"Feuchte Erden" statt Ozeanplaneten?
Liebe Exoplanetenfreunde,
ich möchte noch mal auf die anfängliche Frage zurückkommen, welche Wasseranteile bei Exoplaneten zu erwarten sind (Stichwort "nur Wüsten- oder Wasserplaneten?") und dazu ein paar Überlegungen nach jüngsten Simulationen anstellen, die euch auch interessieren könnten. Nachfolgende Hinweise sind Teil meiner eigenen Berechnung habitabler Welten, womit ich euch ja schon früher genervt habe (ich habe vieles umgearbeitet seitdem, Literaturangaben sind komplett aufgeführt, sorry, dass ich hier nicht alle mit dem arXiv-Link verschicken kann). Folgendes bezieht sich nur auf zu erwartende Wasseranteile bei terrestrischen Exoplaneten im Radiusbereich von ca. 0,8 bis 1,5 Erdradien bzw. bis max. 2 oder 3 Erdmassen, zunächst um sonnenähnliche Sterne:
Nach den Simulationen von Raymond et al. (2007): „High-Resolution Simulations of the Final Assembly of Earth-Like Planets. 2. Water Delivery and Planetary Habitability” aggregiert jeder Planet im der hier relevanten Massebereich, der in einem dynamisch ruhigen Planetensystem mit einem Jupiter-ähnlichen (bzw. Neptun-ähnlichen) Riesenplaneten im äußeren System entsteht, mindestens so viel Wasser, wie zum gegenwärtigen Reservoire der Erde gehört (ca. 6 Mal so viel wie das Erd-Oberflächenwasser), die meisten um ein Vielfaches mehr. Zu beachten ist dabei, dass das angesammelte Wasserreservoire zu Beginn über einer Magma-Ozean-Oberfläche als Dampfatmosphäre mit einem hohen Wasserstoffanteil vorliegt, vgl. Erkaev et al. (2012): „XUV exposed non-hydrostatic hydrogen-rich upper asmospheres of terrestrial planets. Part I: Atmospheric expansion and thermal escape”, S. 5 f. Ein bedeutender Anteil des aus dem protoplanetarischen Nebel aggregierten, aus dem auskühlenden Magma-Ozean ausgegasten sowie durch nachträgliche Einschläge angesammelten Wasserdampfs wird jedoch durch die nachfolgende, einige hundert Mio. Jahre andauernde, extrem hohe Röntgen- und UV-Strahlung des jungen Zentralsterns dissoziiert (von anfänglich ca. 100 mal so hoch wie die unserer heutigen Sonne bis ca. 10 mal so hoch nach ca. 500 Mio. Jahren, vgl. Erkaev et al. (2012), S. 9). Zusammen mit dem übrigen Wasserstoff der dichten Protoatmosphäre können davon nach der Studie von Erkaev et al. (2012) im Verlauf der ersten ca. 100 Mio. bis 4,5 Mrd. Jahre durch hydrodynamische Prozesse („blow off“: die thermale Energie in der oberen Atmosphäre übersteigt die Gravitationsenergie am Boden) bei einem erdähnlichen Planeten in der habitablen Zone ca. 4,5 oder 5 bis 11 Erdozeane Wasserstoff verloren gehen (eher 5, unter Berücksichtigung kühlender Gase), bei größeren Supererden weniger, ca. 1,5 bis 6,7 Erdozean-Äquivalente Wasserstoff (eher 1,5, vgl. S. 26 und 30). Gehen wir davon aus, dass auch nach Abkühlung des Magma-Ozeans und dem Kollaps der superkritischen Dampfatmosphäre in einen Wasserozean nach den ersten paar 10 Mio. Jahren nach Abschluss der Planetenbildung ein großer Anteil des Wassers als atmosphärischer Dampf vorliegt, und wenden diese Verlustrate darauf an, so fallen von den 15 wasserreichen simulierten Planeten von Raymond et al. (2007), S. 70 zwei heraus, so dass bei einem Massespektrum von 0,4 bis 2,6Erdmassen ein Anteil von 86,6 % Planetenkandidaten mit mind. 20 % Wasserreservoire bis hin zu einem globalen Ozean verbleibt; berücksichtigt man nur Massen knapp unter 1 bis knapp über 2 Erdmassen, dann ist es einer von 9, sodass 90 % verbleiben.
Noch höher ist (neben der Menge mit Mg-reichen Silikaten sowie metallischem Fe, also mit erdähnlicher Zusammensetzung) der Wassergehalt nach neueren Simulationen von Bond/O’Brien/Raymond (2012): „The Compositional Diversity of Extrasolar Terrestrial Planets: II. Migration Simulations“, welche zusätzlich die Wanderung eines jupiterähnlichen Gasriesen von 5 AU weit ins innere System (1 AU bzw. 0,25 AU) mit einbezieht. Alle mit Ausnahme der geringmassigsten Planeten, mithin alle im hier betrachteten Massenspektrum ab 1 Erdmasse, bildeten dieser Studie zufolge einen signifikanten Wasseranteil während der Akkretion (Bond/O’Brien/Raymond (2012), S. 24).
Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Simulationen nur einen Zeitraum bis zu 50, max. 200 Millionen Jahre erfassen. Deshalb stellt sich hier erneut die Frage, wie viele von diesen Planetenkandidaten in den nachfolgenden paar hundert Mio. bis 1 Mrd. Jahre ihrer Post-Akkretionsphase durch XUV-verursachten „blow off“ und andere Prozesse ihr Wasserreservoire wieder verlieren. Einschlägig ist hier die Aussage, dass noch nach einem hoch angesetzten Wasserverlust (von 97 %, orientiert an der Zusammensetzung von Chondriten), was die Simulationsergebnisse mit den Ergebnissen der früheren Studie von Raymond et al. (2007) auf eine Linie bringt, von den in den Simulationen gebildeten terrestrischen Planeten einige wenige als Wasserwelten sowie die Mehrheit mit weniger als 10 Erdozeanen, mit einem durchschnittlichen Wassergehalt von fünf Erdozeanen verbleiben - d. h. als erdähnliche „wet earths“ mit Wasser sowohl an der Oberfläche als auch im Planeteninneren (Bond/O’Brien/Raymond (2012), S. 22). In ungefährer Übereinstimmung mit der Verlustrate, die aus der ersten Studie von Raymond et al. (2007) abgeleitet wurde, dürften demnach, etwas nach unten korrigiert, ca. 80 % verbleibende terrestrische Planeten mit Oberflächenwasser (Bedeckung mind. 20 %) angesetzt werden. Die höhere Wahrscheinlichkeit des Entstehens „feuchter Erden“ statt „Wasserwelten“ unter diesen bestärkt überdies die Erwartung von Plattentektonik für den hier angesetzten Massebereich (Bond/O’Brien/Raymond (2012), S. 22 f. und 28).
Auch zu berücksichtigen ist, dass sich auch ursprüngliche Ozeanplaneten nachträglich zu Planeten mit Landanteilen weiterentwickeln können (vgl. Abbot/Cowan/Ciesla (2012): „Indication of Insensitivity of Planetary Weathering Behavior and Habitable Zone to Surface Land Fraction“, S. 9 f. und 14).
Diese Überlegung gilt für kleine Exoplaneten um sonnenähnliche Sterne, von denen in der Tat viele zu wasserreich sein könnten für die (lebens-) notwendige Durchmischung des Ozeans mit den Nährstoffen aus dem Ozeanboden - Stichwort "Eis VI" und "Eis VII" bei sehr tiefen globalen Ozeanen, von denen Bynaus ausgegangen war: hier gibt es keinen Kontakt zwischen flüssigem Wasser und der Gesteinskruste. Doch keine Angst vor zu viel Wasser, denn günstiger noch könnte sich in dieser Hinsicht die Situation für terrestrische Planeten um rote Zwergsterne erweisen, ebenfalls unter Voraussetzung von äußeren Gasriesen und Asteroidengürteln jenseits der Schneegrenze (ab Neptungröße, um rote Zwergsterne mit ca. 12-16 % seltener zu erwarten als um sonnenähnliche Sterne, Belege liefere ich ggf. nach): Für Exoplaneten um rote Zwergsterne könnte sich nämlich die lange Aktivität der roten Zentralsterne positiv auswirken auf die Habitabilität anfänglicher Sub-Neptune mit einer dichten Wasserstoff/Helium-Hülle. Einige dieser Planeten könnten infolge der langen Aktivität ihres roten Zentralsterns ihre dichte Gashülle verlieren und zu Wasserwelten oder zu wasserreichen Supererden werden. Obwohl Lammer und Kollegen in diversen Publikationen dieses Szenario (qua hydrodynamischen „blow off“-Verlust) für Supererden mit dichten H/He-Schichten um G-Sterne ausgeschlossen haben (s. Abschnitt I), dürfte dies hier sehr viel wahrscheinlicher sein: So ist davon auszugehen, dass die von Erkaev et al. (2012), S. 23 und 26 genannten „blow off“-Bedingungen (eine XUV-Strahlung mind. 100 mal höher als der unserer heutigen Sonne) in der sternnahen hZ um junge, aktive M-Zwerge erstens erfüllt sind und zweitens, anders als im Falle der G-Sterne, statt nur über die ersten ca. 100 Mio. Jahre, über ein bis zwei Mrd. Jahre hinweg Bestand haben. Während im kleineren Größenbereich der Kandidatenplaneten ein großer Teil austrocknen dürfte, könnten andere Planeten in der hZ mit einer anfänglichen Größe von über 1,4 bis max. 3 Erdradien (soweit verträglich mit der Bedingung von max. 2-3 Erdmassen) nachträglich in den hier eingegrenzten Größenbereich eintreten.
Zahlen bleiben auch hier weitgehend spekulativ, doch wäre ein Ausschluss dieses Szenarios sicher ebenso unbegründet wie es umgekehrt unvorsichtig wäre, anzunehmen, dass der Anteil der zu trockenen Planeten durch diese gleichsam von oben her nachrückenden Planeten einfach ausgeglichen wird, da diese aufgrund vieler unbekannter Faktoren trotz ihres vermutlichen Wasserreichtums immer noch ohne lebenszuträgliches Oberflächenwasser bleiben könnten. Nehmen wir in Richtung der kleinen Anfangsradien nahe 1 Erdradius nach dem zu erwartenden hohen atmosphärischen Verlust eine hohe Ausschussrate von grob geschätzt 85-90 % (also verbleibende 10-15 % mit genügend Oberflächenwasser) an, so dürfte diese nach oben hin deutlich kleiner werden: über vielleicht 60-70 % (also verbleibende 30-40 %) in Richtung 1,4 oder 1,5 Erdradien bis hin zu vielleicht nur noch 10-15 % (also verbleibende 85-90 %, vergleichbar dem in Abschnitt I abgeleiteten Anteil für die am Ende hinreichend wasserreichen Planeten in der hZ um sonnenähnliche Sterne) nahe der Außengrenze der geringmassigen Supererden mit anfangs dichten H/He-Schichten bis max. 3Erdradien. Im Ergebnis bliebe nach dieser Schätzung ein End-Anteil von grob ca. 40 % Planetenkandidaten im hier angesetzten Radiusspektrum mit einer Oberflächenwasser-Bedeckung von mind. 20 %.
Beste Grüße in die Runde
Exonavigator