Ich möchte nochmal an den letzten Beitrag zur Berechnung der Zeitdilatation anknüpfen. Dort hatten wir zuletzt das Integral
$$\tau = \int_{t_a}^{t_b} dt\sqrt{g_{00} + g_{ii}\,(v^i)^2}$$
hergeleitet. Im folgenden werde ich dies für die Schwarzschildgeometrie in Schwarzschildkoordinaten betrachten. Bitte unterscheidet hier "Geometrie" und "Koordinaten". Letztere stellen eines von vielen möglichen Koordinatensystemen für die selbe Raumzeit bzw. Geometrie dar.
Zumeist wird nicht die Metrik angegeben, sondern bereits das Linienelement, hier in der Form
$$d\tau^2 = f(r)\,dt^2 - f^{-1}(r)\,dr^2 - r^2\,d\Omega^2$$
d.h. man kann die obige Form des Integranden direkt ablesen:
$$d\tau = dt\sqrt{f(r) - f^{-1}(r)\,\dot{r}^2 - r^2\,\dot{\Omega}^2}$$
wobei man unmittelbar die Radial- und die Winkelgeschwindigkeit erkennen kann.
Die Funktion f(r) hat die Form
$$f(r) = 1 - \frac{2GM}{r}$$
0) Für M=0 erhält man f=1 und damit sofort die flache Minkowskigeometrie in sphärischen Koordinaten.
1) Im folgenden werde ich tangentiale Bewegungen mit dr=0 betrachten; außerdem werde ich mich auf Bewegungen entlang des "Äquators" beschränken. Damit vereinfacht sich der o.g. Ausdruck zu
$$d\tau = dt\sqrt{f(r) - r^2\,\dot{\phi}^2} = dt\sqrt{f(r) - v^2}$$
wobei ich die Bahngeschwindigkeit v eingeführt habe.
2) Die Bedeutung der Koordinaten t und r erkennt man, wenn man v=0 setzt und für r den Grenzübergang gegen Unendlich durchführt; letzteres führt auf
$$\text{lim}_{r \to \infty} f(r) = 1$$
und damit
$$d\tau_{r\to\infty, v=0} = dt$$
D.h. t entspricht der Eigenzeit eines ruhenden Beobachters im Unendlichen. Für Betrachtungen bei endlichem r ist t also eine unphysikalische Hilfsgröße, die in keiner beobachtbaren Größe (Messgröße, Observable) auftreten darf bzw. immer eliminiert werden kann.
3) Betrachten wir nun eine Bahnkurve C bei endlichem, konstanten r, die mit konstanter Geschwindigkeit v durchlaufen wird. Der ruhende Schwarzschildbeobachter im Unendlichen beobachtet ein Durchlaufen von C in "seiner" Zeit T. Damit folgt
$$\tau_C = \int_C d\tau = \int_0^T dt\sqrt{f(r) - v^2} = \sqrt{f(r) - v^2}\,T$$
Für verschiedene Beobachter i mit unterschiedlichen Bahnkurven C_i (bei endlichen Radien r_i und mit Geschwindigkeiten v_i) gilt
$$\tau_i = \sqrt{f(r_i) - v_i^2}\,T$$
f(r) bzw. M ist für die gravitative Zeitdilatation verantwortlich, v für die kinematische.
Die unphysikalische, nicht messbare Koordinatenzeit T fällt bei Quotientenbildung heraus:
$$\frac{\tau_1}{\tau_2} = \sqrt{\frac{f(r_1) - v_1^2}{f(r_2) - v_2^2}}$$
Dies ist die Formel für die Zeitdilatation zweier Beobachter i = 1,2 im Schwerefeld (bei unterschiedlichen, jeweils festen Abständen sowie Geschwindigkeiten).
Mit dieser Formel kann man die Zeitdilatation für verschiedene Satelliten sowie Beobachter auf der Erde analysieren. Wichtig dabei ist, dass die Geschwindigkeit für den Beobachter auf der Erde nicht Null ist, da er aus Sicht des ruhenden Schwarzschildbeobachters mit der Erde mitrotiert (einmal in 24 Stunden).
4) Für M=0 folgt mit f=1 sofort das Verhältnis der beiden aus der SRT bekannten Lorentzfaktoren. Für v=0 und M>0 erhält man die rein gravitative Zeitdilatation.
5) Offensichtlich sind die beiden Effekte nicht additiv. Man erhält jedoch mittels einer Näherung eine Formel, in der diese tatsächlich additiv auftreten. Zunächst führe ich eine Größe x ein:
$$f(r) - v^2 = 1 - \frac{2GM}{r} - v^2 = 1 - x$$
Für x<<1 folgt in linearer Näherung
$$\tau_i = \sqrt{f(r_i) - v_i^2}\,T = \sqrt{1 - x_i}\,T \simeq (1 - x_i/2)\,T$$
Differenzbildung eliminiert T und es verbleibt eine Differenz in x_i, die die beiden Effekte linear additiv enthält. Man beachte jedoch, dass dies nur in der betrachteten Näherung x<<1 und unter Benutzung der Schwarzschildzeit T gilt. Die Näherung x<<1 gilt für "schwache Gravitationsfelder" sowie kleine Geschwindigkeiten, also z.B. erdgebundene Satelliten, sicher jedoch nicht ultrarelativistisch bewegte Objekte nahe des Ereignishorizontes eines schwarzen Lochs.