Hallo lynx,
Aber dabei vergisst man, das man selber Arten einschleppt.
Das habe ich wohlweislich mit bedacht. Die Frage ist jedoch, wie lange sich diese eingeschleppten Arten in einer fremden Biosphäre halten können, wenn die nötigen Nischen bereits mit einheimischen Arten besetzt sind und einige Milliarden Jahre Evolutionsvorlauf hinsichtlich Adaptation hingelegt haben. Und da gebe ich den eingeschleppten Arten keine großen Entwicklungs-Chancen - sie werden über kurz oder lang als Futter verwertet.
Und warum sollen auf Kohlenstoff und Wasser basierende Lebensformen nicht kompatibel sein? Die chemischen Prozesse sind ja mehr oder weniger durch die Naturgesetze vorgegeben.
Die chemischen Prozesse schon, auch die grundlegenden Molekülklassen, die bei abiotischen Synthesen entstehen, aber beispielsweise Aminosäuren und Nucleinsäurebasen, die in irdischen Lebewesen eine zentrale Rolle spielen, ermöglichen eine so große kombinatorische Vielfalt, dass die Biochemie, die hier abläuft, allenfalls einen winzigen Bruchteil dessen darstellt, was chemisch möglich ist, um funktional dasselbe zu bewerkstelligen, was hiesige Organismen leisten.
Das fängt bereits bei den Aminosäuren an: In irdischen Organismen werden Proteine aus 20 verschiedenen Aminosäuren gebildet. Neben den beiden einfachsten (Glycin und Alanin) sind auch solche relativ komplexen Moleküle wie Phenylalanin, Tryptophan und Tyrosin dabei. Hier hatte eindeutig der Zufall seine Hand im Spiel, denn es hätten von den weit über 100 Aminosäuren ebensogut auch andere "ausgewählt" werden können. Weiterhin: Die proteinogenen Aminosäuren sind durchweg Alpha-Aminosäuren - es hätten auch Beta-Aminosäuren sein können oder Gamma-Aminosäuren (Beispielsweise ist Gamma-Amino-Buttersäure bei Tieren ein wichtiger Neurotransmitter!). Im schon mehrfach erwähnten Murchison-Meteoriten fand man über 60 verschiedene Aminosäuren, darunter mehrere Beta- und Gamma-Varianten. Und wenn ich mir Millers erste "Ursuppe" anschaue, sind auch dort alle Varianten vertreten. Das Vorhandensein einer Stoffklasse in Organismen bedeutet demnach noch lange nicht, dass diese für uns als Nahrung verwertbar ist.
Mit den Nucleinsäuren ist es nicht besser: Adenin und Guanin als Purinbasen blden sich recht leicht, aber beispielsweise Cytosin als Pyrimidinbase scheint ein weiterer Zufallsfund der abiotischen Chemie zu sein, da es sehr instabil ist. Dennoch hat es sich etablieren können, weil zufällig die Protozell-Variante überlebt hat, die mit G-C-Paaren versehen war. Auch der Zuckeranteil der Nucleinsäuren ist im eigentlichen Wortsinn "kein Zuckerschlecken" für die Forschung, da Ribose und noch mehr Desoxyribose in Versuchsansätzen nur in spärlicher Ausbeute entstehen, so dass auch hier ein Zufallstreffer vorliegt. Alternativ wird z.B. erwogen, dass anstelle des Riboseanteils ursprünglich eine Peptidbindung vorhanden war (Peptid-Nucleinsäure = PNA), die sukzessive mit Ribose ersetzt wurde. Warum, ist unbekannt, wie so vieles ...
Das heißt also: Selbst wenn der seltene Zufall eingetroffen sein sollte, dass fremde Organismen auf Proteine und Nucleinsäuren zurückgreifen, könnten die chemischen Hindernisse derart groß sein, dass wir verhungern würden, auch wenn wir "Außerirdischen Kugelfisch" kiloweise in uns reinschaufelten. Bestes irdisches Beipiel: Koche eine Suppe mit Wasser und Holzmehl. Du wirst davon zwar satt, weil dein Magen voll ist, aber unsere Enzymausstattung reicht nicht hin, um die Zellulose zu spalten, so dass du genauso gut eine Hungerkur durchführen könntest - ist sogar gesünder, weil du deinen Darm nicht übermäßig mit Ballaststoffen verstopfst, die nur zu unnötigen Blähungen führen ... aber reichlich Wasser trinken nicht vergessen
Selbst giftige Tiere kann man verspeisen, solange man weiß, mit den Toxinen [richtig] umzugehen.
Dazu müsste man freilich wissen, woran man ein Toxin als solches erkennen soll - ohne Selbstversuch schwer zu schaffen - wer gibt sich für so etwas her? Auch die Japaner haben ihre traurigen Erfahrungen sammeln müssen, bevor sie merkten, dass man einige Innereien ohne Beschädigung entfernen muss, damit Fugu frei von Tetrodotoxin ist. Und da unterstelle ich den künftigen Raumfahrern, dass sie ihre Konserven reichlich mitbringen und im heimischen Habitat produzieren - keimfrei abgepackt natürlich! - statt unkalkulierbare Risiken einzugehen.
Aber warum 3 Augen, 7 Beine und giftige Körperteile uns abhalten sollen, das "Ding" zu essen.
Ich halte geradzahlige Augen- und Beinzahlen für wahrscheinlicher, aber seis drum: Der Grund liegt in der verschiedenen Biochemie. Biologisch funktionale Lösungen vollziehen sich auf der Grundlage chemischer und physikalischer Prozesse. Die Möglichkeiten, die auf der Basis von Kohlenstoffchemie in Wasser realisiert werden können, bilden ein Mehrfaches an dem, was tatsächlich realisiert wird. Und wenn beispielsweise Enzym Beta eines außerirdischen Organismus durch Enzym Alpha in unserem Dünndarm nicht verwertet werden kann, weil es aus Beta-Aminosäuren gebildet wird, die zudem rechtsdrehend sind, dann kann man entweder Glück haben und scheidet es unverdaut wieder aus oder man hat Pech und es blockiert aufgrund seiner sterischen Form irgendein Schlüsselenzym in der Atmungskette und man fällt tot um. Ebenso wäre es fatal, wenn sich auf der fremden Welt ein HCN-Kreislauf etabliert hätte, so dass alles Süßwasser mit Blausäure angereichert wäre ...
Summa summarum: Die "zweite Erde" wird mit Überraschungen aufwarten, an die wir beide noch gar nicht gewagt haben, sie zu vermuten, geschweige denn vorauszusehen. Aus diesem Grund wird man sie so gründlich und schonend wie möglich erforschen, wenn man jemals den weiten Weg bis dahin zurückgelegt haben sollte. Eine fremde Biosphäre zu untersuchen ist allemal spannender als zu versuchen, sie zu (zer)stören, um sie als Futterreserve zu verwerten. So etwas ist Science Fiction - leider von der schlechteren Sorte.
Viele Grüße!