TomS
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Nach einer Diskussion mit Bernhard möchte ich hier einige offene Punkte zur Quantenmechanik ansprechen.
1. Notwendigkeit eines Kollapses (im weitesten Sinn)
Gemessen werde ein Quantensystem mit Eigenzuständen |a> an einem Makrosystem d.h. einem Messgerät. Letzteres sei so konstruiert, dass zu jedem möglichen Eigenwert bzw. Eigenzustand ein entsprechender Zeigerzustand existiere. Im Zuge einer Messung an einem Eigenzustand – wobei die Messung mittels der unitären und linearen Zeitentwicklung beschrieben werde – gehe das gekoppelte System aus Quantensystem plus Messgerät in einen Gesamtzustand
$$ |a\rangle \otimes |M_a\rangle $$
über. Aufgrund der linearen Zeitentwicklung gemäß der Schrödingergleichung folgt dann für die Messung an dem in einem Superpositionszustand präparierten Quantensystems ein entsprechender Superpositionszustand
$$ \sum_a \psi_a \, |a\rangle \otimes |M_a\rangle $$
für das gekoppelte System.
Dies entspricht offensichtlich nicht der Beobachtung, d.h. die Quantenmechanik erscheint in dieser Form zunächst schlicht falsch zu sein.
Von Neumann postuliert daher zusätzlich den statistischen Kollaps entsprechend der Bornschen Regel auf genau einen der makroskopischen Zeigerzustand. Dieser Kollaps ist offensichtlich nicht-unitär und nicht-linear, d.h. explizit unverträglich mit der linearen, unitären und deterministischen Schrödingergleichung.
2. Problematik der makroskopischen Zeigerzustände
Die Zeigerzustände werden dabei lediglich postuliert, es ist zunächst nicht klar, in wie weit sie überhaupt mit der Quantenmechanik verträglich sind. Darüberhinaus bleibt unklar, warum bestimmte Zeigerzustände realisiert sind, andere nicht. Betrachten wir das selbe Mikrosystem in einer anderen Basis
$$ |b\rangle = U_{ab} \, |a\rangle $$
so ist kein Mechanismus erkennbar, der aus den unendlich vielen möglichen Basen genau eine auszeichnet, in der die Messergebnisse in den Zeigerzuständen tatsächlich diagonal sind. Von Neumann muss also nicht nur die Existenz der Zeigerzustände postulieren, sondern auch eine ausgezeichnete Basis.
Diese letztgenannten Probleme werden mittels der sogenannten Dekohärenz gelöst, die durch Verschränkung mit den Umgebungsfreiheitsgraden (Gasmoleküle, Photonen …) zu einer Struktur
$$ \sum_a \psi_a \, |a\rangle \otimes |M_a\rangle \otimes |E_a\rangle $$
führt, wobei die resultierenden „Zweige“ bis auf notwendige Näherungen eindeutig und stabil sind. D.h. zum einen folgt für ein Messgerät eine eindeutige Basis, in der die zu messende Observable diagonal ist, zum anderen sind diese “Zweige” untereinander nicht mehr interferenzfähig und makroskopisch stabil. Die von von Neumann postulierte Struktur kann also auf Basis mikroskopischer Prozesse verstanden werden.
Die Dekohärenz führt jedoch wiederum nicht auf ein eindeutiges Messergebnis, sondern beinhaltet weiterhin Superpositionen. Sie bedarf daher nach wie vor einer entsprechenden Interpretation bzw. eines Kollapses (im weitesten Sinne).
3. Ein mikroskopisches Modell
Betrachten wir zuletzt die Registrierung eines einzelnen Photons nach einem Interferenzexperiment, z.B. einem Doppelspalt. Diese Registrierung erfolgt immer lokal, d.h. ausgehend von einer delokalisierten Welle findet eine Lokalisierung und Anregung genau eines Atoms statt. Diese Anregung können wir als Messung betrachten.
Der Hamiltonoperator für ein Photon und N Detektor-Atome laute (in einem stark vereinfachten Modell)
$$ H = \left( a^\dagger a + \sum_{k=1}^N d_k^\dagger d_k \right) + \sum_{k=1}^N \left(g_k \, d_k^\dagger a + \text{h.c.} \right) $$
Im Eingangszustand haben wir genau ein Photon und keine Anregung im Detektor:
$$ |\text{in}\rangle = |1; 0 \ldots\rangle $$
Nach Registrierung erhalten wir für den Detektorzustand in erster Ordnung
$$ |\text{detect}\rangle = H \, |\text{in}\rangle = \sum_{k=1}^N \left(g_k \, d_k^\dagger a + \text{h.c.} \right) \, |1; 0 \ldots\rangle = \sum_{k=1}^N g_k \, |0; 1_k \rangle $$
$$ |0; 1_k \rangle = |0; n_{i = k} = 1 \wedge n_{i \neq k} = 0 \rangle $$
d.h. dieser enthält kein Photon, dafür jedoch eine Superposition der angeregten Zustände je einzelnem Detektor-Atom. Die Kopplungskonstanten führen auf die Übergangswahrscheinlichkeiten in den entsprechenden Matrixelementen
$$ \langle 1_k |H|\text{in} \rangle = g_k $$
Wobei wir in der Realität jedoch exakt eine lokalisierte Anregung exakt eines Atoms beobachten, d.h.
$$ \langle 1_{k_0} |H|\text{in} \rangle = 1 \;\wedge\; \langle 1_{k \neq k_0} |H|\text{in} \rangle = 0 $$
D.h. auch dieses mikroskopische Modell bleibt bzgl. der Beobachtung unvollständig.
Anstatt nun weiterhin den überfrachteten Begriff „Kollaps“ zu verwenden, lässt sich das wesentliche offene Problem wie folgt beschreiben: Ausgehend von der Annahme, dass eine Messung quantenmechanisch modelliert werden kann, liefert der Formalismus eine Superposition von Messergebnissen, im Widerspruch zu unserer Beobachtung eindeutiger Messergebnisse; letztere werden häufig durch Detektorereignisse o.ä. angezeigt, wobei der Formalismus im Widerspruch zu unserer Beobachtung keine Lokalisierung von Einzelereignissen liefert.
Der quantenmechanische Formalismus basierend auf der Dynamik gemäß der Schrödingergleichung ist demnach unvollständig und bedarf einer Interpretation oder Ergänzung.
4. Ausblick auf mögliche Auswege und deren Bewertung:
1. der Kollaps bzw. das von Neumannsche Projektionspostulat
2. eine Modifikation der Quantenmechanik durch nicht-lineare Terme in der Zeitentwicklung
3. die Anerkennung der Realität der Superpositionen, d.h. die Viele-Welten-Interpretation
4. die bisher übersehene Option, dass es sich bei den o.g. Superpositionen lediglich um Artefakte unzureichender Näherungen handelt, und dass verbesserte mathematische Methoden tatsächlich die Existenz eines mit der unitären Dynamik vereinbaren Mechanismus zur Lokalisierung aufzeigen
1. Notwendigkeit eines Kollapses (im weitesten Sinn)
Gemessen werde ein Quantensystem mit Eigenzuständen |a> an einem Makrosystem d.h. einem Messgerät. Letzteres sei so konstruiert, dass zu jedem möglichen Eigenwert bzw. Eigenzustand ein entsprechender Zeigerzustand existiere. Im Zuge einer Messung an einem Eigenzustand – wobei die Messung mittels der unitären und linearen Zeitentwicklung beschrieben werde – gehe das gekoppelte System aus Quantensystem plus Messgerät in einen Gesamtzustand
$$ |a\rangle \otimes |M_a\rangle $$
über. Aufgrund der linearen Zeitentwicklung gemäß der Schrödingergleichung folgt dann für die Messung an dem in einem Superpositionszustand präparierten Quantensystems ein entsprechender Superpositionszustand
$$ \sum_a \psi_a \, |a\rangle \otimes |M_a\rangle $$
für das gekoppelte System.
Dies entspricht offensichtlich nicht der Beobachtung, d.h. die Quantenmechanik erscheint in dieser Form zunächst schlicht falsch zu sein.
Von Neumann postuliert daher zusätzlich den statistischen Kollaps entsprechend der Bornschen Regel auf genau einen der makroskopischen Zeigerzustand. Dieser Kollaps ist offensichtlich nicht-unitär und nicht-linear, d.h. explizit unverträglich mit der linearen, unitären und deterministischen Schrödingergleichung.
2. Problematik der makroskopischen Zeigerzustände
Die Zeigerzustände werden dabei lediglich postuliert, es ist zunächst nicht klar, in wie weit sie überhaupt mit der Quantenmechanik verträglich sind. Darüberhinaus bleibt unklar, warum bestimmte Zeigerzustände realisiert sind, andere nicht. Betrachten wir das selbe Mikrosystem in einer anderen Basis
$$ |b\rangle = U_{ab} \, |a\rangle $$
so ist kein Mechanismus erkennbar, der aus den unendlich vielen möglichen Basen genau eine auszeichnet, in der die Messergebnisse in den Zeigerzuständen tatsächlich diagonal sind. Von Neumann muss also nicht nur die Existenz der Zeigerzustände postulieren, sondern auch eine ausgezeichnete Basis.
Diese letztgenannten Probleme werden mittels der sogenannten Dekohärenz gelöst, die durch Verschränkung mit den Umgebungsfreiheitsgraden (Gasmoleküle, Photonen …) zu einer Struktur
$$ \sum_a \psi_a \, |a\rangle \otimes |M_a\rangle \otimes |E_a\rangle $$
führt, wobei die resultierenden „Zweige“ bis auf notwendige Näherungen eindeutig und stabil sind. D.h. zum einen folgt für ein Messgerät eine eindeutige Basis, in der die zu messende Observable diagonal ist, zum anderen sind diese “Zweige” untereinander nicht mehr interferenzfähig und makroskopisch stabil. Die von von Neumann postulierte Struktur kann also auf Basis mikroskopischer Prozesse verstanden werden.
Die Dekohärenz führt jedoch wiederum nicht auf ein eindeutiges Messergebnis, sondern beinhaltet weiterhin Superpositionen. Sie bedarf daher nach wie vor einer entsprechenden Interpretation bzw. eines Kollapses (im weitesten Sinne).
3. Ein mikroskopisches Modell
Betrachten wir zuletzt die Registrierung eines einzelnen Photons nach einem Interferenzexperiment, z.B. einem Doppelspalt. Diese Registrierung erfolgt immer lokal, d.h. ausgehend von einer delokalisierten Welle findet eine Lokalisierung und Anregung genau eines Atoms statt. Diese Anregung können wir als Messung betrachten.
Der Hamiltonoperator für ein Photon und N Detektor-Atome laute (in einem stark vereinfachten Modell)
$$ H = \left( a^\dagger a + \sum_{k=1}^N d_k^\dagger d_k \right) + \sum_{k=1}^N \left(g_k \, d_k^\dagger a + \text{h.c.} \right) $$
Im Eingangszustand haben wir genau ein Photon und keine Anregung im Detektor:
$$ |\text{in}\rangle = |1; 0 \ldots\rangle $$
Nach Registrierung erhalten wir für den Detektorzustand in erster Ordnung
$$ |\text{detect}\rangle = H \, |\text{in}\rangle = \sum_{k=1}^N \left(g_k \, d_k^\dagger a + \text{h.c.} \right) \, |1; 0 \ldots\rangle = \sum_{k=1}^N g_k \, |0; 1_k \rangle $$
$$ |0; 1_k \rangle = |0; n_{i = k} = 1 \wedge n_{i \neq k} = 0 \rangle $$
d.h. dieser enthält kein Photon, dafür jedoch eine Superposition der angeregten Zustände je einzelnem Detektor-Atom. Die Kopplungskonstanten führen auf die Übergangswahrscheinlichkeiten in den entsprechenden Matrixelementen
$$ \langle 1_k |H|\text{in} \rangle = g_k $$
Wobei wir in der Realität jedoch exakt eine lokalisierte Anregung exakt eines Atoms beobachten, d.h.
$$ \langle 1_{k_0} |H|\text{in} \rangle = 1 \;\wedge\; \langle 1_{k \neq k_0} |H|\text{in} \rangle = 0 $$
D.h. auch dieses mikroskopische Modell bleibt bzgl. der Beobachtung unvollständig.
Anstatt nun weiterhin den überfrachteten Begriff „Kollaps“ zu verwenden, lässt sich das wesentliche offene Problem wie folgt beschreiben: Ausgehend von der Annahme, dass eine Messung quantenmechanisch modelliert werden kann, liefert der Formalismus eine Superposition von Messergebnissen, im Widerspruch zu unserer Beobachtung eindeutiger Messergebnisse; letztere werden häufig durch Detektorereignisse o.ä. angezeigt, wobei der Formalismus im Widerspruch zu unserer Beobachtung keine Lokalisierung von Einzelereignissen liefert.
Der quantenmechanische Formalismus basierend auf der Dynamik gemäß der Schrödingergleichung ist demnach unvollständig und bedarf einer Interpretation oder Ergänzung.
4. Ausblick auf mögliche Auswege und deren Bewertung:
1. der Kollaps bzw. das von Neumannsche Projektionspostulat
2. eine Modifikation der Quantenmechanik durch nicht-lineare Terme in der Zeitentwicklung
3. die Anerkennung der Realität der Superpositionen, d.h. die Viele-Welten-Interpretation
4. die bisher übersehene Option, dass es sich bei den o.g. Superpositionen lediglich um Artefakte unzureichender Näherungen handelt, und dass verbesserte mathematische Methoden tatsächlich die Existenz eines mit der unitären Dynamik vereinbaren Mechanismus zur Lokalisierung aufzeigen
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