Nachtrag: Quellen zur Frage der Habitabilität von Supererden und Anschlussfragen
Hallo,
hier mein Nachtrag zu Bynaus' Frage der Studien, die meine anfangs optimistische Einschätzung der Habitabilität von Supererden motivierte, mit ein paar Alternativszenarien. Sorry, dass ich wieder mit so einem Riesenwust ankomme, aber dann habt ihr wenigstens alle Quellen und könnt selbst nachsehen.
1 Zur Habitabilität der Supererden:
Vorrangig habe ich mich an Beiträgen orientiert, die ich oben schon genannt hatte, hier nochmal und um weitere ergänzt – alle nachfolgend genannten Beiträge sind abrufbar auf
http://exoplanet.eu/bibliography/ oder
http://arxiv.org/archive/astro-ph (ich habe hier die Links nicht selbst rausgesucht, weil ich nicht die Links, sondern die ausgedruckten Beiträge selbst vor mir habe):
1.1 Zur Plattentektonik:
Erstens Cuntz et al. (2011): „Habitability of Super-Earth Planets around Main-Sequence Stars including Red Giant Branch Evolution: Models based on the Integrated System Approach“: Auf S. 9 f. stellen die Autoren fest, dass nach ihren Annahmen ein massiverer Planet als die Erde mit höherer Wahrscheinlichkeit über Plattentektonik verfügt; sie begründen übrigens ferner, warum Wasserwelten anstatt landbedeckte Planeten günstigere Bedingungen für Habitabilität böten, ebenda.
Zweitens gibt es eine Studie von Tackley et al. (2012): „Mantle Dynamics in Super-Earths: Post-Perovskite Rheology and Self-Regulation of Viscosity“, wo es im Abstract heißt, dass die Resultate die Wahrscheinlichkeit von Plattentektonik bestätigen. Es sei wahrscheinlich, dass sogar nach Milliarden von Jahren der Mechanismus der Konvektion bei extrem heißem, geschmolzenem Inneren („super basal magma ocean“) noch andauern würde. Woanders heißt es heißt es hingegen, dass der Plattenwiderstand bei Supererden zunehme und die Oberflächenmobilität reduziere: Stein et al. (2012): „The effect of mantle internal heating and pressure-weakening on surface dynamics: implications for Super-Earths“, Abstract.
Ein noch unbekannter Schlüsselfaktor für die Einschätzung der thermalen Entwicklung von Supererden scheint die Kern-Mantel-Grenze zu sein, vgl. Tachinami et al. (2010): „Thermal evolution and lifetime of intrinsic magnetic fields of Super Earths in habitable zones“.
1.2 Zum Magnetfeld:
Eine weitere Quelle, auf die ich mich verlassen hatte, widmet sich der Frage des Magnetfeldes – wie wir alle wissen, zentral für den Schutz vor Sternwind etc.: López-Morales et al.: „Magnetic Fields in Earth-like Exoplanets and Implications for Habitability around M-dwarfs“, S. 3. Dort sagen die Autoren voraus, dass Planeten mit einer Masse über zwei Erdmassen (nicht aber darunter) dipolare magnetische Bewegungen stärker als die der Erde aufweisen können.
1.3 Zu den Atmosphären:
In einem Artikel von Ikoma/Hori: „In-situ Accretion of Hydrogen-Rich Atmospheres on Short-Period Super-Earths: Implications for the Kepler-11 Planets”, geht es um die Frage, ab welcher Masse eine Runaway-Gasakkretion einsetzt, mit der aus einer Supererde ein sub-neptunischer Planet wird (S. 5 ff.), ebenfalls sehr wichtig, wenn es um die Habitabilität von Supererden geht (habe ich in meiner Rechnung zu berücksichtigen versucht).
Noch dazu interessant: Ein Artikel von Lopez et al. (2012): „How Thermal Evolution and Mass Loss Sculpt Populations of Super-Earths and Sub-Neptunes: Application to the Kepler-11 System and Beyond“, argumentiert dafür, dass es sich bei Kepler-11b um eine Wasserwelt handelt, spannend für die Frage der Habitabilität von Supererden: Demnach könnte es sich hier um einen ehemals sub-neptunischen Planeten handeln, der seine Wasserstoff/Helium-Atmosphäre verloren hat und zu einer Wasserwelt geworden ist. Falls Supererden als Wasserwelten also habitabel sein sollten, hätte das ermutigende Folgen. Und Wasserwelten dürfte es nach einer weiteren Studie in großer Zahl geben: Raymond et al. (2007): „High-Resolution Simulations of the Final Assembly of Earth-Like Planets. 2. Water Delivery and Planetary Habitability” haben in ihren Simulationen der Entstehung von Planeten bis 2,6 Erdmassen festgestellt, dass in allen Fällen ein Wasserbudget von mindestens dem gegenwärtigen Wasservorrat der Erde zu erwarten ist, meist ein Vielfaches davon (allerdings berücksichtigt die Studie nur die ersten paar hundert Mio. Jahre, nicht die Post-Akkretionsphase, und sie ist schon 5 Jahre alt).
Wichtig zur Einschätzung der Habitabilität von Supererden ist auch die Frage, wieweit sie (falls sie der galoppierenden Gasakkretion entkommen) dem galoppierenden Treibhauseffekt entgehen. Auch hier gibt es eine ermutigende Studie, die vorhersagt, dass (im Gegensatz zu Mars-großen Planeten) Supererden d. h. Planeten von mehreren Erdmassen weniger wahrscheinlich einem Runaway Greenhouse unterworfen wären. In Goldblatt/Watson (2012): „The Runaway Greenhouse: implications for future climate change, geoengineering and planetary atmospheres”, S. 16.
Hinzu kommt die optimistische Einschätzung über die Stabilität der Atmosphären von Supererden, auf die ich oben schon hingewiesen hatte: Heng/Kopparla (2012): „On the Stability of Super-Earth Atmospheres“, wonach etwa die Hälfte der Kepler-Planetenkandidaten (Radius kleiner als 6! Erdradien) über stabile Atmosphären verfügen.
Einige (noch) aktuellere Studien melden allerdings ernsthafte Bedenken gegen die Erwartung habitabler Bedingungen auf Supererden an, danke, Bynaus, für die Literaturhinweise und deine eigenen Gedanken dazu! Aus meiner Sicht wäre es wirklich schade, wenn sich diese Trendumkehr in der aktuellen Forschung bestätigte und wir terrestrische Planeten als Kandidaten für Welten mit (höher entwickeltem) außerirdischem Leben verabschieden müssten.
2 Exomonde?
Bliebe dann noch die Suche nach Exomonden um Gasriesen. Aus meiner Sicht aus zwei Gründen eine weitere vielversprechende Umgebung für außerirdisches Leben, womöglich weit vielversprechender als Exoplaneten:
Erstens kämen dafür nicht nur Monde um Gasriesen in der habitablen Zone infrage (man denke beispielhaft an die Welt Pandora aus Camerons Film „Avatar“), sondern auch jenseits der ‚Schneegrenze‘, wegen der gezeitenbedingten inneren Aufheizung. D. h. unter anderem, dass außerirdisches Leben näher sein könnte als Gliese 581 u. dgl.: Bekanntlich könnten wir Zeugen der Entdeckung außerirdischen Lebens schon in unserem Sonnensystem werden: etwa unter dem Oberflächeneis des Jupitermonds Europa oder des Saturnmonds Titan (ggf. sogar Enceladus) – falls zu unseren Lebzeiten noch eine geeignete Mission dorthin auf den Weg (und zuende) gebracht würde.
Zweitens vielversprechend daran: Nicht nur die ‚Lebenszone‘ wäre viel breiter, sondern es wären auch um Größenordnungen mehr habitable Exomonde als Exoplaneten zu erwarten: falls nämlich Galileische Monde wie die um den Jupiter bei Gasriesen dieser Art universell zu erwarten sind (Größe der Monde: ca. 10 hoch minus 4 die Größe des Mutterplaneten), so sagt es die Studie voraus von Ogihara/Ida (2012): „N-Body Simulations of Satellite Formation around Giant Planets: Origin of Orbital Configuration of the Galilean Moons“. Auch eingefangene Exomonde, die sich in einem engen Orbit um den Mutterplaneten stabilisieren, sind mit über 50 Prozent Wahrscheinlichkeit zu erwarten, falls Sharzer et al. (2012) recht haben: „Modeling Capture Probabilities Of Potentially Habitable Exomoons“, Abstract.
Ferner stehen die Chancen für eine Wanderung eines Gasriesen mit seinen Monden in die Habitable Zone wohl prinzipiell gut, vgl. Tinney et al. (2011): „The Anglo-Australian Planet Search. XXI. A Gas-Giant Planet in a One Year Orbit and the Habitability of Gas-Giant Satellites“, Abstract. Nicht zu vergessen: Kepler hat schon auf Anhieb (mit den Daten des ersten Quartals) eine Handvoll Gasriesen in den habitablen Zonen entdeckt. Das wäre sicher förderlich für eine noch ungeahnte Vielfalt außerirdischer Biosphären …
3 Andere Nischen für außerirdisches Leben: Ammoniak, Asteroiden, Panspermie
Bei allem sollten wir nicht vergessen, dass sich die von uns diskutierten Szenarien alle an kohlenstoffbasiertem Leben in einer wasserreichen Umgebung orientieren. Zugegeben, das ist alles hoch spekulativ, doch es gibt Alternativen, ebenfalls mit ungeahnten Weiterungen, vgl. diesen Artikel hier (in einer nicht sehr seriösen Zeitschrift, aber er ist ein Experte für die entsprechende Chemie):
http://www.pm-magazin.de/r/natur/das-weltall-–-eine-gigantische-gebärmutter
Ach, übrigens, Monod, danke für deine Hinweise zu jüngsten Zweifeln an der These der ersten chemischen Fossilien, die eine Entstehung des irdischen Lebens vor 3,85 Mrd. Jahren nahe zu legen schienen. Wusste ich nicht. Zu dem Zitat von Jacques Monod aber ist mir noch ein aktueller Artikel eingefallen, der seiner These von der Alleinstellung des Lebens auf einer isolierten Erde widerspricht. Es geht um die Möglichkeit interplanetarischer, ja sogar interstellarer Lithopanspermie in der Frühzeit unseres Sonnensystems – nein, durchaus kein Quatsch, wie ich auch zuerst geneigt war zu glauben, sondern eine gut begründete Hypothese, in dem jüngsten Aufsatz von Belbruno et al. (2012): „Chaotic exchange of solid material between planetary systems: implications for lithopanspermia“, wie alles andere auch bei
http://exoplanet.eu/bibliography.
Ob wir Menschen uns aufgrund einer solchen Perspektive, dass das Leben womöglich aus interstellaren Räumen zu uns kam oder sich in umgekehrter Richtung gestreut haben mag, weniger „verlassen“ fühlen, das ist allerdings eine andere Frage, deren Antwort wohl individuell sehr verschieden ausfällt …
Beste Grüße