Extrem hoher Druck im Labor
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung der Universität Bayreuth astronews.com
9. August 2016
Im Zentrum von Planeten herrscht ein ungeheuer hoher Druck,
der ganz neue Materialzustände entstehen lässt. Einem internationalen
Forscherteam ist es jetzt erstmals gelungen, im Labor einen Druck von einen
Terapascal zu erzeugen. Dieser Druck ist dreimal höher als der Druck, der im
Zentrum der Erde herrscht.
Nachdem ein kugelförmiger nanokristalliner
Diamant in zwei Halbkugeln getrennt worden ist,
werden die Halbkugeln für den Einsatz in einer
doppelseitigen Diamantstempelzelle vorbereitet
(elektronenmikroskopische Aufnahme).
Bild: Leonid Dubrovinsky und Natalia
Dubrovinskaia [Großansicht] |
Extreme Drücke und Temperaturen, die im Labor mit hoher Präzision erzeugt und
kontrolliert werden, sind ideale Voraussetzungen für die Physik, Chemie und
Materialforschung. Sie ermöglichen es, Strukturen und Eigenschaften von
Materialien aufzuklären, neue Materialien für industrielle Anwendungen zu
synthetisieren, neue Materiezustände zu entdecken, zu einem vertieften
Verständnis von Materie vorzudringen und damit beispielsweise Einblicke in den
Aufbau und die Dynamik der Erde sowie anderer Planeten zu gewinnen.
Daher besteht weltweit ein starkes Forschungsinteresse daran, die im Labor
erzeugten und für Materialanalysen genutzten Drücke immer weiter zu steigern.
Als "magische Grenze" galt bisher die Marke von 1 Terapascal (=
1.000.000.000.000 Pascal). Das sind 1 Billion Pascal. Dieser Druck ist dreimal
höher als der Druck, der im Zentrum der Erde herrscht. Zum Vergleich: Dieser
Druck würde auf einer Fingerspitze lasten, wenn man darauf 100 Exemplare des
Eiffelturms übereinander stapeln könnte. Eben diese Grenze hat ein
internationales Forschungsteam um Prof. Dr. Natalia Dubrovinskaia und Prof. Dr.
Leonid Dubrovinsky von der Universität Bayreuth jetzt erstmals erreicht und
überschritten.
An der jetzt veröffentlichten Studie waren zusammen mit dem Bayerischen
Geoinstitut (BGI) und dem Labor für Kristallographie der Universität Bayreuth
zahlreiche weitere Forschungspartner beteiligt: das Center for Advanced
Radiation Sources an der Universität Chicago, die European Synchrotron
Radiation Facility in Grenoble, die Universität Antwerpen, das Karlsruher
Institut für Technologie (KIT) sowie die Baltische Föderale
Immanuel-Kant-Universität in Kaliningrad. Entscheidende Experimente wurden von
den Bayreuther Wissenschaftlern am Argonne National Laboratory, einem
Forschungsinstitut des US-Energieministeriums in Chicago, durchgeführt.
Es sind kugelförmige nanokristalline Diamanten, mit denen jetzt die Tür in eine
neue Dimension der Materialforschung aufgestoßen wurde. Wissenschaftler an der
Universität Bayreuth hatten die durchsichtigen Kugeln, die einen Durchmesser
zwischen 10 und 20 Mikrometern aufweisen, im Labor synthetisiert. Wie sich
herausstellte, besitzen sie aufgrund ihres einzigartigen Gefüges eine ganz
ungewöhnliche Druckfestigkeit. Sie erweisen sich als höchst widerstandsfähig,
wenn äußere Drücke auf sie einwirken.
Diese Eigenschaft haben die Mitglieder der Forschungsgruppe mit dem Ziel
genutzt, für materialwissenschaftliche Experimente einen Druck von mehr als 1
Terapascal zu erzeugen. Mit einer Ionenfeinstrahlanlage haben sie die
superharten Diamant-Kugeln zunächst in zwei Halbkugeln getrennt. Diese Hälften
wurden anschließend in einer doppelseitigen Diamantstempelzelle installiert.
Während die dazwischen eingezwängten Materialproben steigenden Drücken
ausgesetzt waren, wurden sie an der Elektronensynchrotron-Anlage in Chicago mit
Röntgenstrahlen durchleuchtet. Die Beugungsmuster, die aus diesen technologisch
sehr anspruchsvollen Untersuchungen hervorgingen, brachten es an den Tag: Die
Grenze von 1 Terapascal war erreicht und überschritten.
Diamantstempelzellen als solche kommen in der Hochdruck- und
Hochtemperaturforschung schon seit langem zum Einsatz: Dabei wird die Probe des
zu untersuchenden Materials zwischen zwei Diamanten platziert. Diese Diamanten
pressen die Materialprobe aus entgegensetzten Richtungen zusammen, wobei Drücke
bis zu etwa 250 Gigapascal entstehen können. Am Bayerischen Geoinstitut (BGI)
und am Labor für Kristallographie der Universität Bayreuth wurde diese
Forschungstechnik schon vor wenigen Jahren entscheidend weiterentwickelt. Die
hier konstruierten doppelseitigen Diamantstempelzellen ermöglichen die Erzeugung
von viel höheren Drücken.
Denn in diesen Zellen wird auf jedem der beiden Diamanten ein halber
nanokristalliner Diamant befestigt. Die Köpfe dieser Halbkugeln stehen exakt
einander gegenüber. So können sie die extremen Drücke, die von außen seitens der
größeren Diamanten auf sie ausgeübt werden, an die zwischen ihnen befindliche
Materialprobe weitergeben – und zwar ohne dabei zerstört zu werden. Die Pointe
dieses zweistufigen Verfahrens liegt darin, dass der an die Materialprobe
weitergegebene Druck vervielfacht wird.
Denn die Köpfe der Halbkugeln, welche die Materialprobe berühren, haben eine
wesentlich kleinere Fläche als ihre kreisförmigen Unterflächen, mit denen sie an
den größeren Diamanten befestigt sind. Eine wesentliche Ursache für die
Druckfestigkeit von nanokristallinen Diamanten ist ihre Korngröße. Bei den
nanokristallinen Diamanten, mit denen in zweistufigen Zellen jetzt erstmals ein
Kompressionsdruck von mehr als 1 Terapascal erzeugt werden konnte, liegt sie
zwischen 2 und 15 Nanometern.
Die jetzt veröffentlichten Forschungsergebnisse eröffnen aber nicht allein wegen
der Überschreitung von 1 Terapascal neue Möglichkeiten für die physikalische,
chemische und geowissenschaftliche Materialforschung. Spezielle Dichtungen,
welche die Wissenschaftler in den doppelseitigen Diamantstempelzellen
installiert haben, bilden wesentliche Voraussetzungen dafür, dass nicht nur
Festkörper, sondern auch Materialproben in ursprünglich flüssigem oder
gasförmigem Zustand bei Drücken von über 1 Terapascal analysiert werden können.
"Wir freuen uns sehr darüber, dass es uns zusammen mit unseren
Forschungspartnern gelungen ist, die internationale Hochdruck- und
Hochtemperaturforschung in dieser Weise voranzubringen", erklärt Dubrovinskaia.
Die jetzt veröffentlichten Forschungsergebnisse seien für zahlreiche
Forschungszweige von erheblicher Relevanz, insbesondere für die Physik und
Chemie der Festkörper, die Materialwissenschaft, die Geophysik und die
Astrophysik. Ebenso könne die Industrie davon profitieren, beispielsweise wenn
es um die Entwicklung neuer Wasserstofftechnologien oder hochleistungsfähiger
Supraleiter geht.
Über ihre Untersuchung berichten die Wissenschaftler in einem Fachartikel, der
kürzlich in der Zeitschrift Science Advances erschienen ist.
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