Hallo Yvonne,
Willi hat Dir ja schon einiges erklärt und auch geschrieben, daß er von Biophysik nicht so viel versteht. So geht es mir im wesentlichen auch.
Mein ältester Sohn Tobias aber arbeitet an einem biophysikalischen Thema an einem Max-Planck Institut. Wir unterhalten uns oft darüber und ich will versuchen Dir ein ganz klein wenig von den Grundprinzipien zu erklären, so gut wie ich es halt kann.
Was Biologie ist, weist Du schon so ungefähr aus der Schule. Die richtige (wissenschaftliche) Biologie ist allerdings ganz erheblich komplizierter.
Die Menschen, die in den entsprechenden Berufen arbeiten, verstehen inzwischen ziemlich gut wie die Chemie funktioniert, was da ganz genau bis in die winzigsten Details abläuft. Sie können auch schon sehr viele der chemischen Vorgänge die sie in den Bakterien-, Pflanzen- und Körperzellen entdeckt haben, nachmachen.
Was sie aber bisher nicht wissen: Wie funktioniert das alles zusammen? Dazu versuchen ganz viele Forschungsgruppen mit allen möglichen Methoden, Chemie, Physik, Informatik und was weis ich noch alles herauszufinden wie einzelne, ganz kleine Bauteile, zusammen mit anderen ganz kleinen Bauteilen funktionieren. Das Problem dabei ist ja immer, man kann die Bakterien oder die anderen Zellen nicht auseinander nehmen und die einzelnen Bauteile untersuchen, sie funktionieren nur gemeinsam mit den anderen und wenn sie nicht auseinander genommen sind, ist es so unübersichtlich wie eine Fabrik bei der man nur sieht was geht rein, was kommt raus, aber was innen drin geschieht kann man nicht sehen und reingehen geht nicht, weil man zu groß ist.
Tobias versucht zur Zeit ein Modell für einen kleinen Teil einer Bakterie zu entwickeln. Und zwar, wie macht die Bakterie es, daß sie bei gelb grünem Licht anders schwimmt als bei blauem Licht. Die Bakterie lebt, wie eine Pflanze (sie ist eine Pflanze) vom Licht. Die eine Lichtart kann sie als Nahrung verwenden, die andere ist auf Dauer gefährlich. Sie lebt im Wasser in Pfützen und Teichen und kann durch Wegschwimmen mit einem winzigen Propeller, der wie ein kleiner Korkenzieher aussieht hin oder her schwimmen.
Die Bakterien können natürlich nicht denken "ah, da ist was gutes zu futtern, da schwimme ich hin!" aber wenn sie das nicht können, wie machen sie es trotzdem richtig? Da daran noch geforscht wird, kann ich es Dir zur Zeit auch nicht sagen, aber ich kann Dir ein wenig erzählen, wer daran alles mitarbeitet.
Da gibt es welche, die herausgefunden haben, wie dieser Propeller es macht sich zu drehen ohne sich abzudrehen, wie es kommt, daß er sich links herum oder rechtsherum dreht und wo dafür der 'Schalter` ist und wie der funktioniert. Da wurden viele Messungen gemacht: Blaues Licht an, wie lange dauert es bis die Bakterie ihre Richtung wechselt, grünes Licht an, wie lange dauert es dann? Chemiker die herausgefunden haben wie die Bakterie das Licht überhaupt wahrnehmen kann und was dann chemisch in ihren 'Augen' passiert (das sind natürlich keine Augen wie unsere, sondern die melden nur weiter Licht an Licht aus und noch ein paar Stufen dazwischen mit mehr oder weniger Licht). Bio-Physiker, die sich raffinierte Methoden ausgedacht haben, wie man solche Sachen an den winzig kleinen (ohne Mikroskop unsichtbaren) Barkterien messen kann, ohne sie gleich kaputt zu machen. Die müssen nicht nur etwas von Physik verstehen, sondern auch sehr viel von den biologischen Funktionen die sie messen wollen. Im Großen, wie im winzig Kleinen.
Andere haben herausgefunden, wie das Weiter-Melden geht, vorallem wohin wird das weitergemeldet, wie unterscheidet die Bakterie die verschiedenen Lichtfarben, wie verändert sich dann die weitergemeldete Nachricht? (Das haben wieder die Chemiker zusammen mit den Physikern herausgefunden). Man hat jetzt einen riesigen Berg kleiner Bauteile angesammelt, von denen man teilweise weis, teilweise glaubt zu wissen und zum größten Teil keine Ahnung hat, wie sie für sich und wie sie untereinander funktionieren. Tobias versucht jetzt aus diesem Puzzle eine funktionierende Maschine zu bauen (im Computer als Simulation) und wenn sich diese Maschine am Ende so verhält, wie sich die Bakterie veralten hat, dann kann man hoffen, daß man auch die Stationen, die man nicht untersuchen konnte, möglicherweise doch versteht. Und wenn nicht, ist es zumindest etwas leichter, die Stellen zu finden die man möglicherweise noch nicht gut genug verstanden hat.
Wenn dann alles funktioniert, dann muß man sich was ausdenken, wie man das Modell prüfen kann? Also eine Vorhersage machen z.B. Wenn man das grüne Licht drei-mal für 10 Sekunden an macht und dazwischen das Blaue dann wird der Propeller nach 12 Sekunden anfangen sich in die andere Richtung zu drehen. Das kann man dann mit den echten Bakterien ausprobieren, stimmt's, dann scheint das Modell gut zu sein, stimmts nicht, fängt man neu an nachzudenken und zu überlegen warum es nicht stimmt.
Du siehst, sogar so eine winzige Bakterie ist so enerorm kompliziert, daß noch niemand wirklich versteht wie sie funktioniert. Wenn man das aber erst einmal versteht, hat man einen großen Schritt gemacht zu verstehen wie andere, ähnliche Mechanismen funktionieren könnten. Und danach kommt der nächste noch kompliziertere Schritt, wie funktionieren ganz viele Zellen gemeinsam in einem größeren Lebewesen?
Keiner von den Menschen die daran arbeiten, könnte das allein, jeder braucht jeden anderen, das Wissen und die Fähigkeiten der anderen. Und als Biophysiker hat man halt auch viel über Biologie und Chemie gelernt und es ist leichter, sich mit Biologen, Chemikern und Medizinern zu verständigen.
Herzliche Grüße
MAC