit). Das heißt, dann verginge am Nordpol die Zeit schneller.

Je höher die Uhr, desto mehr Arbeit hat man, sie nach oben zu bringen. Deshalb muss man ja die höheren Atomuhren ständig auf Meeresniveautakt runter korrigieren.


Besten Dank und freundliche Grüsse, Ralf
 

TomS

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Ich möchte nochmal an den letzten Beitrag zur Berechnung der Zeitdilatation anknüpfen. Dort hatten wir zuletzt das Integral


$$\tau = \int_{t_a}^{t_b} dt\sqrt{g_{00} + g_{ii}\,(v^i)^2}$$


hergeleitet. Im folgenden werde ich dies für die Schwarzschildgeometrie in Schwarzschildkoordinaten betrachten. Bitte unterscheidet hier "Geometrie" und "Koordinaten". Letztere stellen eines von vielen möglichen Koordinatensystemen für die selbe Raumzeit bzw. Geometrie dar.


Zumeist wird nicht die Metrik angegeben, sondern bereits das Linienelement, hier in der Form


$$d\tau^2 = f(r)\,dt^2 - f^{-1}(r)\,dr^2 - r^2\,d\Omega^2$$


d.h. man kann die obige Form des Integranden direkt ablesen:


$$d\tau = dt\sqrt{f(r) - f^{-1}(r)\,\dot{r}^2 - r^2\,\dot{\Omega}^2}$$


wobei man unmittelbar die Radial- und die Winkelgeschwindigkeit erkennen kann.


Die Funktion f(r) hat die Form


$$f(r) = 1 - \frac{2GM}{r}$$




0) Für M=0 erhält man f=1 und damit sofort die flache Minkowskigeometrie in sphärischen Koordinaten.




1) Im folgenden werde ich tangentiale Bewegungen mit dr=0 betrachten; außerdem werde ich mich auf Bewegungen entlang des "Äquators" beschränken. Damit vereinfacht sich der o.g. Ausdruck zu


$$d\tau = dt\sqrt{f(r) - r^2\,\dot{\phi}^2} = dt\sqrt{f(r) - v^2}$$


wobei ich die Bahngeschwindigkeit v eingeführt habe.




2) Die Bedeutung der Koordinaten t und r erkennt man, wenn man v=0 setzt und für r den Grenzübergang gegen Unendlich durchführt; letzteres führt auf


$$\text{lim}_{r \to \infty} f(r) = 1$$


und damit


$$d\tau_{r\to\infty, v=0} = dt$$


D.h. t entspricht der Eigenzeit eines ruhenden Beobachters im Unendlichen. Für Betrachtungen bei endlichem r ist t also eine unphysikalische Hilfsgröße, die in keiner beobachtbaren Größe (Messgröße, Observable) auftreten darf bzw. immer eliminiert werden kann.




3) Betrachten wir nun eine Bahnkurve C bei endlichem, konstanten r, die mit konstanter Geschwindigkeit v durchlaufen wird. Der ruhende Schwarzschildbeobachter im Unendlichen beobachtet ein Durchlaufen von C in "seiner" Zeit T. Damit folgt


$$\tau_C = \int_C d\tau = \int_0^T dt\sqrt{f(r) - v^2} = \sqrt{f(r) - v^2}\,T$$


Für verschiedene Beobachter i mit unterschiedlichen Bahnkurven C_i (bei endlichen Radien r_i und mit Geschwindigkeiten v_i) gilt


$$\tau_i = \sqrt{f(r_i) - v_i^2}\,T$$


f(r) bzw. M ist für die gravitative Zeitdilatation verantwortlich, v für die kinematische.


Die unphysikalische, nicht messbare Koordinatenzeit T fällt bei Quotientenbildung heraus:


$$\frac{\tau_1}{\tau_2} = \sqrt{\frac{f(r_1) - v_1^2}{f(r_2) - v_2^2}}$$


Dies ist die Formel für die Zeitdilatation zweier Beobachter i = 1,2 im Schwerefeld (bei unterschiedlichen, jeweils festen Abständen sowie Geschwindigkeiten).


Mit dieser Formel kann man die Zeitdilatation für verschiedene Satelliten sowie Beobachter auf der Erde analysieren. Wichtig dabei ist, dass die Geschwindigkeit für den Beobachter auf der Erde nicht Null ist, da er aus Sicht des ruhenden Schwarzschildbeobachters mit der Erde mitrotiert (einmal in 24 Stunden).




4) Für M=0 folgt mit f=1 sofort das Verhältnis der beiden aus der SRT bekannten Lorentzfaktoren. Für v=0 und M>0 erhält man die rein gravitative Zeitdilatation.




5) Offensichtlich sind die beiden Effekte nicht additiv. Man erhält jedoch mittels einer Näherung eine Formel, in der diese tatsächlich additiv auftreten. Zunächst führe ich eine Größe x ein:


$$f(r) - v^2 = 1 - \frac{2GM}{r} - v^2 = 1 - x$$


Für x<<1 folgt in linearer Näherung


$$\tau_i = \sqrt{f(r_i) - v_i^2}\,T = \sqrt{1 - x_i}\,T \simeq (1 - x_i/2)\,T$$


Differenzbildung eliminiert T und es verbleibt eine Differenz in x_i, die die beiden Effekte linear additiv enthält. Man beachte jedoch, dass dies nur in der betrachteten Näherung x<<1 und unter Benutzung der Schwarzschildzeit T gilt. Die Näherung x<<1 gilt für "schwache Gravitationsfelder" sowie kleine Geschwindigkeiten, also z.B. erdgebundene Satelliten, sicher jedoch nicht ultrarelativistisch bewegte Objekte nahe des Ereignishorizontes eines schwarzen Lochs.
 

julian apostata

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Weil mich inzwischen leichte Selbstzweifel befallen haben, bezüglich meiner Rechnung, die ich hier präsentiert habe...

http://www.mahag.com/neufor/viewtopic.php?f=6&t=535#p91079

...möchte ich sie hier nochmal bringen.

Ruhendes Elektron. Ein stromführender Leiter zieht mit der Geschwindigkeit v vorbei. Die Leiterelektronen haben die Geschwindigkeit u.

Zur Ermittlung der Elektronendichte im System des ruhenden Elektrons muss ich erst mal die relativistische Geschwindigkeitsaddition anwenden, um den Verkürzungsfaktor zu erhalten.

$$v\oplus u=\frac{v+u}{1+v\cdot u/c^2}\rightarrow \sqrt{1-(v\oplus u)/c^2}=\frac{\sqrt{1-v^2/c^2}\cdot \sqrt{1-u^2/c^2}}{1+v\cdot u/c^2}$$

Jetzt muss ich allerdings berücksichtigen, dass die Elektronen dadurch, dass sie sich in Bewegung gesetzt haben, ihren Abstand schon um den Faktor 1/sqrt(1-u²/c²) vergrößert haben, so dass sich dieser Faktor in obiger Gleichung wieder raus kürzt.

Zur Ermittlung der Ladungsdichte muss ich nur noch den Bruch stürzen.

Und die Ladungsdichte der Ionen ist dann 1/sqrt(1-v²/c²)

Um den Unterschied von positiver und negativer Ladung zu ermitteln, braucht es dann nur noch eine Subtraktion.

$$\delta_+-\delta_-=-\frac{v\cdot u/c^2}{\sqrt{1-v^2/c^2}}$$

Aber kann das stimmen? Sollte die Magnetfeldstärke eines stromführenden Drahtes nicht proportional zu v*u sein und nicht zu v*u/sqrt(1-v²/c²)?
 

julian apostata

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Okay, ich hab's. Auf Seite 8 steht's doch!

http://www.physik.uni-wuerzburg.de/einfuehrung/SS06/21 Elektromagnetismus und Relativitaet.pdf

Tatsächlich ist ja die Kraft, die auf das Elektron einwirkt im Elektronensystem ein wenig größer, als im Leitersystem. Macht aber nix. Der Transversalimpuls muss in beiden Systemen der Gleiche sein. (S'=Elektronensystem)

$$F'\cdot\Delta t'=\frac{F}{\sqrt{1-v^2/c^2}}\cdot\Delta t\cdot \sqrt{1-v^2/c^2}=F\cdot\Delta t$$

@Bernhard

Ruhendes Elektron, bewegter Leiter. Sobald sich die Elektronen im Leiter in Bewegung gesetzt haben, vergrößert sich der Abstand der Elektronen untereinander...

http://de.wikipedia.org/wiki/Ehrenfestsches_Paradoxon

Ihr gegenseitiger Abstand auf der gleich groß bleibenden Scheibe wird folglich größer werden. Dies ist analog zum Bellschen Raumschiffparadoxon: Wären einige Raumschiffe kreisförmig angeordnet und mit Seilen miteinander verbunden und würden aus Sicht des Laborsystems die Raumschiffe gleichzeitig beschleunigt werden, dann würden sowohl Raumschiffe als auch die Seile der Längenkontraktion und diversen Deformationen unterworfen sein. Die Raumschiffe würden aufgrund ihrer größeren Widerstandsfähigkeit diesen Deformationen widerstehen und nur der Längenkontraktion unterworfen sein. Hingegen die Seile würden durch die Deformationen reißen oder zumindest gedehnt werden, sodass der Umfang des Raumschiff-Seil-Kreises gleich bliebe. Also ist die ursprüngliche Vorstellung Ehrenfests, dass aus Sicht eines Laborsystems bei gleichbleibendem Radius der gesamte Umfang kontrahiert, im Rahmen der Relativitätstheorie nicht möglich


...während er im Laborsystem (wo das Testelektron ruht) wieder um den selben Faktor kontrahiert erscheint. Ist klar, muss auch so sein. Auf das Testelektron darf ja keine Kraft wirken, solange der Leiter ruht.

Sobald wir aber den Leiter in Bewegung setzen, ändern sowohl Ionen und Elektronen wieder ihren Abstand untereinander. Und damit ändern sich auch ihre Ladungsdichten. Und je größer die Differenz der Ladungsdichten ist, desto größser auch die Kraft , die auf das Testelektron wirkt.

Und tatsächlich ist diese Kraft im System des Testelektrons proportional zu v*u/sqrt(1-v²/c²) und im Leitersystem proportional zu v*u

Alles klar? Oder soll ich die Rechnung nochmal ausführlicher vorführen?
 
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