Sterile Neutrinos als Dunkelmaterie-Kandidaten?
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung der Universität Mainz astronews.com
12. März 2018
Bis heute suchen Wissenschaftler vergeblich nach den
Teilchen, aus denen die Dunkle Materie besteht, die die Entwicklung des
Universums entscheidend beeinflusst. Im Verdacht stehen dabei verschiedene
Partikel aus dem Zoo der Teilchenphysiker. In Mainz soll nun mit komplexen
Rechnungen untersucht werden, ob sterile Neutrinos als Dunkelmaterie-Kandidaten
infrage kommen.
Das Universum besteht größtenteils aus
Dunkler Materie. Um was es sich dabei handelt,
weiß man bislang nicht.
Bild: NASA, ESA, H. Teplitz und M. Rafelski
(IPAC/Caltech), A. Koekemoer (STScI), R.
Windhorst (Arizona State University) und Z. Levay
(STScI) [Großansicht] |
Der Teilchenphysiker Prof. Dr. Harvey Meyer von der Johannes
Gutenberg-Universität Mainz erhält eine Förderung des Europäischen
Forschungsrats, um mithilfe von hochkomplexen Rechnungen grundlegende Fragen der
Physik zu klären. Dazu gehört unter anderem die Frage, ob sterile Neutrinos als
Kandidaten für die Dunkle Materie in Frage kommen.
Ausgangspunkt für die Berechnungen ist die starke Wechselwirkung, eine der
vier grundlegenden Kräfte, die für die Bindung der Quarks und Gluonen im
Atomkern verantwortlich ist. Der Europäische Forschungsrat (ERC) stellt für das
Projekt "Strong-interaction matter coupled to electroweak probes and dark matter
candidates" (SIMDAMA) in den kommenden fünf Jahren 1,7 Millionen Euro bereit.
Ein solcher "ERC Consolidator Grant" ist eine der höchstdotierten
Fördermaßnahmen der EU.
Meyer ist seit April 2014 PRISMA-Professor für Theoretische Teilchenphysik.
In dem geförderten Projekt wird es unter anderem darum gehen, mithilfe von
computergestützten Berechnungen, die auf der Theorie der starken Wechselwirkung
aufbauen, die Suche nach geeigneten Kandidaten für die Dunkle Materie
voranzubringen.
Sichtbare Materie macht nur etwa 15 Prozent der gesamten Materie im Universum
aus. Der Rest ist Dunkle Materie, die nicht strahlt und daher für uns unsichtbar
ist. "Man weiß aber aus astrophysikalischen Beobachtungen, dass es Dunkle
Materie gibt", so Meyer. Dunkle Materie unterliegt – wie sichtbare Materie auch
– der Schwerkraft, sie klumpt zusammen und beeinflusst dadurch die Bewegung von
Galaxien und Galaxienhaufen. Bislang ist nicht bekannt, aus was genau sich
Dunkle Materie zusammensetzt. Als ein Kandidat gelten sterile Neutrinos,
hypothetische Teilchen, deren Existenz bislang noch nicht nachgewiesen wurde.
Meyer möchte im Rahmen der ERC-Förderung berechnen, wie viele sterile
Neutrinos möglicherweise im frühen Universum erzeugt worden sind, zu einem
Zeitpunkt, als Quarks und Gluonen die am häufigsten vorkommenden Teilchen waren.
Die Gesamtenergie dieser sterilen Neutrinos wäre dann mit der bekannten Energie
der Dunklen Materie zu vergleichen. "Ist die Gesamtenergie der sterilen
Neutrinos höher als die der Dunklen Materie, dann kommen diese Teilchen für die
Theorie der Dunklen Materie mit großer Sicherheit nicht in Frage", so Meyer.
Andererseits, falls die Anzahl der sterilen Neutrinos geringer ausfällt,
bestünde die Möglichkeit, dass Dunkle Materie nicht nur aus diesem einen
Teilchen besteht, sondern sich vielleicht aus mehreren Bestandteilen
zusammensetzt. Problematisch ist allerdings, dass sich sterile Neutrinos nicht
so einfach erfassen lassen, weil sie der Hypothese zufolge nur der Schwerkraft
unterliegen, nicht aber den anderen drei fundamentalen Grundkräften der Physik.
Meyer stützt sich bei seinen Arbeiten auf die Gitter-Quantenchromodynamik,
eine der wichtigsten Methoden, um das Kräftespiel zwischen Quarks und Gluonen zu
erforschen. Im Falle der sterilen Neutrinos geht Meyer für die Berechnungen von
der Annahme aus, dass sie in die drei bekannten Neutrino-Arten oszillieren
können, das sind Elektron-Neutrino, Myon-Neutrino und Tau-Neutrino, die selbst
mit den Quarks über die schwache Wechselwirkung interagieren.
Hinzukommt ein weiterer Aspekt, der mit ganz ähnlichen Berechnungen verfolgt
werden soll: die Erzeugung von Photonen im Quark-Gluon-Plasma. Ein solches
Plasma, wie es in den ersten Mikrosekunden nach dem Big Bang existiert hat, kann
heute durch die Kollision von Schwerionen wie beispielsweise Blei oder Gold in
Beschleunigern erzeugt werden. Dabei entstehen Lichtteilchen, die im Experiment
recht gut gemessen werden können.
"Mit unseren Methoden können wir die Produktion der Photonen berechnen und
dann mit den Daten aus den Experimenten vergleichen. Falls die Angaben
übereinstimmen, wäre dies ein starker Hinweis dafür, dass unsere Berechnungen zu
den sterilen Neutrinos ebenfalls korrekt sind", so Meyer. Die Berechnung der
Produktion von sterilen Neutrinos wie auch der Photonen durch das Quark-Gluon-Plasma
erfolgt mit aufwendigen Monte-Carlo-Simulationen auf Hochleistungsrechnern.
Hierfür steht den Kernphysikern an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz
unter anderem die Anlage MOGON II zur Verfügung.
"Das Dunkle-Materie-Puzzle, die Parameter der Neutrino-Oszillationen und
Tests des Standardmodells gehören zu den Top-Prioritäten der fundamentalen
Physik", fasst Meyer zusammen. "Unser Projekt bietet die Chance, zu allen drei
Themen maßgebliche Beiträge zu leisten." Meyer wurde im April 2010 in Mainz zum
Juniorprofessor für Theoretische Kern- und Hadronenphysik ernannt und im April
2014 zum Professor für Theoretische Teilchenphysik am Exzellenzcluster PRISMA
und am Fachbereich Physik, Mathematik und Informatik berufen. Sein
Forschungsinteresse gilt den computergestützten Methoden zur Berechnung
dynamischer Eigenschaften stark wechselwirkender Teilchen.
Der ERC Consolidator Grant ist eine der höchstdotierten Fördermaßnahmen der
EU, die an Wissenschaftler vergeben wird. Der Europäische Forschungsrat fördert
damit herausragende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der Regel
zwischen sieben und zwölf Jahre nach der Promotion, wenn das eigene
Forschungsprogramm ausgebaut wird. Zusätzlich zur wissenschaftlichen Exzellenz
müssen die Antragsteller den bahnbrechenden Ansatz ihres Projekts und seine
Machbarkeit nachweisen, um die Förderung zu erhalten.
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