Frage zu DART sowie Didymos und Dimorphos

TomS

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Double Asteroid Redirection Test - Wikipedia

Double Asteroid Redirection Test ... was designed to assess how much a spacecraft impact deflects an asteroid through a transfer of momentum by hitting the asteroid head on and attempting to slow it ... On 11 October, NASA declared DART a success, confirming it had shortened Dimorphos' orbital period by about 32 minutes ...

Double Asteroid Redirection Test – Wikipedia

Die durch den Einschlag erzeugte Verringerung der Umlaufgeschwindigkeit bringt Dimorphos näher an Didymos, was dazu führt, dass Dimorphos ... eine kürzere Umlaufzeit hat.

Nehmen wir an, Dimorphos habe vor dem Impact einen fast exakt kreisförmigen Orbit mit Exzentrizität nahe Null (engl. Wikipedia: e < 0.03). Dann ändert eine "head on collision" die große Halbachse der Bahn nicht, und damit gem. drittem Keplerschen Gesetz auch nicht die Umlaufzeit.

Steh' ich auf dem Schlauch?
Was übersehe ich?
 

ralfkannenberg

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Nehmen wir an, Dimorphos habe vor dem Impact einen fast exakt kreisförmigen Orbit mit Exzentrizität nahe Null (engl. Wikipedia: e < 0.03). Dann ändert eine "head on collision" die große Halbachse der Bahn nicht, und damit gem. drittem Keplerschen Gesetz auch nicht die Umlaufzeit.
Hallo Tom,

ich vermute, Du verstehst unter "head on collision" etwas anderes als die Autoren.

Nehmen wir an, das mit der Verringerung der Umlaufzeit stimmt, dann hat das automatisch (gemäss des von Dir genannten 3.Keplerschen Gesetzes) eine Verkleinerung der Grossen Halbachse zur Folge.


Freundliche Grüsse, Ralf
 

TomS

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Hallo Ralf,

ich vermute, Du verstehst unter "head on collision" etwas anderes als die Autoren.
das glaube ich nicht, die Bedeutung ist eindeutig: die Impulse sind antiparallel.

Nehmen wir an, das mit der Verringerung der Umlaufzeit stimmt, dann hat das automatisch (gemäss des von Dir genannten 3.Keplerschen Gesetzes) eine Verkleinerung der Grossen Halbachse zur Folge.
Das mit der Verringerung der Umlaufzeit stimmt, das kann man bei der NASA nachlesen:

https://www.nasa.gov/feature/nasa-dart-imagery-shows-changed-orbit-of-target-asteroid
correspond to Dimorphos eclipses from a new orbital period of 11 hours and 23 minutes – demonstrating that the eclipse timing differs from pre-impact period of 11 hours and 55 minutes.

Ich denke, die Wikipedia-Autoren haben nicht verstanden, was sie da schreiben. Es gibt mehrere Erklärungen: die Kollision war nicht head-on, der Orbit war nicht kreisförmig, der Masseverlust des Asteroiden ist nicht zu vernachlässigen …
 

TomS

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Die Idee mit dem Masseverlust kann man ebenfalls ausschließen.

Für einen Orbit gilt nach dem dritten Keplerschen Gesetz

$$ \frac{T^2}{a^3} = \frac{4\pi^2}{G(M+m)} $$

und daher bei kreisförmigem Orbit und head-on collision

$$ \frac{{T^\prime}^2}{a^3} = \frac{4\pi^2}{G(M+ (m - \Delta m))} > \frac{T^2}{a^3} $$

Es liegt jedoch eine Verkürzung der Umlaufzeit vor.

Ich sehe eine Lücke in meinem Argument: ich nehme an, dass der kleine Satellit durch die Kollision abgebremst wird (richtig), Masse verliert (auch richtig) und dadurch auf einen elliptischen Orbit mit neuer kleiner Halbachse

$$ b^\prime < b = a $$

bei fester großer Halbachse gebracht wird.

Könnte es sein, dass stattdessen für den neuen Orbit

$$ b = a < a^\prime $$

gilt??

Muss ich nochmal darüber schlafen …
 
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Herr Senf

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vielleicht hilft die Raketengrundgleichung weiter ;)

durch den "gegenläufigen" Einschlag wurde der Asteroidenmond abgebremst, gleichzeitig wurde Geröll ausgeschleudert, also noch Rückstoß dazu.
Wenn sich die Geschwindigkeit in einem Bahnpunkt geändert hat, wird die Bahn auf der Gegenseite abgesenkt, die Umlaufzeit ändert sich.
Man hatte nicht erwartet, daß so viel Material "zurückgestoßen" wird, und nur wenige Minuten und nicht 32 Minuten hochgerechnet.

Die Dinger sind eher Geröllhalden, das macht die Impulsbetrachtung "head-on collision" schwierig - Grüße Dip
 

TomS

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Man hatte nicht erwartet, daß so viel Material "zurückgestoßen" wird, und nur wenige Minuten und nicht 32 Minuten hochgerechnet.
Stimmt. Die NASA wusste jedoch, dass es eine head-on collision ohne diesen Materialverlust zu nichts führt.

Die Dinger sind eher Geröllhalden, das macht die Impulsbetrachtung "head-on collision" schwierig
Ich weiß gar nicht, ob die Betrachtung so schwierig ist. Ich sehe nur, dass die Wikipedia-Artikel diesen entscheidenden Punkt völlig ignorieren.

durch den "gegenläufigen" Einschlag wurde der Asteroidenmond abgebremst, gleichzeitig wurde Geröll ausgeschleudert, also noch Rückstoß dazu.
Wenn sich die Geschwindigkeit in einem Bahnpunkt geändert hat, wird die Bahn auf der Gegenseite abgesenkt, die Umlaufzeit ändert sich.
Und genau dieses Argument halte ich für sich alleine betrachtet für falsch. Nochmal: wenn sich der Asteroid auf einer kreisförmigen Umlaufbahn befindet, dann ist der Radius dieser Umlaufbahn gleich der großen Halbachse konstant. Wenn der Asteroid nun abgebremst wird – bei unveränderter Masse – wird seine Bahn geändert. Die neue Bahn hat jedoch weiterhin die selbe große Halbachse, und damit die selbe Umlaufdauer.

Einen Ausweg bietet meiner Meinung nach nur die Betrachtung des Asteroid mit reduzierter Masse, denn nur dadurch ist es möglich, dass sich die große Halbachse änder. Ich habe das noch nicht im Detail gerechnet, aber die Idee funktioniert wie folgt: nehmen wir an der Satellit würde nicht abgebremst, es würde ausschließlich eine Reduzierung der Masse erfolgen. In diesem Fall ist klar, dass der nun leichtere Satellit auf eine Umlaufbahn mit größerer großer Halbachse gerät, und sich dadurch die Umlaufdauer entsprechend ändert. Da wir jedoch eine kleinere neue Umlaufgeschwindigkeit erwarten, gehen beide Effekte – Abbremsung und Masseverlust – in die falsche Richtung.

Ich bin gespannt, ob mir was einfällt. Egal wie, die einfachen Darstellungen in Wikipedia sind meiner Meinung nach falsch.
 
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TomS

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Nochmal etwas anders dargestellt:

$$ {T^\prime}^2 = \frac{4\pi^2}{G(M+ (m - \Delta m))} \cdot {a^\prime}^2 $$

Der erste Term rechts führt aufgrund des kleineren Nenners zu einer größeren Umlaufzeit. Daher muss der zweite Term auf eine kleinere große Halbachse führen, um eine kleinere Umlaufzeit zu erreichen.

Wie soll das funktionieren?
 

TomS

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Hab' meinen Denkfehler gefunden.

Keplers drittes Gesetz:


$$ \frac{a^3}{T^2} = \frac{G(M+m)}{4\pi^2} $$


Vis-vis-Gleichung:


$$ v^2 = G(M+m) \left( \frac{2}{r} - \frac{1}{a} \right) $$


Aus letzterem folgt


$$ \frac{1}{a} = \frac{2}{r} - \frac{v^2}{G(M+m)} $$


D.h. kleineres v liefert auch kleineres a - das war der Denkfehler.


Kombination liefert


$$ \frac{4\pi^2}{T^2} = G(M+m) \, \left( \frac{2}{r} - \frac{v^2}{G(M+m)} \right)^3 $$


Damit sollte alles passen.

Die Änderung der Masse

$$ (M+m) \to (M+m^\prime) = (M+m) - \Delta m $$

liefert einen kleinen Beitrag zur Vergrößerung der großen Halbachse und der Umlaufzeit.

Aber die Änderung der Geschwindigkeit

$$ v \to v^\prime = v - \Delta v $$

liefert eine Verkleinerung der großen Halbachse und somit auch der Umlaufzeit.
 
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TomS

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So, um das abzuschließen.

$$ \gamma = G(M+m) $$

$$ \frac{T^2}{{T^\prime}^2} = \frac{\gamma^\prime}{\gamma} \frac{a^3}{{a^\prime}^3} = \frac{\gamma^\prime}{\gamma} \left(2 - \frac{\gamma}{\gamma^\prime} \frac{{v^\prime}^2}{v^2} \right)^3 $$
 

ralfkannenberg

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Warum nicht? Wo wäre der Fehler?
Hallo Tom,

meines Erachtens ist alles ok. Ich selber habe nur den Zwischenschritt über die Geschwindigkeit nicht gesehen, aber der ist bei einer reduzierten Umlaufzeit an sich trivial. Der Rest folgt dann aus den von dir genannten Formeln.

Und einen Massenverlust können wir zumindest bei diesem Experiment vernachlässigen, wie Du ja auch konkret vorgerechnet hast; intuitiv hätte ich ohnehin nicht geglaubt dass der bei einem so grossen Körper eine signifikante Rolle spielt.


Freundliche Grüsse, Ralf
 

TomS

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Und einen Massenverlust können wir zumindest bei diesem Experiment vernachlässigen, wie Du ja auch konkret vorgerechnet hast; intuitiv hätte ich ohnehin nicht geglaubt dass der bei einem so grossen Körper eine signifikante Rolle spielt.
Da muss man noch ein paar Worte dazu verlieren.

Der unerwartet große Masseverlust und der damit einhergehende Rückstoß sind als primäre Effekte maßgeblich für die Geschwindigkeitsänderung von Dimorphos.

Das betrachte ich hier aber nicht.

Ich betrachte nur den sekundären Effekt der Auswirkung einer festgestellten Geschwindigkeitsänderung und eines festgestellten Masseverlustes auf den Keplerorbit. Und dabei ist der Masseverlust dann vernachlässigbar.
 

Bernhard

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Der unerwartet große Masseverlust und der damit einhergehende Rückstoß sind als primäre Effekte maßgeblich für die Geschwindigkeitsänderung von Dimorphos.
Interessant. Ich hatte ja von dem ganzen Experiment nicht viel erwartet, aber es ergibt sich doch eine wichtige Erkenntnis auch für die sogenannte "Asteroidenabwehr". Sehr große "Brocken" sind aufgrund der Eigengravitation eher kompakt und fest, kleinere "Brocken" wohl eher lose wie Schutthaufen.

Es gibt bei den kleineren Brocken bei einem Einschlag also einen Impulsübertrag und einen Massenverlust. Die kleineren Brocken müssten sich bei einem Einschlag in der Erdatmosphäre auch relativ stark verteilen, was ein Verdampfen wahrscheinlicher erscheinen lässt.
 

ralfkannenberg

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Sehr große "Brocken" sind aufgrund der Eigengravitation eher kompakt und fest, kleinere "Brocken" wohl eher lose wie Schutthaufen.
Hallo Bernhard,

das ist meines Wissens der aktuelle Kenntnisstand. Als Referenz verweise ich auf allerdings schon ältere Arbeiten über die ersten Mondentdeckungen bei erd- und marsnahen Planetoiden aus den späten 1990'iger Jahren.


Es gibt bei den kleineren Brocken bei einem Einschlag also einen Impulsübertrag und einen Massenverlust. Die kleineren Brocken müssten sich bei einem Einschlag in der Erdatmosphäre auch relativ stark verteilen, was ein Verdampfen wahrscheinlicher erscheinen lässt.
Hierzu habe ich eine Frage: es gibt doch diese bekannte Veranschaulichung des Impulserhaltungssatzes, bei der mehrere Metallkugeln in einer Reihe hängen, und dann die vorderste etwas wegbewegt und zurückfallen gelassen wird, worauf sich nach dem Aufprall der ersten Kugel die letzte Kugel auf der anderen Seite analog wegbewegt.

Kurz und gut, ich hätte gedacht, dass der Masseverlust in etwa gleich gross ist wie die Masse des Impaktors, d.h. unter dem Strich bliebe dann die Masse in etwa gleich gross.


Freundliche Grüsse, Ralf
 

TomS

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Kurz und gut, ich hätte gedacht, dass der Masseverlust in etwa gleich gross ist wie die Masse des Impaktors, d.h. unter dem Strich bliebe dann die Masse in etwa gleich gross.
Die Modellierung des Impacts und des Masseverlustes ist wohl extrem kompliziert. Es gibt zwei triviale Grenzfälle, den vollkommen elastischen und den vollkommen inelastischen Stoß (wobei die Sonde einfach im Asteroiden stecken bleibt). Jegliche Freisetzung von Material ist schwierig extrem zu berechnen.
 

Bernhard

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Es gilt die Energie und Impulserhaltung. Die Sonde hat vor dem Aufprall ja ordentlich Geschwindigkeit drauf.
 

Herr Senf

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... es geht auch einfacher als kompliziert ;) also pi mal Daumen

der "Kühlschrank" hatte eine Masse von m~0,5 t bei v~6 km/s also einen Impuls von ca. 3 t*km/s
Didymos hat etwa M=5Mio t an Masse und bei einer Umlaufzeit von T~12 h eine Bahngeschwindigkeit von V=0,00018 km/s
das sind dann 180 mm/s, die durch "bloßen" Bremsimpuls um 0,7 mm/s verringert werden, das wären dT~3 min, aber wegen
vis-viva verringert sich die große Halbachse um dA=70 m 0,8%, das ist ausschlaggebend, somit wären wir bei insgesamt dT~9 min

beobachtet wurden aber dT=32 min, das heißt "momentum transfer efficiency ß", und dieses ß mit +23 min sollte bestimmt werden
das ß (die höhere Energieübertragung) läßt jetzt Rückschlüsse auf die "fluffige" Struktur per Simulation der "Geröllhalde" zu

wer es komplizierter lieber hat, noch zwei lange Artikel mit akribischen Rechnungen
https://arxiv.org/abs/2007.15761 Modell der Auswurffahnenbeobachtungen
https://iopscience.iop.org/article/10.3847/PSJ/ac063e/pdf The Double Asteroid Redirection Test (DART)

Grüße Dip
 

Bernhard

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Hallo Ralf,

Kurz und gut, ich hätte gedacht, dass der Masseverlust in etwa gleich gross ist wie die Masse des Impaktors, d.h. unter dem Strich bliebe dann die Masse in etwa gleich gross.
wegen der Energieerhaltung würde ich ganz naiv eher darauf tippen, dass die herausgelöste Masse bei einem "Schutthaufen" eher größer als die Masse des Impaktors ist.

Warten wir mal auf die fleißigen Modellierer und weitere Messdaten, die es ja sicher geben wird.
 

TomS

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Man kann doch eine erweiterte Energie-Impuls-Betrachtung der folgenden Form durchführen:

$$ m \, v + m_i \, v_i = (m - \Delta m) \, v^\prime + \Delta m \, u $$

$$ m \, v^2 + m_i \, v_i^2 = (m - \Delta m) \, {v^\prime}^2 + \Delta m \, u^2 + 2 \, \Delta E$$

Die Terme stehen von links nach rechts für Dimorphos und DART vor dem Impact, für Dimorphos nach dem Impact, die ausgestoßene Materie sowie innere bzw. thermische Energie. Das liefert zumindest den erlaubten Bereich.
 
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