(...)
Wenn von Zufall gesprochen wird, kann konkret gemeint sein:
- Ein Ereignis geschieht objektiv ohne Ursache.
- Ein Ereignis geschieht, ohne dass eine Ursache erkennbar wäre.
- Ein Ereignis geschieht, bei dem man zwar die Einflussfaktoren kennt, sie aber nicht messen oder steuern kann, so dass das Ergebnis nicht vorhersehbar ist („empirisch-pragmatischer Zufall“[2]).
- Zwei Ereignisse stehen in keinem (bekannten) kausalen Zusammenhang.
Fall 1 ist in der makroskopischen Welt bisher nicht beobachtet worden und dürfte prinzipiell nicht nachweisbar sein. In der Quantenmechanik wird die Existenz des objektiven Zufalls im Rahmen ihrer verschiedenen Interpretationen diskutiert.
(...)
Teilbereiche der Philosophie beschäftigen sich mit der Frage, ob unsere Welt im innersten deterministisch (also kausal eindeutig vorherbestimmt) oder zufällig ist. Bei auf den ersten Blick zufällig erscheinenden Ereignissen stellt sich die Frage, ob der Beobachter lediglich zu wenig Informationen hatte, um eine exakte Vorhersage zu treffen, oder ob das beobachtete System in sich zufällig ist.
Bei der ersten Art – den deterministischen Systemen – ist das Ergebnis eines Experiments bei identischen Bedingungen immer gleich. Eine beobachtete Varianz lässt darauf schließen, dass der Beobachter an zumindest einer Stelle ungenau gemessen hat. Heute untersucht die Chaosforschung deterministisch chaotische Systeme; das sind deterministische Systeme, die sich aber aufgrund ihrer großen Komplexität für den Menschen momentan unvorhersagbar verhalten.
Die Quantenphysik hat eine neuerliche Diskussion darüber ausgelöst, ob die Welt fundamental deterministischen oder im innersten zufälligen Prinzipien gehorcht. Die experimentell nachgewiesene Verletzung der Bellschen Ungleichung impliziert, dass die Natur auf mikroskopischer Ebene nicht durch eine realistische und lokale Theorie beschrieben werden kann. Dies bedeutet, dass das Ergebnis eines Experiments selbst bei Kenntnis aller lokalen Gegebenheiten im Allgemeinen nicht exakt vorhergesagt werden kann und dementsprechend auch verschiedene Konsequenzen aus identischen Ausgangssituationen folgen können. So ist es beispielsweise nicht möglich, den exakten Zeitpunkt des Zerfalls eines Atomkerns zu bestimmen, und zwar nicht, weil noch Eigenschaften des Kerns unbekannt wären, sondern weil keine (lokalen) Ursachen existieren. Im Rahmen der Kopenhagener Deutung der Quantenmechanik spricht man daher von einem objektiven Zufall.
Andere Interpretationen der Quantenmechanik unterscheiden sich nicht in ihrem physikalischen Inhalt von der Kopenhagener Deutung, allerdings in ihrer Bewertung des Zufalls. So geht die Viele-Welten-Interpretation beispielsweise davon aus, dass immer alle quantenmechanischen Möglichkeiten tatsächlich realisiert sind und nur in den jeweiligen Welten zufällig erscheinen. Alle Welten zusammen wären demnach deterministisch beschreibbar. Des Weiteren existieren nicht-lokale Interpretationen (z. B. die De-Broglie-Bohm-Theorie), in denen der Zufall auf das Unwissen bezüglich des Zustands des gesamten Universums zurückgeführt wird.
Schließlich darf der quantenmechanische Zufall nicht mit Regellosigkeit gleichgesetzt werden. Auch wenn die einzelnen Messergebnisse nicht vorhersagbar sind, so sind die Wahrscheinlichkeiten ihres Eintretens durch die quantenmechanischen Gesetzmäßigkeiten streng determiniert. Auf makroskopischer Ebene spielen Quanteneffekte aufgrund der Dekohärenz keine Rolle, so dass uns die klassische Welt immer deterministisch erscheint.
(...)