Das Universum dank Quecksilber verstehen
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung der Technischen Universität Wien astronews.com
28. August 2017
Die Frage, warum es im Universum überhaupt Materie gibt, ist
bislang nicht abschließend geklärt. Im Urknall hätten eigentlich gleich große Mengen
an Materie und Antimaterie entstehen sollen, die sich gegenseitig
auslöschen. Doch unsere Existenz ist der Beweis dafür, dass dieses Gleichgewicht
verletzt ist. Den Grund wollen Forscher nun finden - mithilfe von kalten
Quecksilberatomen.
Warum es Materie im Universum gibt, ist bis
heute nicht komplett verstanden.
Bild: NASA, ESA, H. Teplitz und M. Rafelski
(IPAC/Caltech), A. Koekemoer (STScI), R.
Windhorst (Arizona State University) und Z. Levay
(STScI) [Großansicht] |
Warum gibt es überhaupt Materie im Universum? Die Frage ist bis heute nicht
vollständig beantwortet. Unser Verständnis vom Urknall geht davon aus, dass
damals genauso viel Antimaterie wie Materie entstanden ist. Doch Materie und
Antimaterie löschen einander aus. In einem Universum, in dem ein perfektes
Gleichgewicht zwischen Teilchen und Antiteilchen herrscht, hätten sich Materie
und Antimaterie bereits vor langer Zeit gegenseitig vernichtet. Unsere Existenz
ist der Beweis dafür, dass dieses Gleichgewicht – Physiker sprechen dabei von
fundamentalen Symmetrien – verletzt ist.
Simon Stellmer vom Atominstitut der Technischen Universität Wien möchte nun
mit einem ausgeklügelten Präzisionsexperiment der Verletzung dieser Symmetrie
auf die Spur kommen. Dazu verwendet er Quecksilber-Atome und eine Reihe von
Technologien aus der Quantenphysik. Ermöglicht wird seine Forschung durch einen
ERC Starting Grant, eine der höchstdotierten und prestigeträchtigsten
Forschungsförderungen in Europa.
Ein sehr effizienter Mechanismus, der zu einem Ungleichgewicht in der Zahl
der Teilchen und Antiteilchen führen kann, ist die sogenannte Verletzung der
CP-Symmetrie. Dabei bedeutet CP Symmetrie, dass sich die Naturgesetze nicht
ändern, wenn man den Raum spiegelt und gleichzeitig positive und negative
Ladungen vertauscht. Diese Symmetrie gilt in unserem Universum jedoch nicht
exakt: Sie ist ganz leicht verletzt. "Das Ausmaß der CP-Verletzung, die das
Standardmodell der Teilchenphysik vorhersagt, kann das Ungleichgewicht zwischen
Materie und Antimaterie allerdings nicht erklären", erklärt Stellmer. "Es ist um
mindestens sechs bis acht Größenordnungen zu klein."
Die Theorie des Standardmodells muss also erweitert werden. Dazu sollte
zunächst geklärt werden, wie groß das Ausmaß der CP-Verletzung im Universum nun
tatsächlich ist. Und das gelingt am besten, indem man winzige Elementarteilchen
untersucht. "Es zeigt sich, dass die CP-Verletzung zu einer Asymmetrie in der
Ladungsverteilung bei kleinen Teilchen führt", erläutert Stellmer. Die
elektrische Ladung der Elementarteilchen ist dann nicht völlig symmetrisch
verteilt, sondern leicht in eine bestimmte Richtung verzerrt – man spricht dann
von einem elektrischen Dipolmoment. "Es bedeutet, dass die Elementarteilchen,
etwa Elektronen, in Wahrheit nicht exakt rund sind."
Immer wieder hat man versucht, das zu messen – bei Elektronen, Neutronen und
auch bei Atomen, doch bisher ist es nicht gelungen, eine Verletzung der
Symmetrie zu erkennen, die Teilchen sehen auch bei sehr genauem Hinsehen exakt
rund aus. "Die Messgenauigkeit genügt einfach noch nicht", ist Stellmer
überzeugt. "Aber wenn wir noch ein bisschen präziser messen als bisher, sollte
es bald zumindest möglich sein, all jene Theorien zu widerlegen, die ein
besonders starkes Ausmaß der CP-Verletzung vorhersagen, zum Beispiel bestimmte
Supersymmetrie-Theorien."
Messen möchte Stellmer das nun mit Quecksilber-Atomen: "Wir brauchen Atome,
die schwer sind, aber nicht radioaktiv, und die man mit Lasern kühlen kann –
dafür ist Quecksilber die beste Lösung." Versuche, das elektrische Dipolmoment
von Quecksilber-Atomen zu vermessen, gab es bereits, doch Stellmer will diese
Experimente nun grundlegend weiterentwickeln: "Wir bringen die Quecksilber-Atome
ins Quantenlabor und kühlen sie bis knapp über den absoluten Nullpunkt ab, so
haben wir die bestmögliche Kontrolle und wollen eine deutlich bessere
Genauigkeit erzielen als es mit bisher verfügbaren Methoden möglich war."
Die zahlreichen technischen Tricks, die dafür nötig sind, kennt Stellmer wie
kaum ein anderer: Als er an der Universität Innsbruck an seiner Dissertation
arbeitete, gelang es ihm, das erste Bose-Einstein-Kondensat aus ultrakaltem
Strontium herzustellen. Studiert hatte er vorher in seiner Geburtsstadt Hamburg,
nach seiner Dissertation in Innsbruck wechselte er 2013 ans Atominstitut der TU
Wien. Nun wird er mit dem ERC-Grant der Europäischen Union, dotiert mit zwei
Millionen Euro, seine eigene Forschungsgruppe aufbauen und in den nächsten fünf
Jahren versuchen, den geheimnisvollen Symmetrien des Universums auf die Spur zu
kommen.
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